Bei der Nationalratswahl 2013 waren 1,9 Prozent oder knapp 90.000 der abgegebenen Stimmen ungültig. Wie viele der ausgeschiedenen Wahlzettel von Weißwählern stammen, wird nicht erhoben.

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Wien – Man könnte sie als die Gewissensethiker in der Wählerschaft bezeichnen: die Weißwählerinnen und Weißwähler. Sie halten die demokratische Tugend des Wählens so hoch, dass sie sich auch dann aufraffen, ins Wahllokal zu pilgern, wenn auf dem Stimmzettel keine Partei steht, die sie wählen wollen. Sie gehen hin, weil sie nicht auswählen können und wollen. Sie sind staatsbürgerliche Pflichterfüller, die Protest üben wollen. Der Weißwähler oder die Weißwählerin behält dabei aber feine Umgangsformen bei, keine anatomischen Schmuddelzeichnungen, keine derben Anmerkungen oder sonstige schriftliche Manipulationen am als defizitär erachteten Wahlangebot. Nix schwarzer Block. Weißer Zettel, lautet das Motto.

Weißwählen bleibt folgenlos

Und dann? Nun, bis auf die innere Befriedigung bleibt der weiße Akt für die Wahl folgenlos. Einfluss auf das Wahlergebnis hat die semi-verweigerte Wahl nämlich nicht. Die weißen Wahlzettel landen auf dem Haufen mit der Ausschussware eines Wahltags, also bei den ungültigen Stimmen – und werden nicht mitgezählt. Der einzige Einfluss, den Weißwähler also auf die Wahl haben, ist der auf die Wahlbeteiligung.

Genügt ihnen das? Was wollen Weißwähler? Was weiß man über sie und ihre Motive? Sehr wenig, sagt Politikwissenschafter Peter Filzmaier im STANDARD-Gespräch. "Wir wissen nicht, wie viele der nicht eindeutig zuordenbaren Kreuzchen auf dem Wahlzettel aufgrund eines Irrtums passiert sind, oder ob es eine bewusste Kundgebung ist. Und dann gibt es noch eine kleine Gruppe, deren Protest in fragwürdige Scherze übergeht. Die schreiben 'Micky Maus' oder 'Papst' als Kandidat auf den Zettel. Es ist ein Sammelsurium, in dem die Weißwähler nicht ausgewiesen werden."

Sollten sie vielleicht doch ausgewiesen werden, um ihren demokratischen Willen wenigstens sichtbar zu machen? Der Kabarettist Roland Düringer möchte das ja mit seiner Partei "Meine Stimme gilt" (Listenname "Gilt") erreichen. Er wendet sich explizit an "Nichtwähler, Weißwähler, Protestwähler", also jene 1,7 Millionen Menschen, "die bei der letzten Nationalratswahl ihre Stimme verloren haben", weil sie als ungültige beziehungsweise weiße Stimme ausgeschieden oder überhaupt nicht abgegeben wurde. Düringer interpretiert sein Angebot als einen Weg, mit dem die Wähler zwar wählen, aber auch ausdrücken können: "Deine Stimme gehört dir, die kriegt keine Partei. Und im besten Fall sitzen dann Menschen für dich im Nationalrat."

Island erfasste die "Weißen"

In Island wurden die "Weißwähler" bei der Präsidentschaftswahl 2004 erstmals separat erfasst und wurden quasi zweitgrößte Fraktion. Die Gegner des damaligen Präsidenten Ólafur Ragnar Grímsson, für den es um die dritte Amtszeit ging, hatten mangels ihrer Ansicht nach wählbarer Herausforderer (es gab zwei) zum Weißwählen aufgefordert. Grimsson wurde bei einer Wahlbeteiligung von 62,6 Prozent mit 68 Prozent wiedergewählt, 20 Prozent der Stimmzettel waren "weiß".

In Österreich wiederum schlug der verstorbene Kärntner Landeshauptmann Jörg Haider, damals BZÖ-Chef, im Jahr 2006 vor, "die Mandate auch auf die Nichtwähler zu vergeben", also jeweils im Ausmaß der Stärke des Nichtwähleranteils die Zahl der Abgeordneten zu reduzieren. Haider sagte das vor dem Hintergrund seiner langjährigen Forderung nach Verkleinerung des Nationalrats.

Destruktive Verhinderung

Umgelegt auf die Nationalratswahl 2013 würde das bedeuten, dass mehr als ein Viertel der 183 Parlamentssitze leer geblieben wäre, denn 1,9 Prozent der abgegebenen Stimmen (knapp 90.000 Stimmen) wurden als ungültig ausgeschieden, 25,1 Prozent der Wahlberechtigten sind vor vier Jahren nicht zur Wahl gegangen.

Politikwissenschafter Filzmaier warnt aber vor solchen Gedankenspielen, weil sie demokratiepolitisch negative Effekte zur Folge haben könnten: "Die Idee eines Wahlkampfes ist, dass Personen oder Parteien in einen positiven Wettstreit der Ideen treten und möglichst Wähler überzeugen. Wenn aber Nichtwähler zu einer Verkleinerung des Parlaments führen, dann provoziert man damit, dass es Gruppen gibt, die nur etwas destruktiv verhindern wollen und dazu aufrufen, dass die Leute nicht zur Wahl gehen, um einen 'Denkzettel' zu erteilen. Das führt aber letztlich nur zu einer Schwächung des Parlaments."

Ein historisches Beispiel sei der deutsche Reichstag, erklärt Filzmaier, wo sich zwischen 1867 und 1933 die Zahl der Abgeordneten nach der Wahlbeteiligung richtete. "Das endete zunächst mit völliger Zersplitterung des Parlaments, weil eben jede Kleinstpartei mit geringer Stimmenzahl ein Mandat bekam, was wiederum zu sehr schwieriger bis nahezu unmöglicher Mehrheitsfindung führte. Unter so extrem vielen Parteien gab es Negativmehrheiten gegen alles, weil 'gegen etwas' waren sich sogar Nazis und Kommunisten oft einig. Jedoch gab es keine Positivmehrheiten 'für' Gesetze – und letztlich führte das Ganze zum Nationalsozialismus mit Ausschaltung des Parlaments."

Ein jüngeres Beispiel, wie mit einer vorsätzlichen Schwächung der Wahlbeteiligung Politik gemacht – oder verhindert – werden kann, war Italien unter Silvio Berlusconi. Dort gibt es ein Gesetz, wonach eine Volksabstimmung erst ab 50 Prozent Beteiligung zählt. Berlusconi sei in seiner gesamten Amtszeit – bis auf eine Ausnahme zur Atomkraft – bei allen Referenden in der Minderheit geblieben, erklärt Politologe Filzmaier, "aber das war egal, weil er demobilisiert hat und die Wahlbeteiligung jedes Mal unter 50 Prozent drücken konnte. Das kann nicht Sinn der Sache sein."

"Keine" wählen

Dann vielleicht doch überlegen, wie man denen, die die Qual der Wahl jetzt mit einem weißen Stimmzettel ausdrücken müssen, Sichtbarkeit ermöglichen kann. Filzmaier hätte auch einen Vorschlag: Man gründe eine Partei mit dem Namen "Keine von denen da oben". Auf dem Wahlzettel stünde dann "KEINE". Ihr Kreuz bitte! (Lisa Nimmervoll, 14.8.2017)