Der von Rechtsextremen provozierte Streit um ein Südstaatendenkmal endete im sonst beschaulichen Charlottesville in einer Straßenschlacht.

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Als es vorbei ist, steht Jackie Webber um Fassung ringend in der Fußgängerzone ihrer Stadt: Water Street, Ecke Fourth Street. In einem Buchladen um die Ecke liest John Grisham, ein prominenter Bewohner von Charlottesville, des Öfteren aus seinen Thrillern. Straßencafés unter ausladenden Baumkronen vermitteln mediterranes Flair, am Ende der Passage gibt es eine Free Speech Wall – eine Mauer, auf die jeder schreiben kann, was ihm gerade durch den Kopf geht.

Überhaupt versteht sich die lauschige Universitätsstadt als liberale Insel in der eher ländlich-konservativen Mitte Virginias. Am Samstagabend aber steht die Psychotherapeutin Jackie Webber ratlos vor einer Doppelreihe behelmter Nationalgardisten mit Uniformen und Schilden vor den Gesichtern, die vor einem gelben Band den Schauplatz eines Verbrechens abriegeln. Eines Terrorakts.

Nach einer im Zuge heftiger Ausschreitungen abgebrochenen Kundgebung rechtsextremer Fanatiker sind ungefähr zwei Stunden vergangen, als ein Sportwagen, ein grauer Dodge Challenger, in eine Menschenmenge rast: Aktivisten von Black Lives Matter, Kirchenleute, sympathisierende Passanten – sie alle waren jubelnd durch Charlottesville gezogen, um zu feiern, was sich wie ein klarer Sieg gegen die Neonazis anfühlte. "Wessen Straßen? Unsere Straßen!", schallt es durch die Innenstadt. Auf Videos von Augenzeugen, aufgenommen mit Handykameras, ist teilweise nur schemenhaft zu erkennen, was sich in dem Moment in der Fourth Street abspielt.

Mit dem Auto in die Menge

Man sieht die verschwommenen Umrisse eines wie aus dem Nichts auftauchenden Autos. Körper, die durch die Luft geschleudert werden. Dann sieht man, wie der Dodge im Rückwärtsgang in die andere Richtung fährt, nachdem er zwei an einer Kreuzung wartende Autos gerammt hatte. Eine 32-jährige Frau stirbt, 19 Menschen werden verletzt.

George Halliday, ein 20-Jähriger, der in der Nähe war, erinnert sich vor allem an die Schuhe, die auf einmal auf der Straße lagen. "Nach zwei Sekunden war alles vorbei. Ich sah nur diese Schuhe."

Am Abend gibt die Polizei bekannt, wer im Sportwagen saß: James Alex Fields, 20 Jahre alt, Sohn einer alleinerziehenden Mutter aus Maumee, Ohio. Die Tatsache, dass die Rassisten das Weite suchen mussten, bevor sie ihre Reden halten konnten, so spekuliert man, könnte ihn zu einer Racheaktion bewogen haben.

Begonnen hatte es am Vormittag mit Szenen, die zeitweise an Bürgerkriegsfilme denken ließen – oder an die turbulenten 1960er-Jahre. In einem kleinen Park im Zentrum der Stadt – einst hieß er Lee-Park, vor kurzem wurde er umbenannt in Emancipation Park – versammeln sich mehrere hundert Rechtsradikale unter dem Motto "Unite the Right". Richard Spencer ist da, der Anführer der Alt-Right-Bewegung, deren Mitglieder für Schlagzeilen sorgten, als sie den Wahlsieg Donald Trumps in Washington mit Heil-Trump-Rufen feierten, und David Duke, einst Imperial Wizard des Ku-Klux-Klan und Abgeordneter im Repräsentantenhaus Louisianas. Beide sind gekommen, um gegen den Abriss der Reiterfigur Robert E. Lees zu protestieren, eines von manchen Südstaatlern noch immer verehrten Bürgerkriegsgenerals.

Provokation, nicht Sorge

Dass die Statue weichen muss, ist seit Monaten beschlossene Sache. Doch Spencer und Duke geht es weniger um die Pflege vermeintlich bedrohten Südstaatenerbes als um Provokation.

Rund um das Rasenviereck sind Uniformierte mit Sturmgewehren aufgezogen. Keine Soldaten, wie man auf den ersten Blick vermuten könnte, sondern Angehörige einer Miliz. Neben ihnen muskulöse Männer mit Eisenstangen, Zaunlatten, Baseballschlägern, Flammenwerfern. Bürgerrechtler ziehen mit Plakaten an ihnen vorbei: "Kein Schrein für weißes Überlegenheitsdenken!", ist auf einem zu lesen. "Ihr werdet uns nicht verdrängen! Die Juden werden uns nicht verdrängen!", schallen oben die Sprechchöre der Nazis, die am Abend zuvor mit brennenden Fackeln durch Charlottesville gezogen waren.

Irgendwann fliegen Wasserflaschen, dann Brandsätze, schließlich ist die Straßenkreuzung eingehüllt in Rauchwolken. Pfefferspray. Die Neonazis liefern sich wilde Prügeleien mit ihren Gegnern, von Polizei ist in dem Moment nichts zu sehen, sie hat sich zurückgezogen. Erst nach 15, vielleicht 20 Minuten übernimmt sie das Heft des Handelns, indem sie die Versammlung für beendet erklärt und Spencer und Co zwingt, das Gelände zu verlassen.

In den Straßen ringsum wird weitergeprügelt, bis die Nationalgarde Virginias, eine militärische Einheit, aufmarschiert. Bald darauf steht Spencer vor ein paar Dutzend seiner Gefolgsleute auf einer Bank in einem Park am Stadtrand und versucht den Spieß umzudrehen. Während praktisch die gesamte politische Klasse des Landes, mit Ausnahme Donald Trumps, die Rassisten für die Randale verantwortlich macht, gibt er das unschuldige Opfer. "Die Polizei hat uns den Kommunisten zum Fraß vorgeworfen! Die Polizei hat uns Spießruten laufen lassen!" Er aber werde nicht kapitulieren, er werde dieses kleine Provinznest zum Zentrum des Universums machen, droht Spencer.

Nach ihm stellt sich Duke auf die Bank und spricht vom Präsidenten. "Wir werden das Versprechen erfüllen, das Trump gegeben hat. Das Versprechen, unser Land zurückzuholen", ruft der frühere Chef des Ku-Klux-Klan. Später schreibt er an die Adresse des Präsidenten gerichtet: "Ich rate Ihnen, in den Spiegel zu schauen und sich daran zu erinnern, dass es weiße Amerikaner waren, die Sie ins Amt brachten."

Zweideutiges Statement

In seinem Golfclub in Bedminster kommentiert Trump das Geschehen mit Worten, die vor allem durch ihre Zweideutigkeit, ihre Beliebigkeit auffallen. Er verurteile den unerhörten Ausbruch von Hass, Fanatismus und Gewalt, sagt er und fügt hinzu: "Auf vielen Seiten, auf vielen Seiten." Terry McAuliffe, der Gouverneur Virginias, ein Demokrat, nimmt dagegen kein Blatt vor den Mund, nachdem er den Ausnahmezustand verfügte. Für die Überlegenheitsfanatiker und die Nazis, die in die Stadt gekommen seien, habe er eine schlichte Botschaft: Geht nach Hause. "Unsere Vielfalt, unser Mosaikbild aus Immigranten, das ist es, was uns stark macht. Und das werden wir von keinem zerstören lassen", sagt McAuliffe. "Also bitte, geht nach Hause! Und kommt nie wieder zurück!"

Auch Mike Signer, Bürgermeister Charlottesville, fordert Trump auf, in den Spiegel zu schauen. Der Präsident, empfiehlt er, möge einmal gründlich darüber nachdenken, mit wem er im Wahlkampf gemeinsame Sache gemacht habe. (Frank Herrmann aus Charlottesville, 13.8.2017)