Wien – Es wird ein entscheidender Herbst für den ORF – von der Nationalratswahl bis zu den Bundesliga- und Skirechten. Im März 2018 wird Franz Küberl exakt 20 Jahre über den ORF entschieden haben, über dessen Geschäfte, seine Geschäftsführer und seine Programme – als eine keiner Fraktion zurechenbare Schlüsselfigur der ORF-Aufsichtsgremien seit 1998. Der langjährige Caritas-Chef und ORF-Stiftungsrat sorgt sich um den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, und das hat nicht zuletzt sportliche Gründe.

Die Livespiele der Champions League verschwinden gerade aus dem frei zugänglichen Fernsehen – die Pay-TV-Plattformen Sky und Dazn haben die Rechte für drei Jahre ab der Saison 2018/19 exklusiv gekauft. Im Herbst will die österreichische Bundesliga ihre TV-Rechte ab 2018/19 neu vergeben – Liga-Vorstand Christian Ebenbauer sagte im STANDARD-Interview, ein Livespiel pro Woche im Freee-TV sei da "kein Muss" mehr. Sky soll für Exklusivrechte – ohne Livespiel im Free TV – 30 Millionen Euro pro Saison geboten haben. Und auch der ÖSV lud im Frühsommer zur Bewerbung um die Ski-Fernsehrechte.

"Privatisierung öffentlichen Eigentums"

Sport ist für Küberl nicht zuletzt ein Kulturgut, eine kulturelle Leistung, im Zusammenspiel von elf Menschen beim Fußball etwa , im Umgang mit Verletzungen und persönlichen Entwicklungen. Und nebenbei verlangt das ORF-Gesetz vom Sport in Fernsehen und Radio, das Publikum zu sportlicher Betätigung zu animieren.

Zudem würden Sportstätten mit öffentlichen Mitteln zumindest mitfinanziert, erinnert Küberl im Gespräch mit dem STANDARD. "Wenn Sportrechte exklusiv ans Pay-TV gehen, ist das die Privatisierung öffentlichen Eigentums. Man kann das Kulturgut Sport nicht einfach privatisieren." Der ORF, vom Gesetz dem programmlichen Dienst an der Allgemeinheit verpflichtet, "muss in der Lage sein, Sport möglichst allen Menschen zu vernünftigen Konditionen zu zeigen".

"Es kann nicht das politische Ziel eines Landes sein, dass Sport nur jenen zugänglich ist, die noch einmal teuer dafür bezahlen", sagt der ORF-Stiftungsrat. "Das geht an meinem Verständnis von Logik vorbei." Küberl sieht da den Gesetzgeber, auch die EU, gefordert, dazwischenzugehen.

Franz Küberl (hier bei der Präsentation einer Caritas-Kampagne 2014): "Ich halte Privatisierungsideen für sehr unvernünftig. Vernünftig wäre, ein gutes ORF 1 zu haben. Der ORF muss schleunigst schauen, dass er da ein paar Stück zulegt."
Foto: APA/GEORG HOCHMUTH

Parteien am ORF-Gesetz

In Sachen ORF läuft sich der Gesetzgeber ohnehin gerade warm; jedenfalls äußern alle drei wohl auch nach der Wahl im Herbst größeren Parteien Änderungswünsche. Vom Sport war da bisher freilich eher wenig die Rede: Über die künftige Aufsicht über den ORF, über seine Führung , die Gebühren und seine Betätigungsfelder machen sich Medienpolitiker und –strategen in ÖVP, FPÖ und SPÖ schon mehr Gedanken. Küberl auch – freilich da und dort etwas andere:

Grundfragen: "Wie vernünftig weiterentwickeln"?

Küberl rät, "erst einmal ein paar Grundfragen zu stellen, was man in Zukunft vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk will und wie man ihn vernünftig weiterentwickeln will". Das ob steht für Küberl außer Frage: Viele hundert Privatsender könnten die öffentlich-rechtlichen Sender in der Brandbreite ihrer Qualität nicht einholen.

"Öffentlich-rechtlich ist nicht nur Ö1 und ORF 3"

Ein Verkauf von ORF 1 und/oder Ö3 an Private kursiert in diesen Wochen wieder als bürgerlich-freiheitliches Drohpotenzial auf dem Küniglberg. Küberl lehnt das, nicht ganz überraschend , ab: "Öffentlich-rechtlich ist nicht nur Ö1 und ORF 3". Ö3 sieht er "sehr gut aufgestellt", es liefere wesentliche "inhaltliche Impulse" und setze Initiativen. "Ich kann nicht nachvollziehen, dass man es als unsittlich empfindet, dass so viele Menschen Ö3 hören."

Küberl: "Ich halte Privatisierungsideen für sehr unvernünftig. Vernünftig wäre, ein gutes ORF 1 zu haben. Der ORF muss schleunigst schauen, dass er da ein paar Stück zulegt."

ORF 1: "Seit 20 Jahren Baustelle"

"ORF 1 ist seit 20 Jahren eine Baustelle, die jedes Jahr etwas größer wurde, bei allen unbestrittenen Versuchen, etwas zu verbessern", sagt Küberl. Er hält die Differenzierung in ein jüngeres, urbaneres, internationaleres ORF 1 und ein älteres, ländlicheres ORF 2 für falsch: "Es braucht eine andere Form der Durchlässigkeit", sagt er.

ORF-Chef Alexander Wrabetz hat für ORF 1 und ORF 2 Channel Manager angekündigt, die Besetzung der Jobs aber auf nach der Nationalratswahl verschoben. ORF 1 würde einen Channel Manager dringend benötigen. Im Gegensatz zu ORF 2, das funktioniere anders.

"Noch Luft nach oben" beim Frühfernsehen

Bei ORF 2 wird das Frühfernsehen "Guten Morgen Österreich" gerade auf alle Chroniksendungen bis zum Vorabend erweitert, die Leitung übernimmt vorerst "Guten Morgen"-Erfinder Roland Brunhofer, bisher vorgesehen als Channel Manager von ORF 2.

Küberl über das Frühfernsehen aus dem Truck-Studio: "Die Idee ist sehr gut. Aber in der qualitativen Umsetzung ist noch Luft nach oben. Die könnte man auch einmal ausschöpfen." Nachsatz, grundsätzlich, zur Qualität: "Der ORF bringt sich um, wo er sich mit einem Minimum begnügt. Er muss immer schauen, das Bestmögliche zu machen."

Auf die Religionssendungen im ORF ist Küberl "besonders stolz".

"Bei jeder Schraubenfabrik hat die Regierung ein Interesse daran, dass sie gut arbeitet. Warum nicht auch beim ORF – ohne dass die Politik ständig selbst an jeder Schraube dreht."
Foto: APA/GEORG HOCHMUTH

Gebühren: "Körberlgeld für die Republik"

Österreich müsse dem ORF jedenfalls wieder jene – gut 50 Millionen Euro – erstatten, die diesem durch Gebührenbefreiungen entgehen. "Da verdient sich die Republik ein Körberlgeld auf Kosten des ORF und seines Publikums."

"Nicht an jeder Schraube selbst drehen"

"Zwischen ORF und Politik gibt es erstaunlich viele Abhängigkeiten, die es so nicht geben sollte. Bei jeder Schraubenfabrik hat die Regierung ein Interesse daran, dass sie gut arbeitet. Warum nicht auch beim ORF – ohne dass die Politik ständig selbst an jeder Schraube dreht." Was wäre zu tun? Küberl: "Die Ärmel aufstricken und die vielen kreativen, tollen Leute arbeiten lassen – und hinter ihnen stehen."

Aufsicht: "Die Größe ist nicht die Frage"

Politik – Bund und Länder – beschicken den Großteil der 35 ORF-Stiftungsräte. Das Gremium zu verkleinern, ist seit Jahren Thema. Zu Unrecht, findet Küberl: "Die Größe ist nicht die Frage. Der Stiftungsrat hat gezeigt, dass er sehr gut arbeiten kann." Ein formelles Präsidium und mehr Kompetenzen für die Ausschüsse brächten das Gremium noch "ein gutes Stück voran".

Aber, so Küberl: "Wenn der ORF ein Sender für ganz Österreich ist, dann muss sich das auch in seiner Aufsicht abbilden." Die Bundesländer etwa sollten weiter im ORF-Aufsichtsgremium vertreten sein, deren Vertreter sich nun "endlich" organisieren. Der Länder- "Freundeskreis", sagt Küberl, "wird ja um Qualität und Präzision bemüht sein und kein Besetzungsausschuss."

Und: Im Stiftungsrat sollten auch "Kultur, Wissenschaft und Religion abgebildet sein". Bis 2010 entsandte der ORF-Publikumsrat je einen Vertreter dieser Bereiche fix in den Stiftungsrat, Küberl war langjähriger Kirchenmann und sitzt seit dem Ende dieser Regel auf einem Mandat der Bundesregierung, einem "Notsitz", wie er sagt. "Das muss saniert werden."

Küberl und ORF-General Alexander Wrabetz vor der Generalswahl 2016 – Küberl enthielt sich am nächsten Tag.
Foto: APA/ORF/Thomas Ramstorfer

Sogar Kirche geht von Alleingeschäftsführung ab

Die ORF-Führung ließe sich auch besser organisieren als – seit 2002 bis heute – mit einem Alleingeschäftsführer, der allen Direktoren Weisungen erteilen kann: "Ich halte die ursprüngliche Form der geteilten Verantwortung für gescheiter in so einem riesigen Unternehmen", sagt Küberl: "Jene, die das Programm verantworten, sollen mit am Entscheidungstisch sitzen." Auch vor 2002, als Information, Programm und Radio von weisungsfreien Intendanten geführt wurden, hatten "alle ORF-Geschäftsführer die Kapazität durchzusetzen, was sie inhaltlich für richtig hielten". Aber, sinnvollerweise, sagt Küberl, "war der Zwang zur Kooperation größer".

Küberl: "Sogar die katholische Kirche geht – siehe Papst Franziskus – von der Alleingeschäftsführung ein wenig ab. Man kann sich ruhig bei Zukunftsfragen an so alten, vornehmen Gebilden orientieren." (Harald Fidler, 17.8.2017)