Bild nicht mehr verfügbar.

Foto: dpa/Uwe Anspach

Brigitte Schröder findet es "schön", wenn alle SchülerInnen in Österreich Tablets oder Notebooks bekommen. Ich weiß nicht recht, was Digitalisierung mit Schönheit zu tun hat. Aber Schröder bietet die übliche Begründung für den Einsatz von digitalen Medien in den Schulen: die Ausbildung und Förderung von nützlichen Kompetenzen. Kompetenzen werden meist im Anschluss an Franz Weinert als überprüfbare "Fähigkeiten und Fertigkeiten" definiert, als die tatsächlich erbrachten Fähigkeiten, "bestimmte Probleme zu lösen". Die junge Generation müsse laut Schröder "für die Zukunft gewappnet" sein. Alles funktioniere aber nur, wenn die Beziehungsebenen (zwischen Lehrkraft und Schülern sowie innerhalb der Lerngruppen bzw. Klassen) stimmen.

Das sind durchaus wertvolle Überlegungen, die ich nicht pauschal ablehnen möchte. Aber es fehlt die Dimension, die über den Erwerb von messbaren, überprüfbaren und ökonomisch nützlichen Kompetenzen hinausgeht. Ursula Frost bringt ihr Gegenmodell auf die knappe Formel: "Bildung ist auch Widerstand!" Bildung ist nicht nur Widerstand, sie beinhaltet auch Anpassungsleistungen. Diese sind aber untergeordnet.

Bildung als Eigenwert und möglichen Widerstand illustriert Frost anhand von drei klassischen Beispielen. Im Höhlengleichnis Platons triumphieren die Suche nach Wahrheit und die Hinwendung zu den Sachen selbst über ein unreflektiertes Scheinwissen und über Kompetenzen, bei denen es kein "thinking beyond the box" gibt. "Gerade abzusehen von gewohnten Sichtweisen, um nach einer tieferen Wahrheit und nach einem darüber hinaus reichenden guten Leben zu fragen, nach einem, das vielleicht noch anders ist als das bisher bekannte – das macht Bildung aus."

Frosts zweites Beispiel ist Kants Plädoyer für Aufklärung: der Widerstand des Selberdenkens gegen die viel bequemere Fremdsteuerung. Diese Fremdsteuerung wird gegenwärtig durch penible und detaillierte Gängelung von Schülern bei kompetenzorientierten Aufgabenstellungen bis einschließlich Matura und darüber hinaus massiv verstärkt. Eigene Gedanken haben bei diesen Vorgaben – etwa in Deutsch oder Englisch – nur noch in Bruchstücken Platz. Verlangt wird von SchülerInnen die schablonenartige Bearbeitung von Aufgaben nach einem bestimmten Schema. Es ist nicht einzusehen, warum die Abfassung solcher Aufgabenstellungen auf einem Tablet oder Notebook pädagogisch wertvoller sein soll.

Zweck und Würde

Ursula Frosts drittes Beispiel ist der Widerstand der Humanität gegen die Instrumentalisierung des Menschen, wie sie in der Bildungstheorie von Humboldt ausformuliert wurde. Menschen sind "Zwecke an sich selbst", die daher in ihrer Würde unbedingt zu respektieren sind. Auch diese Dimension geht bei der Kompetenzorientierung weitgehend verloren, die sich fast ausschließlich am Kriterium der sozialen und ökonomischen Nützlichkeit orientiert. Heranwachsende kommen tendenziell weniger als Selbstzwecke ins Blickfeld, sondern werden Objekte vorgegebener Kompetenzanforderungen. Lehrkräfte werden gedrängt, sich an ein "teaching to the test" anzupassen. Das bedeutet, dass die meiste Zeit des Unterrichts damit verbracht wird, die Lerngruppe auf Leistungsüberprüfungen vorzubereiten, die ganz bestimmte Testformate beinhalten. Auch das verstärkt wieder die Anpassungsdimension.

Carsten Roeger hat für den Philosophieunterricht gezeigt, dass ein kompetenzorientierter Ansatz geradezu verhindert, dass Schüler zum Philosophieren angeleitet werden. Der Einsatz von digitalen Medien ist hier wohl sekundär. Philosophieren ist auch durch Prozesse der Widerstandsdimension gekennzeichnet, ohne messbare Erfolgskriterien und prinzipiell hinterfragend, was Anpassungsdimension und ihre Erfolgskriterien betrifft. Die Kompetenzorientierung erfüllt typische Merkmale des Philosophierens gerade nicht – wie etwa kritisches Hinterfragen eines eindeutig messbaren Erfolgskriteriums bei Schülerleistungen. Sie reduziert Lernen auf eine Anpassungsleistung.

In seinem neuen Buch Bildung als Provokation (Zsolnay, erscheint im September) verweist Konrad Paul Liessmann auf die paradoxe Tatsache, dass wir viele Bildungsinstitutionen, Bildungsanstrengungen, Bildungskarrieren und viel Bildungsgerede haben, aber gebildete Menschen offenbar selten geworden sind. Ob der flächendeckende Einsatz von digitalen Medien in unseren Schulen hier wirklich die Antwort ist – ich bezweifle das. Ein gutes Geschäft für die Computerfirmen wäre es allemal. Insofern vielleicht doch etwas partiell Schönes. (Georg Cavallar, 20.8.2017)