Wenn das so weiter geht wie am Wochenende, dann steht zu befürchten, dass es in den letzten 55 Tagen bis zum Wahlsonntag vor allem darum geht, welcher Partei es besser gelingt, die jeweils anderen Parteien als besonders untergriffige "dirty campaigner" dastehen zu lassen. Dabei müsste allen Beteiligten klar sein, dass jede Form der Schmutzkübelkampagne – und dazu gehört eben auch der Vorwurf, andere würden sich des Schmutzkübels bedienen – dem Ansehen von Parlament und Demokratie schadet.

Also lassen wir das und wenden wir uns den Inhalten zu. Und stoßen gleich auf den nächsten Schmutzkübel, auf dem steht, dass die ÖVP kein Programm habe. Was natürlich nicht stimmt – erstens hat sie das jüngste Parteiprogramm von allen (das noch dazu maßgeblich vom heutigen Parteichef Sebastian Kurz gestaltet wurde), und zweitens lässt sich das für die Wahl treffend auf den Satz reduzieren: "Keine SPÖ-dominierte Politik mehr."

In der SPÖ bemüht sich dagegen der Pensionistenchef Karl Blecha seit Jahren, der Kanzlerpartei ein neues ideologisches Fundament zu verpassen – nur gefielen die Vorschläge dem Bundeskanzler und Parteichef eben nicht. Er verlässt sich lieber auf die Stimmung im Land, die seine Berater, über die hier kein böses Wort verloren werden soll, mit ausgeklügelten Umfragen erhoben haben.

Wer sich mit Meinungsforschung auskennt, kann gut nachvollziehen, warum die SPÖ so stark auf das Thema Gerechtigkeit setzt. Umfragen – auch jene, die der STANDARD beim Linzer Market-Institut durchführen lässt – zeigen nämlich seit Jahren, dass eine der größten Sorgen der Österreicher darin besteht, dass die Kluft zwischen Armen und Reichen in unserem Land größer wird.

Altbewährtes (und teures) Muster

Dazu kommt, dass der SPÖ bei einer STANDARD-Umfrage im Vorjahr von 39 Prozent der Wahlberechtigten zugetraut wurde, für eine gerechtere Gesellschaft zu stehen. Auf solchen Werten kann man schon aufbauen.

Das tut die SPÖ nach altbewährtem (und teurem) Muster: Kaum war in der Vorwoche bekanntgeworden, dass der Pensionsanpassungsfaktor für das kommende Jahr bei 1,6 Prozent liegen wird, begannen Kanzler und Sozialminister zu lizitieren – zwei Prozent und mehr sollten zumindest für die kleinsten Pensionen drin sein. Mit der von Gesetzes wegen gültigen Gerechtigkeit hat das allerdings nichts zu tun: Das österreichische Pensionsversicherungssystem soll den erarbeiteten Lebensstandard absichern – wer sein Lebtag wenig verdient (und entsprechend niedrige Beiträge geleistet) hat, bekommt eben auch deutlich weniger Pension als Leute, die mehr verdient und eingezahlt haben.

Aber das zählt nach dem Gerechtigkeitsverständnis der Sozialdemokratie wenig – da geht es vielmehr darum, eine gleichere Gesellschaft zu schaffen. Hinter dem Slogan "Holen Sie sich, was Ihnen zusteht" und dem jüngsten SPÖ-Video steht der wiederentdeckte Gedanke der Umverteilung, den die SPÖ in den Kreisky-Jahren deutlicher als zuletzt vertreten hatte.

Das ist ein legitimes, wenn auch bei weitem nicht von allen Österreichern geteiltes Anliegen. Denn auch das weiß man aus der Meinungsforschung: Zwar meinen 69 Prozent der Österreicher, dass es in unserem Land nicht gerecht zugehe. Gleichzeitig sagen aber auch sieben von zehn, sie persönlich würden gerecht behandelt – diese scheiden als Zielgruppe für einen Umverteilungswahlkampf eher aus. (Conrad Seidl, 20.8.2017)