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Der türkische Staatspräsident Tayyip Erdoğan wettert gern über seine Gegner, nicht nur über jene in seiner Heimat, sondern auch vorzugsweise über solche in Deutschland und Österreich.

Foto: AP / Adem Altan

Ankara/Berlin/Wien – Kurz, Gabriel, Kabriel: Als der türkische Staatspräsident in einer seiner Reden am vergangenen Wochenende den deutschen Außenminister zurechtwies, hat er offenbar in einem Punkt Sigmar Gabriel mit Sebastian Kurz verwechselt. "Was ist schon dein politischer Werdegang, wie alt bist du?", polterte Tayyip Erdoğan. Die korrekte Antwort lautet 57.

Gabriel war Ministerpräsident in Niedersachsen, knapp acht Jahre lang Vorsitzender der SPD, Bundesminister für Umwelt, später Wirtschaft und ist seit Jänner dieses Jahres deutscher Außenminister. Erdoğan, so wird in türkischen Medien gemutmaßt, soll von seinen Beratern falsch informiert worden sein. Vielleicht aber sprang der türkische Staatschef im Schwung seiner Rede auch nur von einem Feindbild zum nächsten, vom deutschen zum österreichischen Außenminister. Diesen schätzt Erdoğan wegen seines Alters gering. Sebastian Kurz wird am nächsten Sonntag 31.

Auslandsvermögen einfrieren

Der neue Streitfall in den deutsch-türkischen Beziehungen, die Festnahme des regierungskritischen Schriftstellers Doğan Akhanlı – er hat allein die deutsche Staatsbürgerschaft – während seines Spanienurlaubs durch ein Rechtshilfeansuchen der türkischen Regierung über Interpol, zieht weiterhin viel Kritik in Deutschland nach sich. Eine Reihe führender Politiker der Union und der SPD fordern den Ausschluss der Türkei aus Interpol. Kanzlerin Angela Merkel wirft der türkischen Führung Missbrauch der internationalen Polizeiorganisation vor.

Ein CDU-Außenpolitiker schlug am Dienstag gar vor, das Auslandsvermögen des "Erdoğan-Clans" einzufrieren. Auch die außenpolitische Linke-Sprecherin Sevim Dagdelen forderte sofortige Sanktionen gegen Erdoğan und dessen Vertraute.

Bis zum Entscheid über eine Auslieferung an die Türkei muss der Schriftsteller Akhanlı nun in Spanien bleiben. Der 60-Jährige wurde allerdings am Sonntag, einen Tag nach seiner Festnahme, bereits auf freien Fuß gesetzt.

Instrument gegen Opposition

Der Fall Akhanlı ist das eine, Erdoğans Einmischung in den deutschen Bundestagswahlkampf das andere. Dabei gibt es für Erdoğan wohl auch ein innenpolitisches Kalkül: Mit dem Thema Deutschland kann er – vielfach unterstützt durch die Regierungspresse – weiterhin den Chef der größten Oppositionspartei, Kemal Kılıçdaroğlu, vor sich hertreiben.

Kılıdaroğlu hat Mitte dieses Monats in einem Interview mit dem Münchner Magazin
"Focus" den Deutschen von Reisen in die Türkei abgeraten. Daraufhin erhob sich ob dieses "unpatriotischen Verhaltens" ein Sturm der Entrüstung in der Türkei, und Kılıçdaroğlu wies zurück, dass er diese Äußerung überhaupt in dem Interview getan hätte.

Die sozialdemokratisch-kemalistische CHP beginnt am Samstag einen mehrtägigen Parteikongress in Çanakkale an den Dardanellen. Dabei will Kılıçdaroğlu die verschiedenen politischen Kräfte einen – Linke, Liberale, Nationalisten –, die im Juli seinen Fußmarsch von Ankara nach Istanbul unterstützt haben. Mit jeder neuen Attacke gegen Deutschland und deutsche Politiker versucht Erdoğan deshalb auch, seinen politischen Gegner zu treffen.

Spekulationen über Haft

Die seit Tagen anschwellenden Spekulationen über eine Festnahme Kılıçdaroğlus sind für den autoritär regierenden Staatschef dabei zu einem Problem geworden. Er habe nichts dergleichen im Sinn, versicherte Erdoğan bei einem Auftritt vor der türkischen Presse. Kılıçdaroğlu fabriziere lediglich Gerüchte, um im Gespräch zu bleiben. Allerdings drohte Erdoğan dem Oppositionsführer schon mehrmals, dieser möge nicht überrascht sein, wenn die Justiz auf ihn zukomme. Sowohl für den "Gerechtigkeitsmarsch" als auch für das Interview mit "Focus" wurde Kılıçdaroğlu ein Verfahren angedroht. Die Anklage sei schon geschrieben, meldete gar eine der regierungskritischen türkischen Nachrichtenseiten dieser Tage.

Die Vorsitzenden der prokurdischen Minderheitenpartei HDP, Selahattin Demirtaş und Figen Yüksekdağ, sind bereits seit November 2016 in Haft. Der Chef der rechtsgerichteten Nationalistenpartei MHP, Devlet Bahçeli, hat sich Erdoğan in die Arme geworfen. Die MHP-Dissidentin Meral Akşener will im Oktober eine neue Partei gründen. Ein Gebäude für die Partei in Ankara soll bereits gefunden sein. Koray Aydın, einer der führenden ehemaligen MHP-Politiker, gab am Dienstag seinen Wechsel zu Akşener bekannt. (Markus Bernath, 22.8.2017)