Willem Dafoe spielt Ryuk.

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Wer sich mit dem japanischen Mangauniversum auseinandersetzt, kommt nur schwierig an “Death Note” vorbei. Die Animeadaption ist vielleicht noch eher für ihre kulturelle Bedeutung, als für den Inhalt, den sie darbietet, relevant. Einerseits schaffte es der Anime, bei dem es um einen (mit Magie ausgeholfenen) Serienmörder geht, eine Diskussion über die gesellschaftlichen Folgen von animierten Inhalten zu schaffen – ausgelöst durch Vorfälle wie dem “‘Death Note’-Mord” in Belgien. Andererseits bewies er der westlichen Welt durch seine Beliebtheit ein für alle Mal, dass Animes nicht nur Kindersache sein müssen. Netflix, nun mit “13 Reasons Why” für kontroverse Produktionen bekannt, die sich an Jugendliche richten sollen, ließ den Kultmanga adaptieren. 108 Kapitel in 100 Minuten: Wie schlägt sich die Netflix-Umsetzung von Regisseur Adam Wingard?

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Mit einem Notizbuch gegen Kriminelle

Netflix’ "Death Note" erzählt die Geschichte des Jugendlichen Light (Nat Wolff) aus Seattle, der ein magisches Buch, genannt Death Note, findet. Jede Person, deren Namen er hineinschreibt, stirbt. Kurzerhand entscheidet Light sich dazu, die Welt von Kriminellen befreien zu wollen. Pardon, erst von den Schlägertypen, die, ganz nach dem ungeschriebenen Klischee-Regelbuch, Mädchen (unter anderem jenes, in welches er verknallt ist) grundlos bedrängen.

Bekräftigt wird diese Entscheidung von dem Todesengel Ryuk, der allerdings nicht aussieht wie ein Todesengel, sondern wie ein groß gewachsener Mann in einem schlechten, mit CGI-Effekten ausgeschmückten Halloween-Kostüm und einer etwas zu kehlig geratenen Stimme Nichts für ungut, Willem Dafoe. Dann die Kriminellen: Kartellmitglieder, Mörder und IS-Terroristen. Damit beginnt Lights Karriere als selbstgerechter Serienmörder, der nebenbei besagtes Mädchen (die übrigens eine, Überraschung, attraktive Cheerleaderin ist) mit diesem Umstand beeindrucken möchte und nur von dem antisozialen, aber brillanten Ermittler L aufgehalten werden kann.

Aus einem Genie wird ein Kind

Light trifft auf Vogelscheu- äh, Todesengel Ryuk.
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Der Film nimmt sich als Adaption große Freiheiten: Das wäre im Grunde nichts schlechtes, wenn die dazugedichteten Storyelemente nicht so mangelhaft wären. Die beschriebene Lächerlichkeit der Geschichte soll wohl beabsichtigt sein, denn der möchte lustig sein und das Original etwas heiterer adaptieren. Das merkt man etwa, wenn Light den Todesengel Ryuk trifft und lauthals zu schreien beginnt. Allerdings führt die Szene weniger dazu, dass man selbst zu lachen beginnt, sondern eher, dass man sich beginnt, vor lauter Fremdscham zu krümmen.

Es ist schwierig, Light zu mögen und im Gegensatz zu seinem Manga-Gegenstück wirkt er auch nicht wie das Genie, welches er im Original und in der (zumindest bis zur Hälfte kompetenten) Animeadaption war. Er handelt schroff, denkt nicht über seine Entscheidungen nach, bevor er sie durchführt und begeht dementsprechend viele Fehler, weswegen er wie ein unreifer Jugendlicher wirkt. Manga-Light war in gewisser Weise ein soziopathischer, brillanter Utilitarist mit Gottkomplex, Netflix-Light ein hormongesteuerter, selbstgerechter Teenager ohne Tiefe.

Ein übernatürlicher Streit zweier Jugendlicher

Mia (Margaret Qualley) hat, bis auf den ähnlichen Namen, nicht viel mit dem Mangacharakter Misa gemeinsam.
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Mia, die Cheerleaderin, in die sich Light verliebt, ist eine radikale Veränderung zu dem Charakter Misa im Original und vermutlich das einzig positive an der Geschichte. Zwar bleiben ihre Motive schlecht begründet, doch jene Momente, in denen sie ihre Ruchlosigkeit zur Schau stellt, sind die besten Szenen des gesamten Films.

Keith Stanfield spielt Meisterdetektiv L.
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Der Charakter L ist weitgehend unverändert, er bleibt ein Süßigkeiten liebendes Genie, der stets mit krummen Rücken in der Hocke sitzt. Allerdings ist sein Verhalten in der Adaption nicht mehr auf eine merkwürdige Weise charmant, sondern wirkt starr und sonderbar, seine Entscheidungen gegen Ende des Films schwer nachvollziehbar. Der Konflikt zwischen den beiden Charakteren ist, anders als im Original, kein packendes "Katz und Maus"-Spiel, bei dem zwei verrucht intelligente Personen sich ständig gegenseitig überlisten, sondern erscheint wie eine übernatürlicher Streit zweier Jugendlicher.

Die Todesszenen sollen wohl scheinbar schockierender sein, indem Light statt Herzinfarkten Todesursachen wie "Enthauptung" oder "Messer in Kehle" in sein Büchlein kritzelt. Nicht überraschend, nachdem Horrorfilm-Veteran Adam Wingard im Regiesessel sitzt. Das Ergebnis ist aber, dass nicht ganz klar ist, ob der Film ein Thriller mit Comedy-Elementen oder ein alberner Slasher sein möchte.

Von Klischees belagert

Paul Nakauchi ist Ls Assistent Watari.
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Light soll intelligent und berechnend sein – gleich in einer der ersten Szenen bricht der diese Charaktereigenschaft, indem er grundlos den protzigen Schüler, der einen hilflosen Streber zusammenschlägt, provoziert. Apropo "protziger Schüler der Streber schlägt" – der Film strotzt von Klischees. Die Charaktere entsprechen zum Großteil gängigen Stereotypen: Es gibt sogar eine Szene, bei der der Light und seine geliebte Cheerleaderin Mia einen Schulball besuchen, zuvor schmusen sie im peitschenden Regen miteinander.

Das liegt vermutlich daran, dass der Film einen Anime, der aus 37 Folgen besteht, in knapp 100 Minuten zusammenfassen möchte. Oder überhaupt den Manga, der erst die Vorlage für den Anime bot und 108 Kapitel umfasste. An die Qualität reicht der Film aber bei weitem nicht heran. Er verwandelt sich in seinen besten Momenten zu einem durchschnittlichen, unnotwendigerweise brutalen Jugendfilm, in seinen schlechtesten in einen grottigen Horrorfilm.

Für Neulinge zu unrund

L, in altbekannter Sitzposition, konfrontiert Light.
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Vielleicht hätte ein Netflix-"Death Note" in einer anderen Form funktionieren können. In der jetzigen wünscht man sich, man hätte es mit einer Serie versucht, um mehr Zeit für die Geschichte, aber auch für die Charaktere zu haben und sich weniger Klischees zu bedienen. Dieser Film allerdings ist leicht zu vergessen. Genau so lautet letztlich auch die Empfehlung: Selbst wenn man sich nicht von Mangas begeistern lassen kann und trotzdem die Geschichte von "Death Note" erfahren möchte, ist der Film hierfür zu unrund. Man kann ihn getrost sausen lassen.

Aus wirtschaftlicher Sicht war "Death Note" keine schlechte Idee. Netflix möchte auch für Animefans interessant werden. Es ist eine große, von dem Unternehmen noch kaum angesprochene Zielgruppe – und der einzige im deutschsprachigen Raum relevante Konkurrent ist der Streamingdienst crunchyroll. Aus diesem Grund plant Netflix auch, in naher Zukunft zwölf Anime-Originals zu produzieren. Bleibt also zu hoffen, dass man aus dieser Adaption dazulernt und die Eigenproduktionen besser sind als die eher mäßige Version von "Death Note". (Muzayen Al-Youssef, 25.8.2017)