Harald Oberbauer, Facharzt für Psychiatrie und psychotherapeutische Medizin in seiner Sprechstunden-Praxis in der medizinischen Klinik. Ein bis zwei Patienten schauen hier pro Tag vorbei.

Foto: Florian Lechner

Die reinste Horrorvorstellung sind Firmenweihnachtsfeiern. Die, sagt Harald Oberbauer, "gehören gänzlich abgeschafft". Ebenso wie Handys mit all ihren Apps, das Internet überhaupt, "alles ein Fluch". Er lacht, meint es aber durchaus ernst, immerhin weiß er um die Bedrohung, die für manche Menschen von all dem ausgeht. Harald Oberbauer ist Psychiater an der Klinik Innsbruck, und er ist Experte auf dem Gebiet der Eifersucht, diesem Gefühl, das die Menschen quält, seitdem es sie gibt. Der 54-Jährige hat die Eifersuchtssprechstunde ins Leben gerufen, eine Anlaufstelle für Eifersüchtige, die einzigartig ist im deutschsprachigen Raum.

Zunächst einmal hält er fest: "Dass jemand überhaupt keine Eifersucht empfindet, das gibt es nicht." Und wer behaupte, dieses Gefühl gar nicht zu kennen, sagt Oberbauer, der sei "höchst auffällig". Aus Sicht der Evolution hat Eifersucht schließlich auch ihre strategische Bedeutung, auch wenn ihr Ursprung nicht eindeutig geklärt ist. Dem wachsamen männlichen Ahnen diente das emotionale Warnsignal, um verstärkt darauf zu achten, seine und nur seine Gene weiterzugeben.

Eifersucht ist normal

Den weiblichen Vorfahren hingegen, um zu verhindern, dass der männliche Partner weitere Familien gründet, mit denen sie die Jagdbeute sonst teilen müssten. Etymologisch geht sie ins 16. Jahrhundert zurück: "Ai" ("Feuer"), "Eiver" ("bitter") und "Suht" ("Krankheit") lauten die indogermanischen und althochdeutschen Begriffe, deren Kombination das Wort Eifersucht ergibt. Die Krankheit des bitteren Feuers also. Bis heute entzündet es sich instinktiv, wenn Untreue befürchtet wird – und zwar gänzlich unabhängig davon, ob sich Frauen ohnehin eigenständig erhalten können oder davon, ob wir Gene überhaupt weitergeben wollen.

Eifersucht ist "prinzipiell einmal etwas Normales", hält der Experte Oberbauer fest. Ob jemand aber pathologisch eifersüchtig wird, hängt von dem Nährboden ab, auf dem das Gefühl entsteht – ob etwa ein unausgeglichener Hormonhaushalt, Depression, Alkoholismus, Erektionsstörungen oder unterdrückte Homosexualität im Spiel ist. Die Spitze, erklärt Oberbauer weiter, sei dann erreicht, wenn sich das Gefühl bis zum Wahn steigere: Wenn die unumstößliche Gewissheit erreicht wird, dass ein Betrug stattfindet, und kein Abbringen von dieser Überzeugung mehr möglich ist.

"Diagnostische Drehscheibe"

Die Umstände, die bis zur Wahnvorstellung führen können, will Oberbauer, "herausfiltern". Ein bis zwei Patienten empfängt der Arzt jeden Tag in seiner Spezialsprechstunde. 1000 bis 1500 "Geschichten" habe er in den 17 Jahren, die es sie nun schon gibt, gehört: von Patienten und deren Angehörigen. Männer kommen ebenso wie Frauen, von der 18-jährigen Studentin über den Straßenkehrer bis zum 90-jährigen Pensionisten sei jeder dabei. Sie stammen aus Tirol, aus ganz Österreich, auch aus Deutschland reisen Patienten an. Oberbauers Praxis ist Teil der Psychiatrie, die wiederum den "Tirol Kliniken" angehört, einem 90.000 Quadratmeter großen Krankenhausareal unweit des Innufers. Harald Oberbauer sitzt in einem aufgeräumten Raum im Erdgeschoß der Psychiatrie, kahles Licht, draußen wummert die Krankenhaustechnik. An der Wand hängt ein Bild in Ölfarben, auf dem eine rötliche Sonne auf Wasser untergeht.

Oberbauer hat sich eine Nische geschaffen mit einem Thema, mit dem sich die Forschung kaum befasse: "Es existieren Therapieprogramme für Essgestörte, Depressive, Schizophrene. Für Eifersüchtige aber wurde keines entwickelt." Oberbauer nennt seine Praxis eine "diagnostische Drehscheibe": Ist die "Grundstörung" hinter der Eifersucht einmal erkannt, folgt eine spezielle Therapieempfehlung, die Einnahme von Medikamenten, Gespräche auf unregelmäßiger Basis. Lässt sich der Auslöser der Eifersucht einordnen, löse sich diese oftmals von selbst auf. Krankhaft werde es dann, wenn die Eifersucht "die Lebensqualität beeinflusst": die eigene, aber auch die des Partners.

Rauschzustand Eifersucht

Wissenschafter erklären den Zustand gesteigerter Eifersucht anhand von Botenstoffen, die im Kopf verrückt spielen und den Körper in einen Rauschzustand versetzen. Oberbauer spricht von "Feuer am Dach", der deutsche Psychiater Rolf Merkle von einem "Cocktail der Gefühle": Unsicherheit, Wut, Erregung, wobei die Zutaten wechseln. In den Medien laufen Morde, die auf Eifersucht zurückzuführen sind, meist unter dem Schlagwort "Familientragödie". Der Dramatiker und Dichter William Shakespeare nennt sie das "grüngeäugte Ungeheuer", Schriftsteller Max Frisch definierte sie als Angst vor dem Vergleich.

Oberbauer hatte Patienten, die den Slip der Partnerin in die Ambulanz mitgenommen haben, zur Inspektion der angeblichen Spermaspuren darin. Solche, die ihre Partner schlagen und einsperren. Ein Patient meinte, anhand der Stimmlage seiner Frau erkennen zu können, wenn sie Sex mit einem anderen Mann gehabt hätte. Oberbauer wollte ihn stationär aufnehmen, der Patient weigerte sich und tötete kurz darauf seine Frau und anschließend sich selbst.

Wenn das "Kopfkino" losgeht

Und dann gibt es Patienten wie Karl, bei denen sich das Gefühlschaos nach innen richtet. Karl heißt eigentlich anders, er hat eine ruhige, freundliche Ausstrahlung. Er sagt, die Eifersucht quäle ihn schon sein Leben lang. Karl ist geschieden und seit einigen Monaten in einer neuen Beziehung, seine "große Liebe", dieses Mal müsse es klappen. "Ich habe lange versucht zu verstehen, woher die Eifersucht kommt und das Problem selbst in den Griff zu bekommen." Nun sitzt er zum zweiten Mal in Oberbauers Praxis.

In klaren Momenten sei er sich sicher, dass seine Partnerin ihn nicht betrügt. Ist die Freundin unterwegs, quält ihn die Vorstellung von ihr und anderen Männern. Karl spioniert nicht hinterher, kontrolliert keine Handys. Begrüßt seine Freundin einen Mann in seinen Augen zu innig, kann es aber passieren, dass er einfach aufsteht und geht. Dann zieht er sich "zurück in meine Gedankenwelt, in der Rationales nicht mehr durchdringt" . Und er trinkt, "wenn das Kopfkino losgeht", wobei der Alkohol die Sorgen oftmals verstärkt. Mit sieben starb sein Vater, kurz darauf die Großeltern, der Bruder erlag einem Krebsleiden. Der Tod, sagt Karl, begleite ihn sein ganzes Leben, den Umgang damit habe er nie gelernt.

Eifersucht verschwinde nicht gänzlich, sagt Oberbauer zu ihm, aber "ein souveräner Umgang damit" lasse sich erlernen. Also hat er seinem Patienten zuerst vom Alkohol abgeraten. Karl nimmt nun Psychopharmaka in geringer Dosis, um die Gefühle unter Kontrolle zu bringen, über die er neuerdings – auch das ist eine Vorgabe gewesen – mit seiner Partnerin spricht. Als "primär normalgestört" bezeichnet Oberbauer ihn und lacht: Was Besseres könne man nun wirklich nicht erreichen. (Anna Giulia Fink, 26.8.2017)