Neutronensternkollisionen gehören nach jenen von Schwarzen Löchern zu den heftigeren Ereignissen im Universum und erzeugen laut Theorie Gravitationswellen und Gammablitze. Nun könnte erstmals beides gemeinsam beobachtet worden sein.
I(llustration: Nasa's Goddard Space Flight Centre

London/Wien – Noch ist alles inoffiziell, und die beteiligten Experten hüllen sich seit Tagen in Schweigen. Doch hinter den Kulissen hat längst ein heißes Gerücht die Runde gemacht, das auch schon vom Wissenschaftsmagazin "Nature" detailreich ausgeplaudert wurde. Und wenn es stimmt, dann könnte die Beobachtung den Beginn einer neuen Ära der Astrophysik markieren.

Erste Messung im Jahr 2015

Was ist geschehen? Blenden wir kurz zurück: Am 11. Februar 2016 verkündeten Physiker eine Sensation: Sie hatten Monate zuvor in den USA mit zwei tausende Kilometer voneinander entfernten Geräten des Ligo (Laser Interferometer Gravitationswellen-Observatorium) minimale Wellen in der Krümmung der Raumzeit aufgespürt.

Zwar wurden solche Gravitationswellen bereits 1916 vorausgesagt. Doch dieser Streckungen und Stauchungen des Raums sind so gering, dass es fast hundert Jahre brauchte, ehe man sie mit entsprechend hochempfindlichen Detektoren erstmals dingfest machen konnte.

Verursacht werden solche Wellen in der Krümmung der Raumzeit durch die Kollision von extrem kompakten massereichen Objekten wie zwei Schwarzen Löchern, die beim Verschmelzen Gravitationswellen erzeugen. Das war auch die Ursache bei der ersten Beobachtung und den beiden folgenden.

Die vierte mögliche Ligo-Beobachtung

Kürzlich wurden von Ligo zum vierten Mal Gravitationswellen registriert. Diesmal dürften sie aber, so die heiß diskutierten Gerüchte, nicht von der Kollision zweier Schwarzer Löcher herrühren, sondern durch die Fusion von zwei ähnlich kompakten Neutronensternen erzeugt worden sein. Das sind die Überbleibsel von großen Sternen, die explodierten, aber nicht groß genug waren, um in ein Schwarzes Loch zusammenzustürzen.

Das Besondere daran: Während man die Kollision von Schwarzen Löchern nur mittels Ligo wahrnehmen kann und sich deshalb auch schwertut, den Ort der Kollision zu bestimmen, kann die Fusion von Neutronensternen theoretisch auch von herkömmlichen Teleskopen beobachtet werden. Denn dabei entstehen nicht nur Gravitationswellen, sondern zumindest laut neueren Theorien auch Gammablitze, also Energieausbrüche hoher Leistung, von denen große Mengen elektromagnetischer Strahlung ausgehen.

Nasa-Video über den Zusammenhang zwischen Neutronensternkollisionen und Gammablitzen
NASA Goddard

Teleskope suchen nach Gammablitzen

Genährt wurde das Neutronensterngerücht durch Tweets, die zwei US-Physiker am 18. August absetzten. Die Kurznachricht von J. Craig Wheeler (Universität Texas in Austin) lautete aufgeregt:

Ein weiterer Tweet seines Kollegen Peter Yoachim wenig später ging in die gleiche Richtung. Mittlerweile hat sich Wheeler für seinen voreiligen Enthusiasmus zwar entschuldigt. Aber die Neuigkeit war in der Welt, und die Gerüchte verdichten sich seitdem.

Darauf deutet hin, dass mehrere Teleskope wie Hubble, das Fermi Gamma-ray Space Telescope oder das Very Large Telescope in Chile am 18. und 19. August auf die 130 Millionen Lichtjahre entfernte Galaxie NGC 4993 im Sternbild Hydra gerichtet wurden, wo sich die Neutronensternkollision ereignet haben könnte.

Diese Ortsbestimmung war wohl deshalb möglich, weil seit August auch der europäischer Gravitationswellendetektor Virgo bei Pisa in Italien wieder in Betrieb ist. Dadurch lässt sich die ungefähre Richtung bestimmen, aus der das Signal kam.

Auf diesen diffusen hellen Fleck, die Galaxie NGC 4993 im Sternbild Hydra, waren in den letzten Tagen viele der größten Teleskope der Welt gerichtet. Doch was haben sie beobachtet?
Foto: Digitized Sky Survey

Und es gibt konkrete Hinweise, dass man mit den Teleskopen gezielt nach den Nachwirkungen einer Neutronensternkollision suchte – also den vorhergesagten Gammablitzen.

Eine ideale Ergänzung...

Sollte sich die Vermutung bestätigen, wäre das "ein unglaublicher Fortschritt unserer Erkenntnis", wie der Astrophysiker Stuart Shapiro in "Nature" erklärt. Denn die Beobachtungen durch Ligo und die Teleskope könnten einander in idealer Weise ergänzen.

Laut Theorie müssten die Gravitationswellen bei einer Kollision zweier Neutronensterne eine andere Signatur haben als bei Schwarzen Löchern: Sie dauern bis zu eine Minute lang statt Sekundenbruchteile. Ließe sich durch Teleskope bestätigen, dass es praktisch zeitgleich zu Gammablitzen kam, wäre die Theorie bestätigt, dass diese auf Neutronensternkollisionen zurückgehen.

...für den Physiknobelpreis 2017

Die Datensammlung von Ligo und dem italienischen Schwesterobservatorium Virgo wird offiziell am Freitag abgeschlossen. Danach wolle man nur Dinge bekanntgeben, die gut abgesichert sind. Sollten sich die Gerüchte freilich bewahrheiten, dann wäre das gewiss ein weiterer guter Grund, den Physiknobelpreis 2017 für die Entdeckung der Gravitationswellen zu verleihen. (tasch, 25.8.2017)