Wir sind am Anfang unserer Expedition in den Anden Perus. Seit knapp einer Woche gehören Kopfschmerzen und Kurzatmigkeit zu unserem Bergsteiger-Alltag und trotzdem möchten wir mit niemanden tauschen. Wir liegen in unserem Zelt im Basecamp auf 4600 Metern Seehöhe im Llanganuco-Tal, das Teil des Huascaran-Nationalparks ist. Der Nevado Pisco, mit seinen 5752 Metern, bietet uns einen atemberaubenden Ausblick. In zwei Tagen wollen wir auf seinem Haupt stehen. 

Auf dem Weg ins Basislager, im Hintergrund der Nevado Pisco.
Foto: Christian Wurzer
Leben im Basislager auf 4600 Metern: Ordnung und Struktur im Zelt ist das A und O.
Foto: Christian Wurzer

Leben im Basislager und "Uno"-Karten

Noch zwei Tage haben wir Zeit zur Akklimatisierung. Im Grunde liegen wir die meiste Zeit in unserem Zelt, kochen Wasser oder schlafen. Wir lachen viel miteinander und sind aufgeregt. Im alpinen Stil gehört es dazu, alles auf eigene Faust zu machen: Weder Träger noch Bergführer ab dem Basislager, keine Köche oder die Zuhilfenahme von Fixseilen. Alles aus eigener Kraft und Können. Während unserer Zeit im Basislager gönnen wir uns eine warme Mahlzeit auf dem Rifugio Peru, eine Schutzhütte, die – vom Zustand der Spielkarten ausgehend – die wohl abgenutztesten "Uno"-Karten der Welt bereitstellt.

Abstieg vom Moränenlager am Pisco zurück ins Basislager – Akklimatisierung ist das wichtigste.
Foto: Christian Wurzer
Spielzeit auf dem Rifugio Peru.
Foto: Christian Wurzer

Kleiner Mitternachtssnack und ein eiskalter Aufstieg

Unser Handywecker klingelt. Ich strecke mich, werde nur schwer richtig wach. Meinen Kameraden geht es ähnlich. Es ist Mitternacht und Gipfeltag. Wir ziehen uns an, kochen noch einmal Wasser für uns, damit alle Flaschen aufgefüllt sind. Wir würgen Mitternachtssnack und Frühstück in einem runter. Gegen ein Uhr in der Früh machen wir uns dann im Licht der Stirnlampen an den langen Aufstieg. Fuß vor Fuß, tief ein- und ausatmen. Die ersten 500 Meter sind anstrengend. Durch das massive Blockwerk dieser großen Moränen steigen wir in Richtung Einstieg des Gletschers, kommen aber sehr flott voran. Und mit Erreichen des Gletschers wird es merklich kälter – die kalte Stunde vor Sonnenaufgang rückt näher. Wir ziehen alles an, was wir dabei haben, die Kälte kriecht trotzdem durch unseren Körper. Die Gletscherausrüstung sitzt, wir seilen uns an und machen die ersten steilen Schritte auf dem Gletscher. 

Fertig machen für den Gipfeltag – es ist Mitternacht.
Foto: Christian Wurzer
Der Pisco im Sternenlicht hinter uns – wir sind am Gletscher angekommen.
Foto: Christian Wurzer

Im Stirnlampen- und Sternenlicht

Der hart gefrorene Schnee knirscht mit jedem Schritt. Sonst ist es sehr ruhig um uns herum. Die anderen Seilschaften haben wir hinter uns gelassen, zwei weitere sind ein ganzes Stück vor uns. Immer wieder überwinden wir Steilstufen, die uns viel Kraft kosten. Auf 5200 Metern erreichen wir ein Plateau, auf dem wir etwas pausieren können – eine Pause, die wegen der Kälte nur sehr kurz ausfällt. Am Horizont dämmert es und uns läuft ein Schauer über den Rücken. Diese Kulisse ist so schön, das man sie kaum für real hält. Es wird heller und der Gipfel kommt näher.

Aufstieg über mächtige Spalten und Abbrüche.
Foto: Christian Wurzer
Im Morgengrauen ist es bitterkalt. Im Hintergrund der Huandoy (6360m)
Foto: Christian Wurzer

Es ist ein langer und harter Weg auf den Gipfel

Wieder überwinden wir Steilstufen und werden langsamer, denn die Luft wird immer dünner. Und dann, kurz nach Sonnenaufgang, müssen wir noch einmal die Zähne zusammen beißen: Der Gipfelaufschwung steht uns bevor. Noch gehen wir im Schatten des Berges und es ist bitterkalt. Schritt, Schritt, Pause, Schritt, Schritt, Pause. Und dann endlich setzen wir unsere Füße auf das Gipfelplateau des Nevado Pisco. Glücksgefühle übermannen uns, Tränen fließen, Sonnenstrahlen wärmen unsere Körper. Alle Strapazen des Aufstiegs sind sofort vergessen. Das ist es, was den Gipfelsturm ausmacht: Diese fünf oder zehn Minuten auf der Spitze, für die man Stunden an Strapazen auf sich nimmt. Für uns ist es ein besonderer Gipfelerfolg, ein ehrlicher und genießen den Weitblick auf die vielen 6000er um uns herum. 

Kurz unterhalb des Gipfels – endlich erwischen wir ein paar Sonnenstrahlen.
Foto: Sabrina Schulze
Am Gipfel ist schon reger Verkehr – bald haben wir es geschafft.
Foto: Sabrina Schulze

Der Gipfel gehört einem erst, wenn man wieder unten bist

Jeder Gipfel-Moment endet und wir machen uns bereit für den Abstieg. Jetzt in den frühen Morgenstunden ist der Schnee und das Eis noch gefroren, die Schneebrücken über die Spalten sicher. Deutlich schneller als noch im Aufstieg machen wir viele Meter nach unten und erreichen den Ausstieg des Gletschers nach nur einer Stunde. Uns ist richtig warm geworden: Handschuhe und Daunenjacken wandern in die Rücksäcke. Jetzt haben wir alle Zeit der Welt, können den weiteren Abstieg ins Basislager genießen. Zur Feier des Tages gönnen wir uns am Rifugio Peru ein Bier und stoßen auf unseren ersten Gipfelerfolg der diesjährigen Expedition an.

Weitere Berichte zur Expedition finden Sie auf wusaonthemountain.at. (Sabrina Schulze, Christian Wurzer, 8.9.2017)

Abstieg über die großen Flanken des Nevado Pisco mit Blick auf den Huandoy.
Foto: Sabrina Schulze
Das Rifugio Peru im Basislager auf 4600 Metern – jetzt ein Bier.
Foto: Sabrina Schulze

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