Wien – Spät, aber nicht zu spät stellt Pauline Duhez sich selbst eine wichtige Frage: "Ich will über das Programm reden." Das liegt tatsächlich nahe, denn immerhin ist sie Spitzenkandidatin für eine rechtspopulistische Partei in einer nordfranzösischen Kleinstadt, und bisher hat sie sich inhaltlich wenig für deren Politik interessiert.

Anklänge an Marine Le Pen sind nicht zufällig, sondern Absicht: Émilie Dequenne (Mitte) spielt eine Krankenschwester, die als rechtspopulistische Spitzenkandidatin in die Politik geht.
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Sie hat sich die Haare blond färben lassen, und sie ist mit der Parteivorsitzenden vor die Kamera getreten, aber sie hat nie genauer wissen wollen, wofür die Rassemblement National Populaire oder der Bloc patriotique eigentlich stehen. Pauline Duhez ist eine Art Marionette, und zwar in doppelter Hinsicht: Sie soll auf lokaler Ebene eine umstrittene Politik auf eine "volksnahe" Weise präsentabel machen, und sie soll zugleich als Filmfigur in einer erfundenen Erzählung auf reale Umstände verweisen.

Denn der Film Das ist unser Land! (im französischen Original: Chez nous) von Lucas Belvaux ist unverkennbar auf den Front National und dessen Spitzenkandidatin Marine Le Pen gemünzt, von der bis vor wenigen Monaten noch viele Menschen glaubten, sie wäre in der Lage, das ganze institutionelle Europa in seine Einzelteile (und -währungen) zu zerlegen.

In Frankreich kam der Film pünktlich zum Präsidentschaftswahlkampf im Mai in die Kinos, in den deutschsprachigen Ländern hat er die übliche Verspätung und mag nun ein wenig unzeitgemäß erscheinen. Das erweist sich aber als ein nebensächlicher Aspekt angesichts der Frage, ob Belvaux mit seinen erzählerischen Mitteln nicht insgesamt das Thema verfehlt.

Darauf gibt es zwei denkbare Antworten, sie entsprechen in etwa den Konstellationen, auf die man beim Thema Populismus insgesamt trifft. Lucas Belvaux möchte eindeutig auf eine populäre oder vielleicht auch populistische Weise mit diesem Thema umgehen. Das beginnt bei der Wahl der Hauptfigur, einer alleinerziehenden Mutter, die tagtäglich als mobile Krankenschwester von einem Patienten zum nächsten eilt (Émilie Dequenne). Pauline Duhez wird von dem Arzt Dr. Berthier (André Dussollier als weißgraue Eminenz) zu einer Rolle überredet, die Belvaux nicht sehr genau ausführt: Die Szenen über den politischen Betrieb im engeren Sinn sind eher kursorisch.

Das Feld der (Post-)Politik

Stattdessen möchte Belvaux das Feld sichtbar machen, in dem diese (Post-)Politik, die "weder links noch rechts" sein möchte, operiert. Und bei diesem Versuch lässt er es an griffigen Methoden nicht mangeln: Die Partei, die in seinem Film den Front National vertritt, umstellt Pauline mehr oder weniger vollständig mit einem höchst fragwürdigen Netzwerk aus Geheimdienstlern und Paramilitärs, wobei als besondere Pointe noch hinzukommt, dass der fragwürdigste dieser "Neonazis" oder "revolutionären Nationalisten" ein Jugendfreund von Pauline ist, in den sie sich – dramaturgisch passenderweise – wieder verliebt.

Es gibt aus der jüngeren Vergangenheit eine ganze Menge Vorbilder dafür, von der Politik als einem Drama an der Grenze des privaten Lebens zum öffentlichen Schauspiel zu erzählen. In Frankreich könnte man etwa auf Pierre Schoellers formidablen L'exercise de l'État (2011) verweisen, der diese Grenze brillant unkenntlich machte. Lucas Belvaux hingegen setzt (trotz einer ungeschickten Schlusspointe) eindeutig auf die Regenerationskraft des Alltags, und bietet als Botschaft im Grunde vor allem an, die Politik wegzuwerfen wie eine Brille, durch die man alles schwarz sieht.

Das gilt weitgehend aber auch für seinen Film, sodass es doch gute Gründe für die zweite Antwort gibt: Auch ein populäres Kino steht in der Verantwortung, zu differenzieren und nicht einfach die einfachsten Abbildungsverhältnisse zu reproduzieren. Das ist unser Land! weiß von der Politik nicht sehr viel mehr, als dass alles eine große Intrige ist. Da ist Belvaux von dem Methoden, die er kritisiert, am Ende gar nicht weit entfernt. (Bert Rebhandl, 29.8.2017)