Nachdem bereits am Montagnachmittag im Rahmen einer sogenannten Breakout-Session der Rechtsgespräche das Thema Digitalisierung in Rechtsberufen durchleuchtet wurde, hat sich gegen Abend noch einmal ein eigenes Panel der europäischen Initiative "Charta der digitalen Grundrechte der Europäischen Union" angenommen.

Das vage Vorhaben, das aus 23 Paragraphen besteht und größtenteils von juristischen Laien abgefasst wurde, sieht sich in seinem Selbstverständnis als Diskussionsgrundlage, das in einem Konvent münden soll. Konkrete Pläne dazu konnten aber von der Repräsentantin am Panel, Jeanette Hofmann, Professorin für Internetpolitik an der Freien Universität Berlin, nicht vorgelegt werden. Hofmann sieht die Charta, die sie mitinitiiert hat, als Weiterentwicklung zu bereits bestehenden Menschenrechtsinstrumenten und verlangt vom Gesetzgeber eine stärkere Drittwirkung der digitalen Grundrechte gegenüber Unternehmen.

Das Panel diskutierte die Idee einer Charta zu digitalen Grundrechten.
Foto: Bettina Keimel

Zu den prominenten Unterstützern dieser Charta zählen bekannte Kolumnisten großer, deutscher Zeitungen, zahlreiche Politiker sowie Sozialforscher, darunter auch Muna Duzdar, Staatssekretärin für Digitalisierung im Bundeskanzleramt. Duzdar, die kürzlich ihre "Digital Roadmap Austria" vorgestellt hat, will insbesondere den raschen Wandel von Klein- und Mittelbetrieben hin zur digitalisierten Wirtschaft forcieren und bietet bei deren Umsetzung mit mehreren Programmen weitreichende Unterstützung. Neben diesem Hauptanliegen setzt Duzdar auf Frauenförderung, die sie insbesondere mit nicht unbeachtlichen finanziellen Anreizen für Unternehmen steigern möchte.

So erhielt etwa das Start-up "Parkbob", das sich in Alpbach ebenso präsentierte, aufgrund seines Frauenanteils von 50 Prozent großzügige Fördermittel. Durch die Digitalisierung erwartet Duzdar einen Paradigmenwechsel hin zu neuen Beschäftigungsformen, der eine weitergehende Pluralisierung des Arbeitsmarktes bedeutet. Sie betonte die Chancen, die sich durch eine Implementierung von digitalen Elementen in Unternehmensprozesse ergeben, und stemmt sich gegen die von vielen heraufbeschworene Gefahr der Digitalisierung für den österreichischen Arbeitsmarkt.

Estland als Vorbild im Umgang mit Daten

Als Vertreterin der digitalen Grundrechts-Charta hatte es Hofmann schwer, die Podiumsgäste zu überzeugen. Ihr Initiativprojekt wurde umgehend mit Kritik überhäuft. Relativ neutral war dagegen die einleitende Keynote von Alex Pentland, dem ehemaligen Leiter des MIT Media Lab Asia. Er forderte, dass die Daten eines Nutzers einzig und allein nur für den von ihm zugestimmten Zweck benützt werden und propagiert Estland als großes Vorbild für die Schaffung einer sicheren, digitalen Identität, die vom Individuum kontrolliert werden kann und schlussendlich auch muss.

Verbesserungsbedarf am estländischen Modell sieht er lediglich bei der menschlichen Steuerung und Endüberwachung, welches er nun mit einem größeren Konsortium erarbeitet und das unterm dem Titel "Opal" (Open Algorithms) läuft. Schlüssel für eine zukünftige sichere Nutzung müsse die menschliche Überprüfbarkeit sein. Erstrebenswert sei es, so Pentland, Eigentümer seiner digitalen Identität in demselben Sinne zu sein, wie über seine körperliche.  

Viel Kritik an der Charta

Astrid Auer-Reinsdorff, Fachanwältin für IT-Recht, steht der Charta kritisch gegenüber und bemängelt den fehlenden Austausch mit der Zivilgesellschaft aus anderen europäischen Staaten und die vorherrschende deutsche Dominanz an diesem Projekt. Seit Vorstellung der Charta im Dezember 2016 ist es immer noch nicht gelungen, weitere europäische Partner zu begeistern. Zudem sei laut Auer-Reinsdorff das Vorhaben nicht zukunftsgerichtet ausgelegt und viel zu technikverliebt. Darüber hinaus würden Unternehmen vor unlösbare Probleme bei der Umsetzung gestellt werden.

Sophie Martinez, Gründerin von Seinfeld Professionals, stimmte dem zu, auch sie sieht die Charta als unbrauchbar an. Ausreichender Rechtsschutz von europäischen Höchstgerichten und dem EuGH sei Dank mutiger und politikkorrigierender Entscheidungen wie "Safe Harbor" oder "Google vs. Spain" genügend gegeben, so auch Anwalt Gabriel Lansky. Er negierte ebenso den weitreichenden Nutzen, dass es aber an konkreten Normen für den digitalen Alltag mangele, sei dahingestellt.

Markus Kainz, Vorstand des Vereins Quintessenz, befürchtet mit einer Bindung an eine digitale Grundrechtscharta eine Einschränkung der technischen Weiterentwicklung und sprach sich ebenso klar gegen das Projekt aus. Dem konnte Andrea Jelinek, Leiterin der österreichischen Datenschutzbehörde, nur zustimmen. Ihrer Meinung nach reiche die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte aus 1948 vollkommen aus, um auch gegenwärtigen technischen Entwicklungen, die grundrechtsbedrohend sein könnten, entgegenzuwirken. Darüber hinaus sei, ihrer Erkenntnis nach, die kommende EU-Datenschutz-Grundverordnung ein äußerst wirksames Instrument, um Unternehmen bei Datenschutz eindeutig Einhalt zu gebieten.

Mensch und Maschine

Konflikt und Kooperation – das diesjährige Thema des Europäischen Forums Alpbach, kam auch bei dieser Diskussionsrunde nicht zu kurz. Einhellige Zustimmung aller beteiligten Diskutanten gab es etwa bei dem Bedarf an Überwachung automatisierter Maschinen und Algorithmen bei ethischen Entscheidungsfindungen, besonders im medizinischen Bereich. Fachliche Expertise und langjährig aufgebauter Erfahrungsschatz dürfen keineswegs ausgrenzt werden. Grundtenor der Schlussrunde: Schlussendlich soll es stets dem Menschen belassen werden, wie mit Entscheidungen der Maschinen umgegangen wird. (Bettina Keimel, 30.8.2017)

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