Auf dem Wahlplakat der SPÖ aus dem Jahr 1953 wirft man der ÖVP "Rentenraub" vor – eine Sprache, die man heute nicht mehr gewohnt ist

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Nationalratswahlen 1956: Die ÖVP plakatierte damals noch viel Text. Heute setzt man mehr auf Spitzenkandidaten

Foto: Wienbibliothek im Rathaus, Plakatsammlung

Auf ihrem aktuellen Wahlplakat versucht die SPÖ mit Verteilungsgerechtigkeit zu punkten – eine klassisch sozialdemokratische Botschaft

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Die Grünen bewerben die (noch) relativ unbekannte Spitzenkandidatin Ulrike Lunacek

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Bei der ÖVP dreht sich alles um die "Marke Kurz" und seine "neue Volksbewegung"

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Mit ihrem "Österreicher verdienen Fairness"-Plakat kritisiert die FPÖ die Regierungsarbeit der rot-schwarzen Koalition

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Die Neos versuchen mit Originalität zu punkten und plakatieren Bürgeranliegen in Spiegelschrift

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Die Liste Pilz kritisiert mit ihrem "einzigen" Plakat die teuren Wahlplakate der Parlamentsparteien

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Wien – In Zeiten des Internets ist Wahlwerbung günstig und einfach. Noch nie war es für eine Partei so leicht ihre Botschaft in die Öffentlichkeit zu tragen. Wahlplakate braucht man nicht mehr, könnte man fast meinen. Trotzdem verneinen Experten das: Für die Wahlentscheidung selbst seien sie zwar unmittelbar nicht ausschlaggebend, sagt Politikwissenschafter Peter Filzmaier. Wichtig seien sie aber für die Mobilisierung der eigenen Parteifunktionäre, denn diese "kriegen die Krise, wenn alle anderen Parteien bei der Autobahnabfahrt stehen und ihre nicht. Das verhindert Geschlossenheit im Wahlkampf." Der Pressesprecher der SPÖ Hannes Uhl kann das bestätigen. Er weiß, dass die eigenen Funktionäre sofort in der Parteizentrale anrufen, wenn "lauter Strache-Plakate in ihrem Ort hängen" und sich die Frage "Wo sind eigentlich wir?" aufdränge.

Dass die traditionellen Wahlplakate nur für die Motivation der eigenen Leute gut sind, könne man trotzdem nicht sagen. Denn Plakate werden wahrgenommen: "98 Prozent der Bevölkerung sehen die Plakate. Man entkommt ihnen nicht", sagt Filzmaier.

Diese Wahrnehmung ist den Parteien viel Geld wert. Immerhin haben die fünf Parlamentsparteien laut Zahlen der Focus Marketing Research in den Monaten Jänner bis Juni dieses Jahres schon 1.750.682 Millionen Euro allein in die Wahlplakate gepumpt. Die ÖVP ist dabei mit einer Summe von 676.852 Euro Spitzenreiter im Ranking der Plakatausgaben, gefolgt von FPÖ und SPÖ. Die wiederum steht an dritter Stelle vor den Grünen. Die Neos belegen mit einer Summe von 69.260 Euro den letzten Platz. Bis zur Wahl im Oktober können diese Ausgaben noch in die Höhe schnellen.

"Was gibt es wichtigeres als Öffentlichkeit?"

Mariusz Jan Demner weiß um die Bedeutung der Plakate. Zwei Mal, 2008 und 2013, war der Werber mit der kommunikativen und strategischen Ausrichtung des Wahlkampfes der SPÖ beauftragt – und war somit der Kopf hinter der roten Wahlkampagne. Beim ersten Mal schaffte die damals in Umfragen geschwächte SPÖ unter dem unscheinbaren Parteichef Werner Faymann den überraschenden Sieg. An Plakaten gehe jeder irgendwann vorbei, sagt Demner, "es ist das Medium, das die größte Öffentlichkeit erzeugt und Medienberichterstattung bewirkt und was gibt es wichtigeres für eine Partei als Öffentlichkeit?"

"Umwegrentabilität" nennt Filzmaier das: Plakate lösen Medienberichterstattung aus und die wiederum sorge dafür, dass Menschen darüber sprechen. "Bei den ausgelösten Diskussionen will man als Partei nicht nicht dabei sein. Sie haben eine indirekte Wirkung auf die Wähler", sagt Filzmaier.

An der Spitze steht der Spitzenkandidat

Vorausgesetzt, die Wahlplakate sind auch gut gestaltet. Der erste Schritt, um das zu überprüfen, ist für Demner das Plakat auf Papierblatt-Größe aus mehreren Metern Distanz mit zugekniffenen Augen zu betrachten So erzeuge man nämlich denselben "verhuschten Blick", den Autofahrer haben, wenn sie an den Plakaten vorbeifahren. "Wenn da was hängenbleibt, weiß man, dass das Plakat Wirkung entfalten kann", sagt Demner, "denn ein Plakat funktioniert entweder auf den ersten Blick oder gar nicht."

Ein gelungenes Wahlplakat kann man sich wie eine Pyramide vorstellen: Ganz unten steht das Programm, in der Mitte die Botschaft und an der Spitze, der Kandidat. Ganz wichtig sei: Ja nicht zu viel Text. "Wahlkämpfe gewinnt man heute nicht mit Programmen, sondern durch eine konsistente, kompakte Zeichensetzung und einen geeigneten Spitzenkandidaten", sagt der Ex-Wahlwerber.

Vom Parteibezug zum Personenbezug

Früher sei das anders gewesen: "Vor allem in der ersten Republik waren noch viel mehr Informationen auf Wahlplakaten zu sehen. Heute ist das nicht mehr notwendig, weil ich mir die Information von wo anders hole", sagt Günther Burkert-Dottolo, Studienleiter des Forschungsprojektes "Ikonographie und Narrative von Wahlplakaten". Als solcher hat er sich mit einer Gruppe von Wahlexperten die Plakate vergangener Nationalratswahlkämpfe angeschaut und analysiert. Auffallend sei vor allem die "massivere, brutalere Sprache" auf den Wahlplakaten, die man sich heute nicht mehr vorstellen könne. Dottolo erinnert dabei an ein Wahlplakat der SPÖ aus dem Jahr 1953. Unter dem Slogan "Wehrt euch gegen Rentenraub! Wählt SPÖ!" ist der Konkurrent ÖVP als dicke, schwarze Figur mit Kapitalisten-Zylinder dargestellt. Mit einem über die Schulter geworfenem schweren Sack macht er sich mit den Renten der "Witwen und Waisen, Alten und Kranken, Invaliden und Kriegsopfern" aus dem Staub. "Heute ist man elegantere Sprache gewohnt", sagt Dottolo, "und mehr Personen statt Parteien".

Authentische Inszenierung statt Werbung

Wann die Fokussierung auf einen einzelnen Kandidaten wirklich begonnen hat, ist schwer zu sagen. Fest steht, dass die zunehmende Bedeutung des Fernsehens und die ersten politischen TV-Duelle in den 1970er Jahren unter Altkanzler Bruno Kreisky eine große Rolle dabei gespielt haben. Das Fernsehen bringe die Kandidaten also erstmals in alle Wohnzimmer und sorge dafür, dass "heute nicht die SPÖ etwas für uns erreicht, sondern der Kern", sagt Filzmaier. Er ortet dahinter aber ein gesellschaftliches Phänomen, das quer durch alle Lebensbereiche den einzelnen Menschen in den Vordergrund stellt, denn "früher hat man auch nicht gewusst wer Unternehmensführer ist, heute ist es eben Bill Gates oder Mark Zuckerberg."

Was auch besonders auffalle, wenn man die jetzigen Wahlplakate mit den damaligen vergleiche, seien die Menschen, die auf den Fotos der Spitzenkandidaten zu sehen seien, sagt Dottolo. Während nämlich früher in erster Linie "von den Agenturen gecastete Leute" plakatiert wurden, verwende man heute "Originalfotografie", der Spitzenkandidat bei einer Wahlveranstaltung zum Beispiel – authentische Inszenierung lautet das neue Motto.

(Un)überzeugende Wahlplakate

Für Filzmaier steht fest, dass jede Partei mit ihren Wahlplakaten und Botschaften vor ganz eigenen Hürden stehen wird: "Der ehemalige Vorstandsvorsitzende Christian Kern als Klassenkämpfer? Die neue, unbekannte Ulrike Lunacek, die sich gegen drei starke Spitzenkandidaten beweisen muss? Ein Sebastian Kurz, der auf seinen Plakaten schon davon ausgeht, dass er sich in der Bevölkerung als "neue Volkspartei" etabliert hat? Eine FPÖ, die eigentlich keine neue Botschaft bietet?"

Die Neos hingegen verzichten bei den Wahlplakaten auf eine Bebilderung ihrer Spitzenkandidaten Matthias Strolz und Irmgard Griss und plakatieren lieber Bürgeranliegen in Spiegelschrift. Ob sie mit der "schwer zu entziffernden Schrift" bei einer breiten Wählerschaft wirklich punkten können, bleibt laut Filzmaier abzuwarten. Und da ist noch Peter Pilz. Der plakatiert den Slogan: "1 Wahlplakat, UNSER EINZIGES! – 0 Euro Steuergeld, 0 Belästigung". Damit spielt er wohl auf die nächste Plakatserie der Parlamentsparteien an, die jedenfalls schon in den Startlöchern steht. (Marija Barišić, 7.9.2017)