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Der russische Starregisseur Kirill Serebrennikow steht unter Arrest. Ihm wird Veruntreuung vorgeworfen. Er selbst bestreitet das.

Foto: Reuters

Kirill Serebrennikow erinnert ganz und gar nicht an einen gefährlichen Terrorverdächtigen, und er gilt auch nicht als gewaltbereit. Dass er bei jener Haftverhandlung in Moskau, bei der über den russischen Theaterregisseur wegen angeblicher Finanzdelikte Hausarrest verhängt wurde, jedoch von vermummten Agenten des Inlandsgeheimdiensts FSB in den Gerichtssaal gestoßen wurde, sorgte vergangene Woche für Verwundung. Denn normalerweise werden in Russlands Gerichten Festgenommene von Justizwachen oder der Polizei eskortiert.

Am Dienstag sorgte nun ein Moskauer Qualitätsmedium für Aufklärung: RBK berichtete, dass ausgerechnet die auf Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung spezialisierte Abteilung des FSB mit der Causa Serebrennikow befasst sei. Eine Unterabteilung des sogenannten zweiten Diensts sei für das Kulturministerium zuständig.

FSB-Spezialisten für Kultur

"Theater und Museen werden von Abteilungen für Verfassungsschutz beobachtet. Dort arbeiten bestens qualifizierte Spezialisten, die etwas von Kunst und Kultur verstehen", zitierte RBK Alexander Michajlow, einen ehemaligen stellvertretenden Leiter der betreffenden Unterabteilung. Kultureinrichtungen könnten von der gegnerischen Propaganda verwendet werden, um ein feindseliges Verhältnis zur Russischen Föderation zu formieren, ergänzte Michajlow. Zudem seien auch Anwerbungen möglich.

Dass sich der FSB zunehmend mit Kultur beschäftigt, gilt als offenes Geheimnis. "Wie schon in sowjetischen Zeiten sind in allen größeren Kulturinstitutionen zuletzt 'Kuratoren' des Geheimdiensts aufgetaucht – ich habe sie selbst gesehen", erklärte vergangenes Jahr etwa ein hochrangiger früherer Mitarbeiter einer staatlichen Kunstinstitution gegenüber dem STANDARD.

Exil oder Schloss und Riegel

Seit Ende der 1960er-Jahre war die ideologische fünfte Hauptabteilung des sowjetischen KGB, die 1989 noch in Abteilung für Verfassungsschutz unbenannt wurde, für Kultur zuständig. Diese KGB-Agenten sorgten aber auch dafür, dass zahllose Kulturschaffende ihrer sozialen Existenz beraubt, ins Exil vertrieben oder mittels fingierter Strafverfahren hinter Schloss und Riegel gebracht wurden.

Ende der 1980er-Jahre war es als Konsequenz von Michail Gorbatschows Perestrojka damit jedoch vorbei, und der KGB verlor die Kontrolle über den Kulturbetrieb. Mit der "Beobachtung" des Kulturbetriebs tritt nun der FSB in die Fußstapfen seines Vorläufers.

Als Kirill Serebrennikow vergangene Woche in St. Petersburg verhaftet wurde, drehte er ausgerechnet einen Film über Wiktor Zoi. Der aus der Newa-Metropole stammende und bereits 1990 verunglückte Rockstar hatte mit seinen Superhits den Wunsch der Jugend nach Wandel besungen und damit das Ende der Sowjetunion musikalisch miteingeleitet.

Klaffende KGB-Wunde

Ehemalige KGB-Kulturbeauftragte erinnert Zoi freilich an eine schmachvolle und historische Niederlage, die manche Petersburger Geheimdienstveteranen nach STANDARD-Recherchen nie wirklich überwunden haben. Ob das auch für Generaloberst Alexej Sedow gilt, ist unklar. Sedow, der laut Medienberichten seit dem Jahr 2006 die FSB-Verfassungsschutzabteilung anführt und nun auch mit der Causa Serebrennikow zu tun hat, war jedenfalls selbst in den 1980er-Jahren beim KGB in Leningrad, dem heutigen St. Petersburg, tätig.

In der Ära Putin und vor seiner aktuellen Berufung zum FSB fungierte Sedow in einer Drogenbekämpfungsbehörde zudem als Stellvertreter von General Wiktor Tscherkessow, der seinerseits in den 1980er-Jahren die fünfte KGB-Hauptabteilung in Leningrad geleitet hatte. (Herwig G. Höller aus Moskau, 31.8.2017)