Susanne Felicitas Wolf hält die Tendenz, Romane für das Theater aufzubereiten, für keinesfalls verwerflich: "Durch jede Aufgabe, die zu mir findet, lerne ich als Dramatikerin etwas Neues!"

Foto: Robert Newald

Wien – In der Bearbeitung unübersichtlicher Stoffe besitzt Susanne F. Wolf Erfahrung. Als der Australier Barrie Kosky 2012 an der Berliner Komischen Oper fulminant seine Intendanz startete, begann er gewissermaßen am Nullpunkt der Gattung. Er zeigte alle drei Opern Claudio Monteverdis hintereinander am Stück: Orpheus, Odysseus, Poppea.

Wolf, die geübte Dramaturgin, war die Neuübersetzerin. Heute sagt sie: "Das ist etwas, was man nur einmal im Leben macht. Die Premiere dauerte von elf Uhr früh bis elf Uhr nachts." Alles an dem Marathon erinnerte an den alten Theaterwitz, in dem ein gefeierter Mime einen Hänger hat. Die Souffleuse fängt, wie üblich, professionell zu wispern an. Worauf der Mann die Dame – für alle weithin hörbar – anherrscht: "Keine Details, gute Frau. Das Stück!"

Der furiose jüdische Intellektuelle Kosky machte heuer in Bayreuth sogar als Wagner-Regisseur von sich reden. Beinahe vergessen ist, wie er 2001 das Wiener Schauspielhaus mit einer radikalen Neufassung von Euripides' Medea im Sturm eroberte. Die damalige Autorin: Susanne F. Wolf.

Von Kosky hat Wolf, wie sie erzählt, die für sie wichtigste Theatermaxime gelernt: "What's wrong with Tingeltangel?" Heute ist die gebürtige Mainzerin die fleißigste Gebrauchsdramatikerin nicht nur in Wien und Umgebung. Sie muss jetzt nicht mehr "deutsche Buchstaben unter schräge Notenwerte pressen". So wie damals, als sie mithalf, Monteverdi neu zu erfinden. Kosky lohnte ihr den Einsatz übrigens, indem er sie ein Kinderstück nach den Brüdern Grimm schreiben ließ. Titel: Schneewittchen und die 77 Zwerge.

Szenischer Totentanz

Am Samstag feiert der Roman- und Filmstoff Der Engel mit der Posaune Premiere im Wiener Josefstadt-Theater. Die epische Vorlage entstammt der Feder des Dramaturgen und Autors Ernst Lothar (1890-1974). Eine vor allem gutgemeinte Verfilmung half 1948 mit, den Schmutz des Nationalsozialismus von Österreich abzuwaschen. Paula Wessely, Attila Hörbiger, Hans Holt und Oskar Werner bildeten, neben vielen anderen, das damalige Starensemble.

Die Naziherrschaft war über die Alts, eine Wiener Klavierbauerdynastie, wie eine Naturgewalt hinweggefegt. "Der Film war sehr weit weg vom Roman, das war auch Lothar nur zu bewusst." Wolf zückt ihr zerlesenes Buchexemplar. Klammern halten die Kapitel zusammen. Lothar schrieb die Chronik eines familiären Zerfalls im US-Exil. Der Film sei, was die Mitschuld der Österreicher am Nazismus betrifft, "mit sanfter Feder gemalt".

Susanne F. Wolf hat auf Grundlage des Romans eine neue szenische Partitur geschaffen, einen szenischen Totentanz voller rätselhafter Wendungen. Leitmotive führen durch das Seelendickicht der Figuren. Mit peinigender Insistenz kehren Begriffe wie "Pflichtbewusstsein, Ordnung, Glaube" wieder.

Verlangen nach Geschichten

Die alles verschlingende Lust der Theater an dramatisierten Romanen kann sich Wolf gut erklären: "Zum einen möchten die Häuser dem Publikum mit guten Titeln entgegenkommen. Dazu gibt es ein Verlangen nach ,schönen', bewegenden Geschichten."

Wolf, die Wien liebt und doch nach vielen Jahren ihre deutsche Herkunft nicht verleugnen mag, kehrt sich mit Schaudern von allfälligen Reinheitsgeboten ab. Auch Ernst Lothar, der Regisseur und Dramaturg, verhalf Grillparzer einst zu einer veritablen Renaissance, indem er ihn umschrieb. Wolf versteht sich als Anwältin des jeweiligen Stoffes. Schöpferische Eitelkeit ist ihr fremd. Die Tochter eines ZDF-Gewaltigen und einer Opernsängerin kann sich in die unterschiedlichsten Figuren verlieben. "Ich muss den Brandsatz spüren. Meine Stärke ist die Einfühlsamkeit."

Anfang der 1990er-Jahre konnte man Wolf-Texte in der Wiener Off-Szene erleben. Ein Antonin-Artaud-Solo (mit Thomas Stolzeti) brachte 1992 beinahe den Konzerthauskeller zum Einsturz. Ein böses, gieriges Flackern ging von dem Wiedergänger des wahnsinnigen Artaud aus. In den Jahren danach war sich Wolf nicht zu schade, auch für den Laxenburger Kultursommer zu schreiben, oder für Adi Hirschals Lustspielhaus.

Kitsch, Pathos, Gefühligkeit – Wolf führt sie bei Bedarf alle im Angebot. Vor allem versteht sie es, die Essenz von Figuren aufzuspüren. Für eine Tourneetheaterproduktion hat sie gerade ein Porträt Hildegards von Bingen angefertigt. Ihre eigenen Stücke verschont sie nicht. "Ich bin eine gefürchtete Streicherin, mache vor eigenen Zeilen nicht halt. Deshalb flossen schon Schauspielertränen. Nur bei der historischen Wahrheit gibt es kein Pardon. Da trete ich unnachgiebig für jede Figur ein." (Ronald Pohl, 1.9.2017)