Am Wiener Innenstadt-Haustor ist angeblich ein Engel mit Posaune zu sehen: Maria Köstlinger und Michael Dangl versuchen vergeblich, ein Ehebündnis zu schließen, das die Klavierbauerfamilie der Alts durch alle Fährnisse hindurch sicher in die neuen Zeiten hinüberträgt.

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Wien – Österreichs mögliche Wappenfigur, ein das Himmelsblech blasender Engel, hat es leider nicht bis ins Wiener Josefstadt-Theater geschafft. Dort verwehen zunächst Walzerklänge, letzte Bekundungen von Lebensfreude in einem verschatteten Ambiente.

Die Klavierbauerdynastie Alt lebt auf der Seilerstätte 10. Eine Mustersippe aus der Wiener Gründerzeit, tapfer um Mehrung von Sitte und Wohlstand bemüht. Ihre Gesinnung ist das Produkt von Traditionsbewusstsein, ein Hort der Stabilität in der verkrusteten Donaumonarchie. Der Weg der lieben Familie führt – über alle Umwege der Desperation und des Aufbegehrens – hinein in die nationalsozialistische Katastrophe.

Ausgerechnet Erbe Franz Alt (Michael Dangl) öffnet dem Flattersinn die Flügeltüren. Die bezaubernde Henriette (Maria Köstlinger) soll den Alts junges Blut zuführen. So steht es in Ernst Lothars unlängst wieder ausgegrabenem Epochenroman Der Engel mit der Posaune (1944). Eine Verfilmung mit Paula Wessely, Attila Hörbiger und Oskar Werner tat 1948 ein Übriges, den noch jungen republikanischen Nachkriegspatriotismus mit den unabgegoltenen Aspekten der heimischen Geschichte auszusöhnen.

Beschwingte Szenenfolge, schleppende Regie

Bühnenautorin Susanne F. Wolf hat jede Schlamperei abgewehrt. Sie hat aus dem dickleibigen Buch eine erstaunlich beschwingte Szenenfolge herausgefiltert. Drei Generationen von Alts huschen wie Gespenster vorüber. Kaum droht eine Gestalt zum Klischee zu erstarren, zerfällt sie schon wieder zu Innenstadtstaub.

Doch von törichten Liebenswürdigkeiten einer Gesellschaft, die mit sich uneins ist und ihre Heucheleien als Ballaststoff in die Erste Republik hinüberträgt, davon will die furchtbar schleppende Inszenierung Janusz Kicas nichts wissen. Ausstatterin Karin Fritz hat dafür eine besonders verspätete Hommage an den Wiener Historismus geleistet. Sie hat das Gründerzeitpalais als Burg von Mykene auf die Bühne geklotzt. Zu sehen ist eine schmauchschwarze Atriden-Kaserne, mit Bunkereingang und toten Balkontüren. Atemlos wartet man, dass Klytaimnestra in der Beletage erscheint.

Zahnwurzelbehandlung

In dieser zauberhaften Umgebung entfaltet auch der leichtlebigste Charme die Wirkung einer Zahnwurzelbehandlung. Bereits die erste Begegnung zwischen Franz und Henriette scheitert kolossal. Bei Alts wacht mit Tante Sophie (Marianne Nentwich) eine Fregatte über Unsitte und Anstand. Ihren antisemitischen Dünkel spielt die Dame wie ein Atout aus. Doch erzählt Nentwich immerhin von Österreich, von den tausend Tönen, die die immer selbe Borniertheit meinen.

Die liberale Professorentochter Henriette kann ihr Glück bei den Alts nicht finden. Da ist als erstes Hindernis ihre schwärmerische Liebe zum Kronprinzen. Xaver Hutter knallt den lebensmüden Rudolf als Roda-Roda-Karikatur hin. Ihr steht auch die Abneigung gegen Franz im Weg. Dangl mimt den Göttergatten als Pseudo-Sanguiniker mit böser Gereiztheit, die noch den Verzehr von Pistazieneis zur Gewalthandlung zwischen Eheleuten macht.

Je länger der Abend dauert, desto mehr meint man, dem Blätterfall eines Abreißkalenders beizuwohnen. Der Alt’schen Ehe entsprießen drei Kinder. Immerhin zwei von ihnen entstammen Franzens Lenden. Gepiesackt von der christlichsozialen Hüftsteifigkeit von Onkel Otto Eberhard (André Pohl), erleidet die Kinderschar Vitalitätsverluste.

Jedem seine kleine Unart

Jeder Spross kultiviert über den Epochensprung von 1918 hinweg seine Unart. Während Henriette sich an der Seite ihres Gemahls zur Verzichtsleistung emporläutert, herrscht in der Ersten Republik ein Kommen und Gehen von Pappendeckelkameraden.

Sohn Hans (Alexander Absenger) baut die Firma tugendflackernd zum Widerstandsnest gegen den Ständestaat um. Sein kurios näselnder Bruder Hermann (Matthias Franz Stein) geht den Nazis auf den Leim. Dazwischen huschen Schatten herum. Kaum irgendeinem gelingt eine umrissscharfe Zeichnung. Keine Figur wird unter irgendeine Lupe genommen oder nach ihren Beweggründen befragt. Dafür schwebt symbolschwer ein Klavier aus dem Schnürboden herunter. Hier wird ein Roman in eine Stellprobe verwandelt. Es ist, als bekäme man eine Torte versprochen und müsste Knäckebrot essen.

Das Publikum aber war kulinarisch zufrieden. (Ronald Pohl, 3.9.2017)