Führender Vertreter der US-Postmoderne: John Ashbery.

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Wien – Es ist dem berühmten Lyriker W. H. Auden (1907-1973) wohl nicht leichtgefallen, das Vorwort zu John Ashberys zweitem Gedichtband Some Trees (1956) zu schreiben. Zwar hatte Auden als Preisrichter seinem 29-jährigen Kollegen den "Preis der Yale-Universität für jüngere Lyriker" zugesprochen, das Vorwort des Altmeisters zu der mit dem Preis verbundenen Buchpublikation hatte jedoch wenig mit der in solchen Fällen üblichen gönnerhaften Empfehlung zu tun.

Auden erkannte zwar die Qualität der Gedichte, aber er war irritiert. Jahre darauf sagte er, er habe kein einziges Wort verstanden, das Ashbery geschrieben habe. Die Gegner und Bewunderer des lyrischen Werkes Ashberys, der einmal sagte, "ein Gedicht, das dem Leser etwas mitteilt, was er bereits weiß, teilt ihm gar nichts mit", sollten sich auch die folgenden sechs Jahrzehnte unversöhnlich gegenüberstehen. Dies obwohl oder gerade weil Ashbery bald als der führende, mit vielen Preisen ausgezeichnete Vertreter der postmodernen US-Lyrik galt.

Spiel mit Sprachmasse

In der Tat hat das mehr als zwei Dutzend Lyrikbände umfassende Werk des 1927 in der Nähe von New York geborenen Ashbery nichts mit einer zum identifikatorischen Lesen einladenden Erlebnis- oder Gefühlspoesie zu tun. Das Spiel mit der Vieldeutigkeit der Sprache interessierte diesen Lyriker, der in Harvard englische und französische Literatur studierte, weit mehr als das Generieren von Sinn. "Verse macht man nicht mit Ideen, sondern mit Worten", postulierte der von Ashbery geschätzte Stéphane Mallarmé.

Das macht Ashberys mehrdimensionale Gedichtcollagen, die Bedeutung ebenso hinterfragen wie die Festlegung auf ein verbindliches Ich, nicht leicht zu lesen – und schwer zu übersetzen. Ashbery selbst ermutigte die Leser stets dazu, Lyrik abseits akademischer Interpretation zu genießen. Im Band As We Know (1979) schreibt er: "Irgendein Spinner mit Diplom / Wird dir einzureden versuchen, es sei Lyrik, / (Es ist außerordentlich, es ergibt viel Bedeutung), / Aber pass auf, oder er wird mit dieser / Oder jener neuen Idee kommen und beide benutzen / und verlässt dich weiser und nicht leerer, obwohl / Am Rand eines Hügels stehend" (Übersetzung: Klaus Martens).

Mittendrin und doch am Rand ist auch Ashbery geblieben, der neben seiner Arbeit als Lyriker auch als Professor, Übersetzer aus dem Französischen (u. a. Rimbaud) sowie als Kritiker für Newsweek oder Art News tätig war. Wobei seine Beschäftigung mit Musik (John Cale) und Malerei auf vielfache Weise in seinem Werk Niederschlag fand.

John Ashbery verstarb, wie sein Ehemann David Kermani der Agentur AP mitteilte, am Sonntag 90-jährig in New York. (Stefan Gmünder, 4.9.2017)