Bild nicht mehr verfügbar.

Viele Zugewanderte aus Osteuropa arbeiten in der Altenpflege. Die ÖVP will, dass sie erst nach mehreren Jahren das Recht haben, Sozialleistungen in Anspruch zu nehmen.

Foto: dpa

Frage: Die ÖVP will die "Zuwanderung ins Sozialsystem" reduzieren. Aber was ist damit gemeint?

Antwort: Fachleute kennen diesen Begriff nicht, es handelt sich dabei um ein politisches Schlagwort. Die ÖVP zielt im ersten Teil ihres Wahlprogramms auf EU-Bürger ab, die nach Österreich kommen, um hier beispielsweise Familienbeihilfe oder Mindestsicherung zu beziehen. Konkret werden Rumänen und Bulgaren genannt. Für sie sei Österreich "attraktives Zielland" – und zwar, so die These der ÖVP, nicht nur in puncto Jobsuche, sondern auch, um hier gezielt beispielsweise Familienbeihilfe oder Mindestsicherung zu beziehen.

Frage: Was schlägt die ÖVP also vor?

Antwort: Laut dem ersten Teil ihres Wahlprogramms fordert die Volkspartei, dass "es einen Zugang zu Sozialleistungen erst nach den ersten fünf Jahren Aufenthalt gibt".

Frage: Können sich Ausländer in Österreich niederlassen, um hier vom Tag eins an Sozialleistungen zu beantragen?

Antwort: So einfach geht das nicht. Für Nicht-EU-Bürger sind die Hürden, um in Österreich überhaupt einen Aufenthaltstitel beantragen zu können, sehr hoch. Einfacher ist es für EU-Bürger. Auch sie müssen aber hier erwerbstätig sein oder sich selbst erhalten und versichern können, um einen Anspruch auf Sozialleistungen zu erwerben. Allerdings reicht theoretisch ein Tag reguläre Beschäftigung, um Anspruch auf Arbeitslosengeld zu haben – unter der Bedingung, dass die Betroffenen in einem anderen EU-Staat bereits ausreichend Versicherungsmonate erworben haben, die hier angerechnet werden.

Frage: Man braucht also theoretisch nur einen Tag lang hier gearbeitet zu haben und kann danach jahrelang Familienbeihilfe beziehen?

Antwort: Nein. Für die Familienbeihilfe sei ein Arbeitstag "sicher nicht ausreichend", sagt Sozialrechtsprofessor Walter Pfeil von der Uni Salzburg. Hier sei zumindest ein halbes Jahr Beschäftigung vonnöten.

Frage: Wie viele EU-Bürger arbeiten hier nur für kurze Zeit und beziehen danach Arbeitslosengeld?

Antwort: Nur sehr wenige. Rund 3.000 Menschen beziehen Arbeitslosengeld, obwohl sie weniger als drei Monate hier beschäftigt waren – das sind aber überwiegend Österreicher, die im Ausland gejobbt haben. Nur bei rund 880 dieser Fälle handelt es sich um Ausländer. Allerdings lässt sich generell sagen, dass Ausländer am heimischen Arbeitsmarkt stärker von Arbeitslosigkeit betroffen sind als Österreicher. Wobei die Unterschiede je nach Herkunftsland sehr groß sind: So sind Ungarn beispielsweise mit einer Arbeitslosenquote von 6,2 Prozent sogar weniger stark von Arbeitslosigkeit bedroht als österreichische Staatsbürger (acht Prozent), Rumänen dafür fast doppelt so stark (13,8 Prozent). Das erklärt sich auch dadurch, dass der Anteil der Ungarn an den in Österreich Beschäftigten höher ist als der Anteil der Ungarn an der Wohnbevölkerung. Anders gesagt: Viele pendeln über die Grenze, um hier zu arbeiten.

Frage: Wie viele EU-Bürger beziehen österreichische Familienbeihilfe?

Antwort: Das wisse man nicht, heißt es im Familienministerium auf STANDARD-Anfrage. Datenmaterial gebe es lediglich für jene Kinder von EU-Bürgern, die im Ausland leben und dort österreichische Familienbeihilfe beziehen. Auch hier handelt es sich vor allem um Kinder von grenznahen Arbeitskräften.

Frage: Wäre dieser Vorschlag der ÖVP mit EU-Recht vereinbar?

Antwort: So pauschal, wie die ÖVP es formuliert, wäre es nicht möglich. Wer erwerbstätig ist, aber zu wenig verdient, hat etwa Anspruch auf Aufstockung durch die bedarfsorientierte Mindestsicherung. Diese Aufstockung nur Inländern zu gewähren, nicht aber EU-Ausländern, wäre ein Verstoß gegen das Gleichbehandlungsprinzip. Dazu kommt, dass viele Sozialleistungen in Österreich ja auf einem Versicherungsprinzip basieren. Diese Versicherungsleistungen dürfen EU-Bürgern ebenfalls nicht verwehrt werden – sie haben ja eingezahlt. Ein EU-Bürger, der ausreichend lange beschäftigt war, hat also Anspruch auf Arbeitslosengeld und Notstandshilfe und eventuell auf Zuschuss aus der Mindestsicherung. Für ihn gilt aber wie für alle Jobsuchenden, dass er arbeitswillig sein muss und Jobs nur eingeschränkt ablehnen darf.

Im "ZiB 2"-Interview erklärt ÖVP-Chef Sebastian Kurz, dass das von ihm vorgestellte Programm vor allem kleine und mittlere Einkommen entlasten und Familien stärken soll.
ORF

(Maria Sterkl, 6.9.2017)