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Kurz bei der Präsentation seines Wahlprogramms: alles drin, was Stimmen bringt.

Foto: Reuters / Heinz-Peter Bader

Der Wahlkampf des Sebastian Kurz verläuft wie geschmiert: Seine Botschaften sind klar, seine TV-Auftritte geschmeidig bis elegant, und sein Team hält ihn sowieso für den Messias. Nach dem Meinungsumfragen-lehrbuch kann also eigentlich, wenn keine groben Eigenfehler passieren, bis zum 15. Oktober kaum mehr etwas schief gehen.

Die traumwandlerische Sicherheit, mit der sich der Kandidat durch diesen Wahlkampf bewegt, wurzelt offenbar in bestechend einfachen Überlegungen: Was muss ich sagen, wofür muss ich mich stark machen, um Kanzler zu werden? Was könnte denen gefallen, die bereit sind, mich zu wählen? Um welche Bevölkerungsgruppen (oder Lobbies) muss ich mich kümmern, wen kann ich links liegen lassen?

Streng zielorientert

Das Resultat dieses – mit Sicherheit sorgfältig angestellten – Nachdenkprozesses ist klar erkennbar: Der VP-Spitzenkandidat bedient genau jene Interessen, die ihn zum Ziel führen, er sagt, was die Leute hören wollen, ob das nun realistisch ist oder nicht, ob das mit christlichsozialen und christdemokratischen Grundwerten zusammenpasst oder nicht, ob das nun EU-Recht entspricht oder nicht.

Das große Ziel ist das Kanzleramt – alles andere ist vernachlässigbar. Politologen und Kritiker mögen das als "post-politisch" bezeichnen, aus Sicht der ÖVP-Wahlkämpfer ist es konsequent und effizient.

Angriffspunkt Sozialsystem

Da wird Unternehmern, mit für eine Wirtschaftspartei geradezu abenteuerlichen Finanzierungsmodellen, der Erlass der Körperschaftssteuer versprochen, da werden "die Familien" gestreichelt und Ausländer aller Art (EU-Ausländer, Asylwerber, Aufenthaltsberechtigte aus Drittstaaten) pauschal als "Zuwanderer ins Sozialsystem" bekämpft – was keineswegs der Wirklichkeit entspricht.

Die Mindestsicherung soll gekürzt werden, auf ein Niveau, bei dem man sich fragen muss, wie sich Menschen hier noch die (in den letzten 5 Jahren um 40 Prozent gestiegene) Miete für die Wohnung leisten sollen. "Fair geben, fair fordern" nennt das Kurz in seinem Programm. Das unterste Einkommensdrittel ist damit offenbar nicht gemeint, es wird von den schwarz-türkisen Steuerplänen, vor allem, was den Familienbonus betrifft, nicht profitieren.

Fairness ist relativ

Um beim Thema Fairness zu bleiben, muss man freilich hinzu fügen, dass jene mit den allergeringsten Einkommen auch bisher kaum Steuerboni nutzen konnten, weil das aktuelle Steuersystem tendenziell besser verdienende Vater-Mutter-Kind-Familien bevorzugt.

Es wäre freilich ein möglicher, ambitionierter, Plan gewesen, dieses immer noch konservative Gesellschaftsbild aufzudröseln. Vielleicht hätte man auch Ideen oder sogar Konzepte für eine Anhebung der niedrigsten Löhne und Gehälter entwickeln können. Für einen konservativen Politiker wäre das einmal durchaus überraschend gewesen. Und eine gute Gelegenheit, auf die von der ÖVP rhetorisch sonst so gestreichelte "Bürgergesellschaft" hinzuweisen – immerhin betrifft das Problem niedriger Gehälter auch so wichtige Professionen wie 24-Stunden-Betreuerinnen und Kindergartenpädagoginnen.

Das hat Kurz freilich nicht getan, so neu will man dann offenbar doch nicht sein. Die bestehenden Verhältnisse werden einzementiert, so sehr, dass Alleinerziehende von seinen ursprünglichen Plänen sogar massiv benachteiligt worden wären. Lässig schob er einen Tag später die Idee nach, dann müssten eben die Väter der betreffenden Kinder den Bonus mit ihren Ex-Frauen teilen. Wie das gehen soll, verriet er nicht.

Mögliche Fallstricke

Hier liegen die möglichen Fallstricke für den scheinbar unaufhaltsamen Aufstieg des Sebastian Kurz. Seine Pläne wirken oftmals unausgegoren, wer an der Oberfläche kratzt, bemerkt alsbald auch Rücksichtslosigkeiten dieses Stimmenmaximierungsprogramms.

Ehemalige liberal-bürgerliche Proponenten und Aushängeschilder der ÖVP, wie etwa Heinrich Neisser oder auch Christian Konrad und Ferry Maier haben das offenbar auch bemerkt – und stehen heute den Neos näher als ihrer ehemaligen Partei. Das ist nicht unheikel für Kurz und die "neue" ÖVP, wird aber momentan weggedrückt.

Gewisse gesellschaftliche Kollateralschäden werden offenbar in Kauf genommen. (Petra Stuiber, 08.09.2017)