Kein Landidyll und keine friktionsfreie Pubertät: "Der fantastische Mr. Fox" nach Roald Dahl und ...

Foto: Rita Newman

... "Der Fluch des David Ballinger" nach Louis Sachar eröffnen im Oktober die neue Saison im Theater der Jugend.

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Künstlerischer Direktor: Thomas Birkmeir.



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Chefdramaturg am Haus: Gerald Maria Bauer.


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STANDARD: Im Spielzeitheft spannen Sie große, auch politische Bögen: Das Theater der Jugend sei ein "Bollwerk gegen Engstirnigkeit, Arroganz und Diskriminierung".

Birkmeir: Politisches Denken, Empfinden und Agieren fängt in der Kindheit an. Wir sind geografisch nicht weit weg von Ungarn und Polen, wo Menschenrechte mittlerweile fraglich sind. Da fragen natürlich auch wir uns als Theatermacher für Kinder und Jugendliche, wie wir zu einer Art von Widerstandsdenken oder zumindest kritischem Denken Angebote machen können. Welche Stücke können wir zeigen, wo man sagt: Hier wehren sich Menschen gegen einen Common Sense, der nicht (mehr) richtig ist, oder gegen ein unfaires System? Das ist mir sehr wichtig.

STANDARD: Wie schlägt sich das heuer konkret im Programm nieder?

Birkmeir: Im Meermädchen nach Hans Christian Andersen zum Beispiel kommt jemand in eine andere Kultur. Nämlich aus dem Meer an Land. Und das scheitert, die Menschen wollen dieses Meermädchen nicht annehmen. Das ist metaphorisch, aber vielleicht auch gar nicht so metaphorisch – in Italien kommen Flüchtlinge auch aus dem Wasser und treffen am Strand auf Leute im Urlaub. So versuchen wir, uns anzunähern. Da fragt man sich vielleicht selbst: Was tust du eigentlich, um denen zu helfen?

Bauer: Wenn man Märchen auf der Bühne erzählt, muss man ihren metaphorischen Charakter aber schon behalten. Das wird gerne verwechselt: Wir sind keine Erziehungsanstalt, Theater ist keine Besserungsanstalt, sondern soll letzten Endes ästhetische Erfahrungen bringen.

STANDARD: Nicht das "Meermädchen", sondern "Der fantastische Mr. Fox" steht als erste Premiere der Spielzeit an. Für den Fuchs wie die Bauern, von denen er Hühner stiehlt, geht es jeweils ums Überleben. Sie beginnen ihn zu jagen ...

Birkmeir: Wir treiben das in Richtung einer kalten Kapitalismussicht der Dinge. Die Bauern sind bei uns keine einfachen Bauern mehr auf einem beschaulichen Bauernhof, sondern gehören zur Legebatteriefraktion. Der Fuchs wird als geschäftsschädigendes Moment wahrgenommen. Er soll also gefangen werden – da fragen wir auch, wie sehr die Tierwelt durch Agrartätigkeiten in den Hintergrund geschoben wird.

STANDARD: Mit dieser Saison startet Ihr 16. Jahr am Haus – wie hat Jugendtheater sich seither verändert?

Birkmeir: Es gibt die grundsätzliche Tendenz, dass Kinder- und Jugendtheater heute viel mehr wahrgenommen wird. Zum einen, weil man draufgekommen ist, dass man etwas für den Publikumsnachwuchs tun muss. Zum anderen, weil einige Leute mit Schwung Kindertheater wie Erwachsenentheater gemacht haben und das Erwachsenentheater gesehen hat: Da werden ästhetische Formen ausprobiert, die auch für uns interessant sein könnten. Was ist Geschichtenerzählen? Wie muss man Geschichten erzählen? Das sind viel stärkere Punkte im Kindertheater, weil man Kinder mit einer hohlen Form nicht begeistern kann.

STANDARD: Weitere Entwicklungen?

Birkmeir: Aus Kostengründen herrscht oft die Tendenz zum Schulstundentheater: 50 Minuten mit nur zwei oder drei Schauspielern. Das führt zu einer Verkürzung der Plots, die ich bedenklich finde. Auch weil Kindern immer unterstellt wird, dass sie sich nicht länger konzentrieren können. Das ist Quatsch. Man kann sie zweieinhalb Stunden fesseln, wenn man sie fesseln kann. Dann müssen sie nicht nach einer Viertelstunde aufs Klo!

STANDARD: Die stark gewachsene Konkurrenz von Handy und Co schadet dem Theater nicht?

Birkmeir: Vor 15 Jahren war das eine interessante These und eine Angst von uns, dass diese Vereinzelungsmedien die Aufmerksamkeitsspanne abnehmen lassen. Seltsamerweise sind die Kinder aber durch Überreizung scheinbar so gestählt worden, dass wir eher das Gefühl haben, dass die Aufmerksamkeit zugenommen hat.

Bauer: Und dass sie komplexere Zusammenhänge viel schneller kapieren! Auch stellen wir fest, dass – wir wenden uns ja eigentlich an eine finanzschwache Gruppe, nämlich Familien mit Kindern – Eltern trotzdem ein Abo bei uns kaufen und es ihnen ein Anliegen ist, mit den Kindern ins Theater zu gehen. Das birgt eine Verantwortung, was man anbietet.

Birkmeir: Mittlerweile kann man sich wieder auf eine Wertediskussion einlassen. Vor 20 Jahren war man, hat man von Werten geredet, ein altmodischer Erzieher. Aber Werte kennenzulernen ist sicher kein Fehler. Wir setzen mit der Auseinandersetzung mit gewissen Themen bei den Kleinen Erstempfindungen und Erstgedanken.

STANDARD: Das Schlimmste, was Jugendtheater tun kann, ist, sein Publikum zu unterschätzen und zu unterfordern?

Birkmeir: Es gibt Eltern, die sagen: Mein Kind hat Angst gehabt. Oder es hat nicht alles verstanden. Aber das ist kein Argument! Das Wesen der Kunst ist, dass es einem nicht auf dem Butterbrot serviert wird. Manche Eltern glauben, wir müssen die heile Welt zeigen. Wir antworten dann: "Aber wir wollen die Kinder nicht belügen. Wenn Sie Ihre Kinder belügen wollen, dürfen Sie nicht zu uns kommen." Zudem sitzt bei uns immer locker ein Drittel Begleitpersonen drin, die es, salopp gesagt, auch zu unterhalten gilt. Oder mit Gedankenfutter zu versorgen. Das ist der Spagat, der uns eigentlich gut gelingt.

STANDARD: "Der Fluch des David Ballinger" ist die zweite Premiere.

Bauer: Eine klassische Pubertätsgeschichte, kombiniert mit einer Tat, die David als Mitläufer begeht und ihm Gewissensbisse macht.

Birkmeir: "Was ist meine eigene Meinung?" Vor dieser Frage steht die Figur. Und diese Frage stellt das Theater auch den Kindern. Dazu passt auch unsere Uraufführung Die Weiße Rose. Im Theater haben wir im Gegensatz zum Vereinzelungsmedium noch eine Form, bei der Kinder zusammensitzen und merken: Der andere empfindet so wie ich oder anders, und wir können gemeinsam etwas erfahren oder kommentieren. (Michael Wurmitzer, Spezial, 8.9.2017)