Haugsdorf/Hanfthal/Wien – Kaum einer anderen Pflanze kann man im wahrsten Sinne des Wortes so beim Wachsen zusehen wie dem Hanf. An einem Tag schießt das Gewächs um bis zu zehn Zentimeter in die Höhe. Das und mehr machen die mit Vorurteilen behaftete Pflanze attraktiv für diverse Nutzungen. Eine davon ist der Einsatz als Dämmstoff. Dafür werden die Stämme der Hanfpflanzen eingesetzt, die mitunter so dick werden können wie ein kleiner Baum und aus Hanffasern und holzigen Teilen, den sogenannten Schäben, bestehen.

Foto: Redl

Wie daraus Dämmplatten werden, zeigt ein Besuch in einer Fabrik der Synthesa-Gruppe im Weinviertler Ort Haugsdorf. Dort wird in einer ehemaligen Gurkenfabrik Hanfstroh zerkleinert, verklebt, mit Flammschutzmittel versehen und zu Platten geformt. Die Idee dahinter stammt vom Start-up Naporo, das sich die Entwicklung nachhaltiger Rohstoffe vorgenommen hat und mittlerweile von Synthesa übernommen wurde.

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Für Hanf als Dämmstoff spricht viel: Er benötigt weder Dünger noch Herbizide oder Insektizide, ist feuchtigkeitsresistent, bindet CO2, hat eine hohe Wärmespeicherkapazität und rüstet sich von ganz allein gegen Schädlinge und Nager. "Hanf besitzt schlichtweg zu wenig Eiweiß, um etwa Mäuse anzuziehen", erklärt Robert Schwemmer, Gründer von Naporo. Zudem ist die Hanffaser besonders widerstandsfähig. Die Platten können problemlos verputzt werden und sind so weich, dass Schall gut abgefedert wird. "Wenn es zum Beispiel hagelt, kommt nur ein sehr dumpfes Geräusch in den Raum", erklärt Schwemmer.

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Wer mit Hanf dämmt, nutzt zudem einen Rohstoff aus der Region, das verkürzt die Transportwege und hilft der lokalen Wertschöpfung. Der Preis für die Dämmplatten aus Hanf liegt aktuell noch etwas über den häufig eingesetzten Dämmstoffen, etwa EPS (Styropor) oder Mineralwolle. Doch Schwemmer prognostiziert: "Das liegt nur an der Menge, die wir derzeit produzieren. Sie wird in Zukunft ansteigen, und in zwei bis drei Jahren sind wir dann preislich auf einer Ebene mit konventionellen Dämmstoffen."

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Dass Hanf noch nicht in weit größeren Mengen verarbeitet wird – etwa auch für die Autoindustrie, die das nachwachsende Material für die Innenverkleidung von Fahrzeugen entdeckt hat – liegt vor allem daran, dass der Anbau von 1965 bis 1995 verboten war. So hat Hanf in Österreich zwar eine jahrhundertelange Tradition, moderne Ernte- und Verarbeitungstechniken konnten jedoch erst in den vergangenen Jahren entwickelt werden. "Durch das Verbot ist viel Wissen über Anbau und Weiterverarbeitung verloren gegangen", sagt Schwemmer.

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Dass auch die Landwirte vor allem viel über die Ernte der Hanfpflanzen lernen mussten, zeigt ein Besuch im Ort Hanfthal – das 600-Seelen-Dorf hat sich voll und ganz dem nachwachsenden Rohstoff verschrieben. Mehr als 2000 Personen kommen jährlich zu Besuch und lassen sich mit umgebauten Traktoranhängern auf eine Hanftour durch den Ort mitnehmen, um dabei alles Wissenswerte über die Pflanze zu erfahren.

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"Alle denken zuerst an die Droge", sagt Gerhard Schmid, der Obmann des Dorferneuerungsvereines. Dabei sei Hanf weit mehr als das. Hier arbeitet man daran, den schlechten Ruf der Pflanze aus der Welt zu schaffen. "Der Legalisierung stehen wir ganz neutral gegenüber, das ist nicht unser Thema", sagt Schmid.

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Hier steht die vielfältige Einsetzbarkeit von Hanf im Mittelpunkt. Aus den Körnern werden Lebensmittel und Kosmetika gemacht, aus den Fasern wird Kleidung hergestellt. Es wird also die ganze Pflanze verarbeitet. Das macht die Ernte kompliziert: Spezielle Mähdrescher müssen den oberen Teil abernten und die Stämme abschneiden, sodass sie zur sogenannten Feldröste auf dem Acker bleiben können. Durch das Anbauverbot gibt es bisher kein Unternehmen, das Erntegeräte für Hanf verkauft. "Die Bauern müssen ihre Maschinen selbst entwickeln, sie sind Einzelkämpfer, es gibt keine Lobby", sagt Schmid, der enormes Potenzial für den Rohstoff Hanf sieht.

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Dieser Meinung ist auch Robert Schwemmer, der die Hanfdämmung in Zukunft noch nachhaltiger machen will. Doch es gibt Herausforderungen: Zu zehn Prozent bestehen die Hanfplatten aktuell aus Bikomponentenfasern, einem Kunststoff, der das Material zusammenhält. Ein Bindemittel aus Maisstärke gibt es bereits, es ist allerdings um ein Vierfaches teurer. (Bernadette Redl, 10.9.2017)

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