Die Aufnahme zeigt das riesige Schwefelbakterium Achromatium oxaliferum. Zu erkennen sind die großen Calciumkristalle, Schwefeltröpfchen und grün fluoreszierende DNA-Spots.

Foto: Heribert Cypionka

Berlin – Das größte bekannte Bakterium erreicht einen Durchmesser von 750 Mikrometern, ist also dreiviertel eines Millimeters groß und somit sogar gut mit dem freien Auge sichtbar. Der Thiomargarita namibiensis genannte Mikroorganismus, ein kugelförmiges Schwefelbakterium, lebt am Meeresboden vor Namibia. Auch in unseren Breiten sind derartige Riesen zuhause, wenn auch nicht ganz so große wie Thiomargarita: Achromatium oxaliferum misst bis zu 100 Mikrometer und ist damit das größte bekannte Süßwasserbakterium der Welt.

Achromatium ist 30.000 Mal größer als herkömmliche im Wasser lebende Bakterien und dank seiner Kalkeinlagerungen ebenfalls mit bloßem Auge erkennbar. Frühere Untersuchungen haben gezeigt, dass Schwefelbakterien wie Achromatium mehrere Genomkopien beherbergen können. Aktuelle Analysen haben nun aber eine Überraschung zutage gefördert: Ein internationales Forscherteam entdeckte in einer einzigen Bakterienzelle hunderte Genome, die sich verblüffenderweise voneinander unterscheiden.

Obwohl Achromatium oxaliferum der Wissenschaft seit über einem Jahrhundert bekannt ist, sind sein Aufbau und seine genetischen Merkmale weitgehend unklar. Die Forscher des Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) in Berlin haben gemeinsam mit Kollegen aus Oldenburg und Oxford nun herausgefunden, dass einzelne Zellen von Achromatium bis zu 300 DNA-Abschnitte enthalten, jeweils mit einer unbestimmten Anzahl von Chromosomen. Die Metagenomanalysen und Genomsequenzierungen einzelner Zellen zeigen, dass es sich dabei nicht um Kopien handelt – die vielen Chromosomen einer Zelle unterscheiden sich voneinander.

Falsch eingeschätzte Diversität

Bisher werden Umweltproben – also beispielsweise Wasser- oder Bodenproben – mittels der DNA/RNA-Sequenzen analysiert, die in einer Probe vorkommen. Bei diesem Verfahren geben die verschiedenen Sequenzen Aufschluss über die vorhandenen Bakterienarten. Geht man davon aus, dass ein polyploides Bakterium mehrere identische Genome besitzt, findet man in einer Wasserprobe genau so viele verschiedene Bakterienarten wie man verschiedene Genome gefunden hat.

Enthält die Probe aber auch Achromatium oder ähnliche Bakterien, kann die bisherige Verfahrensweise zu einer Überschätzung der Diversität führen. Wo man einst 1000 verschiedene Bakterienarten vermutete, sind in Wirklichkeit vielleicht nur noch 100 verschiedene Arten anzutreffen.

Noch bis vor wenigen Jahren wurde angenommen, dass einzellige Organismen mit mehreren Genomkopien die Ausnahme sind. Mittlerweile werden solche Organismen immer öfter entdeckt. Die neuen Erkenntnisse über Achromatium oxaliferum könnten also auch Anstoß geben, Zellen mit mehreren (hunderten) Genomkopien zukünftig genauer anzuschauen, um herauszufinden, ob es sich tatsächlich um identische Kopien handelt.

Warum Achromatium sich nicht verändert

Wenn sich eine Achromatium-Zelle teilt, werden die Genome wahrscheinlich zufällig auf die Tochterzellen verteilt. Diese zufällige Teilung müsste eigentlich dazu führen, dass sich die neuen Zellen immer unähnlicher werden. Wie aber schafft es Achromatium trotzdem es selbst zu bleiben? Ein starker Umweltdruck führt zum Erhalt der Funktionalität und sichert damit das "Überleben" von Achromatium: Mutter- und Tochterzellen bleiben die gleichen Organismen. (red, 10.9.2017)