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Burhan Ozbilici steht vor seinem Foto, das den türkischen Polizisten zeigt, der bei einer Ausstellungseröffnung in Ankara den russischen Botschafter erschoss – hier bei der World-Press-Photo-Ausstellung am 5. Mai in Hamburg.

Foto: AP/Christophe Gateau

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Das hier gezeigte Bild stammt aus der Reihe, die auch in der Kategorie "Spot News – Stories" mit dem ersten Platz ausgezeichnet wurde. Auf dem World Press Photo 2017 ist der ermordete Botschafter wesentlich deutlicher zu sehen, wir zeigen dieses Foto hier bewusst nicht. Sie finden es auf worldpressphoto.org.

Foto: AP/Burhan Ozbilici

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Kurz vor dem Mord: der russische Botschafter bei der Eröffnung der Ausstellung.

Foto: AP/Burhan Ozbilici

Wien – Seine Überlebenschancen lagen bei zwei, vielleicht auch drei Prozent, sagt Burhan Ozbilici heute, wenn er auf jenen Tag zurückblickt, den er nicht mehr vergisst. Am 19. Dezember 2016 tat er in einer Kunstgalerie in Ankara das, was er als Fotograf oft macht: Er zückte seine Kamera und drückte auf den Auslöser. Rund 100 Fotos entstanden in jenen Sekunden, als der türkische Polizist Mevlüt Mert Altintaş den russischen Botschafter Andrej Karlow erschoss und "Vergesst Syrien nicht" skandierte.

Eine Aufnahme davon wurde im Februar aus mehr als 80.000 Einsendungen zum Welt-Presse-Foto des Jahres 2017 gewählt. "Ich hätte selbst getötet werden können. Es war ein großes Risiko", rekapituliert Ozbilici im Gespräch mit dem STANDARD, "aber ich dachte mir, wenn ich getötet werde, dann war es wenigstens nicht für nichts."

"Dass manche Leute verstört sind, ist normal"

Was bleibt sind neben den Erinnerungen Manifestationen eines grausamen Attentats, die der langjährige Fotograf der US-Agentur Associated Press (AP) verewigt hat. Sie und viele andere sind vom 15. September bis 22. Oktober im Fotomuseum Westlicht in Wien zu sehen, wenn die World Press Photo Ausstellung in Wien gastiert. In der über 60-jährigen Geschichte des Wettbewerbs sorgte kaum ein Foto für so heftige Kontroversen wie jenes von Burhan Ozbilici. Die Jury würdigte es als ein "explosives Bild, das den Hass in unserer Zeit ausdrückt".

Ein Mörder in der Pose des Triumphes sei eine Heroisierung einer abscheulichen Tat kritisierten einige, andere gingen sogar noch weiter und warfen der Jury vor, sich zum Handlanger des Terrorismus zu machen. Vorwürfe, die Ozbilici absurd findet: "Meine Verantwortung war, meine Arbeit als professioneller Journalist zu machen." Er könne die Realität nicht einfach weichzeichnen: "Das Foto zeigt Brutalität, dass manche Leute verstört sind, ist normal."

Auch wenn er sich wünscht, nie mehr in so eine Situation wie am 19. Dezember 2016 zu geraten, heute würde er wieder gleich handeln. Das sei er nicht zuletzt dem Ermordeten schuldig. Ein "nobler Mensch mit einem guten Charakter" sei der russische Botschafter gewesen: "Er war ein Opfer und hatte persönlich überhaupt nichts mit Syrien zu tun."

"Mit den Waffen werden Menschen getötet"

Das ikonische Foto vom Napalm-Mädchen aus dem Vietnamkrieg oder der dreijährige syrische Bub, dessen Leichen an die türkische Küste geschwemmt wurde: Beinahe alle wichtigen Fotos seien verstörend: "Die Leute müssen mehr über die dreckige Seite von Kriegen nachdenken und warum es guten Journalismus braucht." Alleine der Krieg in Syrien habe Hunderttausende Tote gefordert, Millionen seien auf der Flucht: "Auch nach so vielen Jahren als Fotograf hasse ich Verbrechen, Krieg und Gewalt", sagt Ozbilici, "aber wir Journalisten entscheiden nicht, ob es Krieg gibt". Und überhaupt: "Warum sind wir nicht verstört, wenn es zu milliardenschweren Waffendeals zwischen Politikern und Staaten kommt? Mit diesen Waffen werden Menschen getötet." Dagegen sollten Leute protestieren und nicht, dass Journalisten ihre Arbeit machen.

Seine Arbeit macht Ozbilici in Ankara, seine zweite Heimat sind die Schlachtfelder und Trümmerhaufen dieser Erde: Ob Golfkriege, Syrien, Saudi-Arabien oder der Irak, Erdbeben im Iran und in Pakistan, Ozbilici war dort, um dem Grauen ein Gesicht zu geben. Er hat Flüchtlinge fotografiert, die durch Minenfelder mussten und vor Saddam Husseins Bomben flohen. "Ich versuche, mein Bestes für Opfer von Katastrophen zu geben." Sein Credo: "Ich respektiere die Würde der Menschen, auch nach ihrem Tod." Um das eigene Risiko zu minimieren, müsse er lokale Gesetze und moralische Regeln befolgen, sagt er, denn: "In diesen Gebieten der Erde wird guter, unabhängiger Journalismus nicht geschätzt."

Korrupte Journalisten

Das hat er oft erlebt, zu oft: "Ich habe sieben sehr gute Freunde verloren. Sie gaben ihr Leben für den Journalismus." Ozbilici arbeitet seit fast 40 Jahren als Journalist, seit 1989 fotografiert der 60-Jährige für AP. Die Bedingungen werden nicht gerade leichter. Dutzende Kollegen stecken in der Türkei im Gefängnis. Zur politischen Kritik kommt aber auch Selbstkritik: "Auch wir Journalisten haben Fehler gemacht." Viele wären im Korruptionssumpf gelandet, sagt er und erzählt von einem Besuch mit dem türkischen Ministerpräsidenten in den 90er-Jahren bei Libyens Diktator Mummar al-Gaddafi. Journalisten hätten eine goldene Uhr mit Gaddafis Porträt bekommen. Angenommen hätten das Geschenk alle, nur er nicht: "Meine Ehre ist mir mehr wert als Milliarden Dollar." (Oliver Mark, 12.9.2017)