Die Chemikerin Claudia Friesen konnte die Wirksamkeit von Methadon gegen Krebszellen bislang nur an Zellkulturen von Patienten und in Tiermodellen nachweisen. Nun sollen klinische Studien folgen.

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Methadon wird in Europa derzeit hauptsächlich als Heroinersatz in der Substitutionstherapie verwendet.

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Die deutsche Chemikerin Claudia Friesen vom Uniklinikum Ulm wurde von Onkologen und medizinischen Fachgesellschaften heftig kritisiert, nachdem sie in Fernsehsendungen über die erfolgreiche Behandlung von Krebspatienten durch die Kombination von Chemotherapie und Methadon berichtet hatte. Tatsächlich steht die klinische Forschung dazu erst am Anfang. Evidenzbasierte Wirkungsnachweise an Patienten fehlen bislang.

STANDARD: Wie ist die Lage am Uniklinikum Ulm? Gab es nach Ihren Fernsehauftritten viele Anfragen von Patienten zu Methadon in der Krebstherapie?

Claudia Friesen: Anfangs waren es um die 1.000 Anfragen täglich. Momentan melden sich ich immer noch gut 200 Menschen pro Tag bei mir. Seit April sind es insgesamt 40.000 Anrufe und E-Mails. Ich beantworte alle. Das heißt, es gibt für mich keine freies Wochenende und keine Freizeit mehr.

STANDARD: Sie sind in den vergangenen Jahren schon mehrmals zum Thema Methadon in der Krebstherapie im Fernsehen aufgetreten. Warum war diesmal die Resonanz so heftig?

Friesen: Vielleicht war das Interesse an dem Thema diesmal so groß, weil der Gegenwind so stark war. Besonders in Deutschland. So gut wie jede medizinische Fachgesellschaft hat eine Stellungnahme zu Methadon in der Krebstherapie verfasst.

STANDARD: Bei den TV-Auftritten war immer wieder von 80 Krebspatienten die Rede, die mit Methadon behandelt wurden. Die Uniklinik Ulm betont hingegen, dass Sie ausschließlich Experimente an Zellkulturen und Labormäusen gemacht haben. Was stimmt jetzt?

Friesen: Meine Forschungen beziehen sich auf Zellen von Patienten und Tiermodellen. Beim Off-Label-Use habe ich mit Ärzten zusammengearbeitet – ich als Chemikerin darf keine Patienten behandeln. So konnte ich mittlerweile die Daten von über 100 Patienten dokumentieren. Dabei handelte es sich meist um fortgeschrittene Krebspatienten, die bereits Morphium oder andere Opioide erhalten hatten und im Rahmen der Schmerztherapie auf Methadon umgestellt wurden.

STANDARD: Ihre ersten Grundlagenforschungen zu Methadon stammen aus dem Jahr 2007. Wieso gibt es bis heute keine klinische Studie dazu?

Friesen: Ich kann keine klinische Studie durchführen – ich darf nur beratend tätig sein, da ich Chemikerin bin. Das heißt, ich bin auf die Kooperation von Ärzten angewiesen. Es gab immer wieder Stellungnahmen, die sich gegen den Einsatz von Methadon ausgesprochen haben. Der Wille, das an Patienten zu erforschen, fehlte bislang. Mittlerweile sind die Mediziner etwas offener geworden, es gibt zumindest von mehreren Ärzten Anfragen, die Interesse an einer Zusammenarbeit im Rahmen einer klinischen Studie haben.

STANDARD: Warum hat das Uniklinikum Ulm keine klinische Studie initiiert?

Friesen: Dazu kann ich nichts sagen. Das Uniklinikum Ulm möchte jetzt klinische Studien durchführen. Es müssen aber zuerst Anträge für Forschungsgelder gestellt werden.

STANDARD: Gibt es schon Details zu Größe der Stichprobe, Studiendesign, Krebstypus? Wann ist frühestens mit Ergebnissen zu rechnen?

Friesen: Es gibt eine beantragte Studie zu Glioblastomen. Bei dieser werde ich beratend tätig sein. Wahrscheinlich wird Ulm zu Darmtumoren eine Studie beantragen. Spätestens im Jahr 2022 sollen die ersten Ergebnisse vorliegen.

STANDARD: Wie viel Geld brauchen Sie für die Durchführung der Untersuchung mindestens?

Friesen: Für eine Phase-I/II-Studie benötigen wir um die 1,2 Millionen Euro.

STANDARD: Haben Sie 2008 ein Patent für Methadon in der Krebstherapie angemeldet?

Friesen: Ich nicht, aber die Universität Ulm. Aber nicht nur zu Methadon, sondern zu allen Opioiden. Der Wirkstoff Methadon kann nicht patentiert werden, aber die Anwendung in der Tumortherapie. Ich werde als Erfinderin genannt, das ist nach dem Arbeitnehmererfindergesetz vorgeschrieben.

STANDARD: Wer würde von einer Vermarktung profitieren?

Friesen: Die Universität Ulm Inhaberin besitzt das mit einem Patent einhergehende Monopol- und Verwertungsrecht. Die Erfinder werden als Urheber im Verfahren benannt, haben darüber hinaus aber keine wirtschaftlichen Rechte. Wenn finanzielle Interessen hinter meiner Forschung stehen würden, hätte ich nicht primär die Anwendung von Methadon – das günstigste Opioid – untersucht. Vielleicht ist das auch der Grund, warum das Interesse an klinischen Studien dazu so gering ist.

STANDARD: War es richtig, dass Sie ihre Forschungsergebnisse, die sich nicht auf klinische Studien stützen, im Fernsehen präsentiert haben? Würden Sie heute etwas anders machen?

Friesen: Ich habe Methadon nie als Wundermittel bezeichnet und stets betont, dass der evidenzbasierte Beweis, die klinischen Studien noch fehlen. Ich habe immer von Einzelfällen gesprochen und die Notwendigkeit von klinischen Studien unterstrichen. Ich habe auch immer kommuniziert, dass kein Patient auf die anderen Therapien verzichten sollte. Das heißt, ich spreche mich ganz klar dafür aus, dass Methadon nur als zusätzliche Option zum Einsatz kommt. (Günther Brandstetter, 13.9.2017)