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Dass eine Fachzeitschrift sein Manuskript einem anonymen Gutachter vorgelegt hatte, der auch noch Fehler beanstandete, ärgerte Einstein sehr. Doch später berichtigte er den Artikel und veröffentlichte ihn in einem anderen Journal.

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Wer war der beste Naturwissenschafter aller Zeiten? Das ist eine Frage, die sich eigentlich nicht beantworten lässt. Wissenschaft ist keine Sportart – und wissenschaftliche Leistungen lassen sich nicht so einfach quantifizieren wie die Ergebnisse beim Marathonlauf oder Weitsprung. Aber würde man gezwungen, eine Antwort zu geben, dann müsste sie eigentlich "Albert Einstein" lauten.

Er hat die Naturwissenschaft revolutioniert und in vielen unterschiedlichen Gebieten fundamentale neue Erkenntnisse gewonnen. Die Ergebnisse seiner Forschung haben nicht nur die Naturwissenschaft auf eine völlig neue Grundlage gestellt und unser Bild vom Universum dramatisch verändert, sondern sind auch Teil unserer alltäglichen Technik geworden. Einstein ist ganz zu Recht zum klassischen Symbol des genialen Wissenschafters geworden. Seine Theorien sind mehr als 100 Jahre alt, und trotzdem haben ihre Vorhersagen bis jetzt jeder Überprüfung standgehalten.

Einsteins Irrtum

Aber dennoch hat auch Albert Einstein sich ab und zu mal geirrt. Natürlich nicht so, wie es die Einstein-Leugner aus der Esoterik- und Pseudowissenschaftsszene behaupten. Einsteins Irrtümer waren viel harmloser und völlig im Rahmen dessen, was in der wissenschaftlichen Methodik normal ist. Überraschend ist allerdings, wie Einstein mit Menschen umging, die ihn auf seine Irrtümer hingewiesen haben.

Zumindest einmal reagierte er gar nicht so, wie man es angesichts seines Images als freundliches Genie erwarten würde. Im Jahr 1916 veröffentlichte Albert Einstein einen wissenschaftlichen Artikel in einer deutschen Fachzeitschrift mit dem Ergebnis, dass beschleunigte Massen "Wellen" in der Raumzeit erzeugen können. Diese "Gravitationswellen" waren eine direkte Schlussfolgerung aus den Gleichungen seiner kurz zuvor publizierten berühmten Allgemeinen Relativitätstheorie.

Beanstandeter Artikel

1933 emigrierte Einstein in die USA und begann in amerikanischen Fachzeitschriften zu veröffentlichen. 1936 schickte er einen Artikel, den er gemeinsam mit Nathan Rosen geschrieben hatte, an "Physical Review". Er hatte sich neue Gedanken über die Gravitationswellen gemacht, zusammen mit Rosen war er nun der Meinung, dass seine alte Arbeit aus dem Jahr 1916 ein paar mathematische Ungenauigkeiten enthielt. In der Arbeit für "Physical Review" verkündeten Einstein und Rosen nun, dass es doch keine Gravitationswellen geben könnte.

Der Herausgeber der amerikanischen Zeitschrift tat nun aber etwas, das Einstein von den damaligen deutschen Fachjournalen nicht gewohnt war: Er legte den Artikel einem Gutachter zur Prüfung vor. Und dieser Gutachter war ganz anderer Meinung als Einstein und Rosen. Er hielt ihre mathematische Analyse für fehlerhaft und damit auch die Schlussfolgerung, es könnte doch keine Gravitationswellen geben, für falsch. In einem Brief informierte der Herausgeber Einstein von dieser Kritik und bat ihn, entsprechend zu reagieren und seinen Artikel zu korrigieren.

Trotzige Reaktion

Einstein aber war höchst empört und antwortete: "Wir haben Ihnen das Manuskript zur Publikation geschickt und Sie nicht autorisiert, es anderen Experten zu zeigen, bevor es gedruckt wird. Ich sehe keinen Grund, auf die – sowieso falschen – Kommentare Ihres anonymen Experten einzugehen. Aufgrund dieses Zwischenfalls werde ich den Artikel anderswo publizieren."

Einstein ärgerte sich so sehr, dass er beschloss, nie wieder in "Physical Review" zu publizieren. Die Arbeit über Gravitationswellen erschien ein Jahr später im "Journal of the Franklin Institute" – allerdings mit einer völlig anderen Schlussfolgerung. Einstein hatte seine Meinung ein weiteres Mal geändert: Gravitationswellen könne es doch geben. In dieser Version seiner Arbeit hatte Einstein genau das korrigiert, was der Gutachter ursprünglich kritisiert hatte. Der anonyme Gutachter – mittlerweile ist bekannt, dass es sich um den Physiker Howard Robertson handelte – hatte in der Zwischenzeit privat und persönlich mit Einstein gesprochen und konnte ihn anscheinend so doch noch von der Fehlerhaftigkeit seiner mathematischen Analyse überzeugen.

Peer-Review sei Dank!

Am Ende war Albert Einstein natürlich doch nicht nur ein genialer, sondern auch ein vernünftiger Wissenschafter, der berechtigte Kritik akzeptieren konnte. Was er damals beim Versuch der Publikation seiner Ergebnisse in "Physical Review" erlebte, ist heute völlig normal. Was für Einstein so ungewöhnlich war, dass es zu der unerwartet trotzigen Reaktion führte, ist heute ein unverzichtbarer Schritt der Qualitätsprüfung im Rahmen der wissenschaftlichen Methode. Wer in einer seriösen Fachzeitschrift publizieren will, muss sich einem Peer-Review-Verfahren unterziehen, Gutachtern seinen Artikel vorlegen und alle anfallenden Kritikpunkte zu deren Zufriedenheit korrigieren.

Die Geschichte zeigt, dass die Methode funktioniert. 100 Jahre nach der ursprünglichen Veröffentlichung Einsteins konnten die Forscher des amerikanischen Ligo-Projekts tatsächlich erstmals die Gravitationswellen nachweisen, die von zwei miteinander kollidierenden schwarzen Löchern verursacht worden sind. Ein weiteres Mal haben sich Einsteins Vorhersagen exakt bestätigt. Und dank des Peer-Review-Verfahrens hatte sein zwischenzeitlicher Irrtum keine dramatischen Konsequenzen. (Florian Freistetter, 12.9.2017)