Die FPÖ ist eine antisemitische Partei. Aber weil sie auch eine populistische Partei ist und offener Antisemitismus sogar in Österreich keine Mehrheit mehr findet, versucht sie sich als ganz-sicher-nicht-antisemitische Partei zu präsentieren. Zudem war das demonstrative Abrücken vom Antisemitismus eine Vorbedingung für den Zusammenschluss mit rechtspopulistischen Parteien – Lega Nord und Partei für die Freiheit – im Europäischen Parlament. Aber die FPÖ brach nicht mit ihren antisemitischen Traditionen, sondern versucht sie seit Ende 2010 durch ihre plötzlich entdeckte Liebe zu Israel und den pauschalen Antisemitismusvorwurf an Muslimen zu überdecken.

Erst vor ein paar Wochen zeigte sich einmal mehr, was das Papier wert ist, auf dem sich Freiheitliche vom Antisemitismus distanzieren: Wie ein Mitschnitt der Rede des FPÖ-Nationalratsabgeordneten Johannes Hübner beim Jahreskongress 2016 der rechtsextremen Gesellschaft für freie Publizistik (GfP) belegt, griff dieser dabei tief in die antisemitische Mottenkiste. Hübner fiel zum Schöpfer der österreichischen Bundesverfassung ein: "Hans Kelsen – eigentlich Hans Kohn, aber hat sich Kelsen genannt [Gelächter]". Damit trat der FPÖ-Spitzenkader in die Fußstapfen des NS-Kronjuristen Carl Schmitt, der gerne abfällig von "Kelsen-Kohn" zu sprechen pflegte. Nach der Befreiung lag es am skandalumwitterten Professor Taras Borodajkewycz, den antisemitischen Kalauer nicht in Vergessenheit geraten zu lassen: Er wetterte noch in den 1960er-Jahren gegen den "Juden Kelsen, der früher Kohn hieß".

Hübner bezeichnete Kelsen als "Kohn" – ein antisemitischer Begriff der 30er von Nationalsozialisten.
Foto: APA/HERBERT PFARRHOFER

Einen integralen Bestandteil des Antisemitismus stellt seit jeher seine Verleugnung dar. So auch im jüngsten freiheitlichen "Einzelfall": Die Enthüllungen über die Hübner-Rede wurden von den Parteioberen kurzerhand als "schmutzige Kampagne" der SPÖ abgetan. Hübner selbst nannte die Vorwürfe gegen ihn "absurd" und eine "Infamie", mit der die "SPÖ-Jagdgesellschaft" versuche, Freiheitliche mittels "Nazikeule" mundtot zu machen. Da er den Ausspruch nicht leugnen konnte, beschränkte er sich darauf, zurückzuweisen, dass es sich dabei um Antisemitismus gehandelt habe.

Während FPÖ-Obmann Heinz-Christian Strache zunächst noch vorzog zu schweigen, machte FPÖ-Generalsekretär Herbert Kickl dem Parteifreund die Mauer: Hübner habe ihm in einem persönlichen Gespräch "glaubhaft versichert, dass jedweder Vorwurf in Richtung einer antisemitischen Intention von Passagen seines Vortrages [...] nicht den Tatsachen entspricht". Für die FPÖ sei "die Sache damit erledigt". Noch weiter ging einmal mehr FPÖ-EU-Parlamentarier Harald Vilimsky: Hübner habe "weder objektiv noch subjektiv Antisemitismus gut[ge]heißen oder zur Schau" gestellt, und bei der Skandalisierung seiner Aussagen durch "selbsternannte Moralapostel" handle es sich um ein "durchsichtiges Ablenkungsmanöver" von ÖVP und SPÖ.

Weil die Kritik dennoch nicht verstummen wollte und sogar die ÖVP mit dem Entzug der Koalitionsbereitschaft drohte, sah sich Hübner schließlich zum Rückzug gezwungen. Ein Schuldeingeständnis verband damit weder er noch die Partei. Ganz im Gegenteil: "So hat er das überhaupt nicht gemeint", sprang ihm Strache im ORF-"Sommergespräch" zur Seite. Schon 2012 bewies der FPÖ-Obmann, wie unterentwickelt sein Problembewusstsein ist – als er den antisemitischen Impetus einer von ihm geteilten Karikatur nicht sehen wollte.

"Gute Juden, böse Juden"

Entgegen der voreiligen und leider weit verbreiteten Annahme, dass mit dem pro-israelischen Kurswechsel der FPÖ auch ihr Antisemitismus überwunden sei, ist grundsätzlich an die Möglichkeit erinnert, dass ein positiveres Israelbild keine Folgen für die Meinung über Juden bewirken muss. Darauf wies Bernd Marin schon 1979 hin: "Für die meisten Österreicher scheinen 'die Israelis' eine Art 'nicht-jüdischer Juden', gleichsam eine weitere und auf eine nationale Ebene erweiterte Kategorie des immer schon tolerierten 'Ausnahme-Juden' zu repräsentieren."

Dies gilt auch für den Rechtsextremismus, der schon in den 1950er- und 60er-Jahren unter Beweis stellte, dass es möglich ist, sich für Israel zu begeistern und gleichzeitig gegen Jüdinnen und Juden zu hetzen. Dazu musste die Feindgruppe nur gespalten werden: Hier die "Muskeljuden", die sich schaffend ans Aufbauwerk machen, dort die kosmopolitischen "Zersetzungsdenker" und die "internationale Hochfinanz", die überall auf der Welt nationale oder religiöse Gemeinschaft bedrohen. Bleibt diese Spaltung unberücksichtigt, kann dies leicht zur Fehlannahme führen, dass die FPÖ keine antisemitische Partei mehr sei, seit sie ihre Liebe zu Israel als abendländischen Vorposten in einem geradezu apokalyptischen Endkampf gegen die "Islamisierung" entdeckt hat. Tatsächlich macht die FPÖ – im auffälligen Gleichklang mit dem Islamismus – aus einem Territorialkonflikt einen interreligiösen Krieg. Zudem ist das Verhältnis zu Teilen der israelischen Rechten ein instrumentelles: Über die Nähe zur ihr hoffen die Freiheitlichen, endgültig salonfähig zu werden.

Instrumentalisiert wird bei dieser Anbiederung auch der Antisemitismus unter Muslimen: Freiheitliche biegen die Wahrheit, wenn sie den Antisemitismus in den eigenen Reihen verleugnen und ihn projektiv bei der muslimischen Fremdgruppe verfolgen.

Völkische Traditionen

Der freiheitliche Antisemitismus speist sich vor allem aus drei Quellen: dem völkischen oder "deutschen" Nationalismus, vermittelt über familiäre Sozialisation und weltanschauliche Prägung im deutschnationalen Milieu (Burschenschaften und so weiter), der Abwehr von Schuld und Erinnerung (sekundärer Antisemitismus) und der Inszenierung der Parteiführung als Vertretung "der kleinen Leute", welche die sozialen Zwänge zwar nicht aufhebt, aber durch Personalisierungen leichter ertragbar macht – zumal der sozialen Wut, die nicht zur Kritik an den Verhältnissen sublimiert werden soll, ein konkretes Ziel gegeben wird. Während das Abwehrmotiv – wohl auch entsprechend des gesamtgesellschaftlichen Bedeutungsverlustes der Erinnerung an die NS-Verbrechen – seit ein paar Jahren an Relevanz verliert, wirken die beiden übrigen Faktoren weiter stark den Antisemitismus (in) der FPÖ begünstigend.

Als "Traditionspartei" (Anton Pelinka) versteht sich die FPÖ heute mehr denn je als Repräsentantin des völkischen oder deutschnationalen "Dritten Lagers", das in der Monarchie vor allem von Georg von Schönerers Alldeutschen und in der Ersten Republik von der Großdeutschen Volkspartei und dem Landbund – allesamt dem rassistischen Erlösungsantisemitismus verpflichtet – verkörpert wurde und in den dreißiger Jahren fast vollständig im Nazismus aufging. Eine der Traditionen stellt dabei der Antisemitismus dar: Dieser nahm zuerst in Österreich –  und hier in den Reihen der Burschenschaften –  seine bereits in den Nazismus weisende Form an – auf diese Avantgardefunktion der "Ostmärker" wies bereits Hannah Arendt in den 1950ern hin. Ihre Rolle als antisemitische Vorreiter lässt sich mit dem "typische[n] Grenz- und Auslandsdeutschenkomplex" (Adam Wandruszka) erklären: Je weiter wir an den Rand des organisierten "Deutschtums" vordringen, desto "deutscher" – und das hieß bis 1945 auch: desto antisemitischer – wird dieses.

Nach einer kurzen österreichisch-patriotischen Unterbrechung in der zweiten Hälfte der 1990er-Jahre bekennt sich die FPÖ seit 2005 wieder offen zu dieser deutschnational-völkischen, also antisemitischen Tradition, etwa indem freiheitliche Abgeordnete bei Angelobungen demonstrativ die (blaue) Kornblume, das Symbol nicht nur der Deutschvölkischen, sondern nach dem Verbot des Hakenkreuzes (1933) auch das der (illegalen) Nazis, zur Schau stellen. Ihr 2011 erneuertes programmatisches Bekenntnis zur (deutschen) "Volksgemeinschaft", das 1998 von Haider auf seinem Weg in die Regierungstauglichkeit gestrichen worden war, stellt eines der Hauptmotive für die Charakterisierung der FPÖ als rechtsextrem und im Kern antisemitisch dar: Die affirmative Verwendung des Begriffes "Volksgemeinschaft", einem zentralen Schlagwort des Nationalsozialismus, verweist auf bis heute wirksame NS-Traditionslinien.

Mit der neuerlichen Verankerung der – stets antisemitischen –  Volksgemeinschaftsideologie im neuen Parteiprogramm, hat die FPÖ ihren Rechtsruck von 2005 abgeschlossen. Und so gilt für die FPÖ heute nicht das Individuum als zentraler Referenzpunkt, sondern die "organische Gemeinschaft" oder das "Volk", dem sich alle Politik (und Wissenschaft) unterzuordnen habe. Bedroht werde diese homogenisierte Gemeinschaft von den "destruktiven Folgewirkungen der von Marx bis zur 'Frankfurter Schule' vertretenen linken Theorien". Diese hätten eine "Entwurzelung aus dem christlich-abendländischen Wertegefüge sowie aus jeglicher Gemeinschaft – wie dem Volk" – zum Ziel, wie im "Handbuch freiheitlicher Politik" zu lesen ist.

Norbert Hofer mit Kornblume - Symbol illegaler Nazis von 1933 bis 1938.
Foto: Matthias Cremer

Symbolischer Sozialismus

Die aktuell wohl bedeutsamste Quelle, die den freiheitlichen Antisemitismus speist, stellt der "symbolische Sozialismus" (Claus Ottomeyer) oder die Sozialdemagogie dar. Gleich seinem Vorbild Haider inszeniert sich Strache als "Anwalt der kleinen Leute", mit denen er das Gefühl teilt, immer und überall zu kurz gekommen zu sein. Solche Selbstinfantilisierung führt zu einer Übersensibilität gegenüber Kritik und zu paranoiden Reaktionsformen. Je kleiner sich jemand macht, desto größer, mächtiger und feindlicher kommen ihm die Anderen vor. Das vage Unbehagen, dessen Ursachen in der kapitalistischen Vergesellschaftung nicht erkannt werden (können), übersetzt sich in paranoide Angst.

Die FPÖ inszeniert sich seit 2005 als "soziale Heimatpartei", gleichzeitig vertritt sie aber eine (neo-)liberale Wirtschaftspolitik. Freiheitliche kritisieren nicht die sozioökonomischen Verhältnisse, sondern schüren die Ressentiments der Unzufriedenen und dauernd zu kurz Gekommenen. Schuld an der Misere seien (mächtige) Personen und deren moralische Verkommenheit, zum Beispiel "raffgierige Bankmanager" (Vilimsky), das "internationale Spekulantentum" (Strache) oder – noch deutlicher – die "Zocker von der Ostküste" (Vilimsky). Die realen Widersprüche zwischen Kapital und Arbeit werden dabei auf eine andere (imaginäre) Ebene verschoben und durch das Gegensatzpaar "Arbeit" und "Nicht-Arbeit" ersetzt.

Implizit an die antisemitische Unterscheidung zwischen "schaffendem" und "raffendem" Kapital anknüpfend wird eine Gemeinschaft der Produktiven ("Fleißigen und Anständigen") gegen "Bonzen" und "Parasiten" oder – wie es im FPÖ-Programm bis 2011 hieß – "internationale[r] Spekulanten" konstruiert. In sozialdemagogischen Diskursen, die leider nicht auf den Rechtsextremismus beschränkt sind, kämpft man nicht gegen den Kapitalismus, sondern gegen seine angeblichen "Auswüchse", was durch Beiwörter wie "Casino-" oder "Wall Street-" deutlich gemacht werden soll. Die Wut wird von den Verhältnissen weggelenkt und gegen untereinander verschworene "Kapitalisten" gerichtet, wobei diese gerne auch als Insekten oder Schädlingen dargestellt werden. Strache empörte sich etwa, dass die Bank des Österreichischen Gewerkschaftsbundes (ÖGB) von diesem "an Heuschreckenkapitalisten" und damit jene Art von Vertretern des Raubtierkapitalismus, gegen die eine Gewerkschaft eigentlich auftreten sollte", "verschachert" worden sei.

Im völkischen "Antikapitalismus" wird der Kapitalismus nicht als komplexes gesellschaftliches Verhältnis kritisiert, sondern insbesondere in seiner Krisenhaftigkeit als Ausfluss des bösen Charakters von – oft hinter den Kulissen – "Herrschenden" diffamiert. Aus (sozialer) Herrschaft als Struktur wird ein (feindliches) Subjekt, gegen welche die ganze Unzufriedenheit sich richten soll. Kernpunkt dieses Ressentiments ist die Personalisierung von Verhältnissen und die demagogische Auflösung der Einheit von Produktion und Zirkulation, wobei nur letztere (als "Finanz-" oder "Spekulationskapital") ins Visier der Völkischen gerät. Dass solch struktureller Antisemitismus in Österreich nicht auf stärkere Zurückweisung stößt, ist wohl der Tatsache zuzuschreiben, dass dieser nicht auf den Rechtsextremismus beschränkt ist, sondern auch die Globalisierungskritik vieler Linker prägt. (Heribert Schiedel, 13.9.2017)

Heribert Schiedel (Autorenname) ist Rechtsextremismusforscher am
Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW) und
engagiert sich in der "Aktion gegen den Antisemitismus in Österreich".

Veranstaltungshinweis: Am 13. September sprechen Heribert Schiedel und Karin Stögner zum Thema "Antisemitismus und Antifeminismus in der FPÖ" im Republikansichen ClubBeide haben Beiträge für den jüngst erschienenen Sammelband über "AfD & FPÖ" verfasst. 

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