Beschwerden der unteren Harnwege sorgen dafür, dass Betroffene aufstehen und nachts aufs Klo gehen müssen.

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Viele kennen die Symptome gut, vor allem Männer ab einem bestimmten Alter: Mehrmals nachts werden sie wach und müssen auf die Toilette gehen. Trotz starken Harndrangs fließt der Urin zögerlich, und sie haben das Gefühl, pressen zu müssen, um die Blase richtig zu leeren. Die Symptome nennen sich LUTS, "lower urinary tract symptoms", Beschwerden der unteren Harnwege. 14 von 100 Männern in den 40ern leiden darunter, bei den Männern in den 60ern sind es 40 von 100.

Doch es gibt Lösungen: "Man muss sich nicht damit abfinden", sagt Stephan Madersbacher, Chef-Urologe am Kaiser-Franz-Josef Spital in Wien. "Mit der richtigen Therapie bessern sich bei den meisten die Beschwerden deutlich oder lassen gar ganz nach."

Häufig werden LUTS durch eine gutartige Vergrößerung der Prostata verursacht. Aber auch andere Erkrankungen können dahinterstecken: eine Reizblase, Steine oder eine Infektion in der Harnröhre, Nervenschäden nach einem Schlaganfall, eine Entzündung oder ein Tumor in der Prostata. "Die erste Sorge der Männer ist, ob Krebs dahintersteckt", erzählt Madersbacher.

Prall gefüllt

Die zweite sei die eingeschränkte Lebensqualität. "Viele leiden darunter, dass sie nachts ständig aufstehen müssen oder wegen des quälenden Harndrangs nicht mehr ins Theater gehen können." Manche haben kaum Beschwerden, der Arzt stellt dann unter Umständen aber eine Überlaufblase fest: Die Blase ist prall gefüllt mit Urin, manchmal mit ein bis zwei Litern. Der Urin kann sich bis in die Nieren stauen und sie schädigen.

Bei einer vergrößerten Prostata oder einer Reizblase könne man zunächst abwarten und regelmäßig kontrollieren, sagt Maurice-Stephan Michel, Chef-Urologe an der Uniklinik in Mannheim. Das Risiko sei gering, dass sich eine Überlaufblase oder Nierensteine bilden. "Die Symptome bessern sich bei vielen allein dadurch, indem wir sie aufklären, dass nichts Schlimmes dahintersteckt."

Zusätzlich hilft, bestimmte Verhaltensweisen zu ändern. Am Abend weniger trinken, wassertreibende Getränke wie Kaffee meiden oder die Harnröhre nach dem Wasserlassen "auspressen", damit weniger Urin nachtropft. Die Blase trainieren, sodass nicht gleich bei jedem Harndrang die Toilette aufgesucht werden muss, sowie "Ablenkmanöver" lernen, damit nicht so häufig Harndrang verspürt wird: etwa Atemübungen, Druck auf den Penis oder psychologische Tricks.

Reize aus der Blase

"Entspannungstechniken helfen, den Stress zu reduzieren", sagt Gregor Hasler, Chefpsychiater an der Universität Bern. Stress könne auch Blasenprobleme verursachen. "Das Hirn reagiert dann empfindlicher auf Reize aus der Blase und meldet: 'Bitte aufs WC gehen', obwohl die Blase gar nicht voll ist." Zudem würden gestresste Menschen häufig viel trinken und dadurch dann wirklich öfter Wasser lassen müssen. Bessern sich die Symptome nicht, kommen Medikamente wie Tamsulosin, Finasterid oder Tadalafil infrage.

Die meisten Männer kommen mit Selbstmanagement und Medikamenten klar. Eine Operation empfehlen die Ärzte, wenn die Prostata stark vergrößert ist, viel Restharn in der Blase ist und der Mann sehr unter den Beschwerden leidet. Standard ist heutzutage die transurethrale Resektion der Prostata (TURP), bei der die Prostata ganz oder teilweise über die Harnröhre entfernt wird. "Wie bei jeder Operation kann es zu Komplikationen kommen, in diesem Fall zu Impotenz oder Inkontinenz", sagt George Thalmann, Chef-Urologe am Inselspital in Bern. "Beides ist bei einem guten Operateur aber sehr selten." In seiner über 25-jährigen Laufbahn habe er nur einen Mann gesehen mit einer Urin-Inkontinenz infolge einer TURP.

Pflanzliche Präparate

Die meisten Männer mit Erektionsstörung nach dem Eingriff hätten schon vorher Probleme gehabt. In etwa 60 von 100 Fällen kann es aber zu einer rückwärts gerichteten Ejakulation kommen, bei der die Samenflüssigkeit in die Blase fließt. "Das hat keinen Einfluss auf die Potenz oder den Orgasmus, kann aber die Zeugungsfähigkeit beeinträchtigen", erklärt Thalmann.

Angeboten werden auch Ethanol-Injektionen, Botulinum-Toxin oder Embolisation. "Diese Methoden sollen weniger Gewebe zerstören, was zunächst vermutlich zu weniger Nebenwirkungen führt", sagt Thalmann. "Dafür muss man oft nach ein paar Jahren doch noch operieren." Manche Männer setzen auch lieber auf pflanzliche Präparate, etwa Kürbiskerne. "Tabletten mit Kürbiskernextrakt können die Beschwerden möglicherweise lindern", sagt Michel, "wissenschaftlich belegt ist das aber kaum." (Felicitas Witte, 15.9.2017)