Wenn über der Bankenskyline von Frankfurt am Main sich immer dunklere Herbst-, Regen- und Schneewolken ballen, die den letzten Rest von Licht auslöschen, dann braucht man Farbe – viel Farbe: rauschhafte Farben, explodierende Farben. Diese finden sich in Bonnard Matisse – Es lebe die Malerei!, der wohl farbenprächtigsten und schlichtweg überwältigenden Ausstellung dieses Herbsts und Winters, mit der sich das Städel-Museum selbst beschenkt – und seinen langjährigen Sammlungsleiter Felix Krämer dazu. Beeindruckender nämlich könnte sich Krämer in Richtung Düsseldorf als Direktor am dortigen Museum Kunstpalast kaum verabschieden.

Ein Highlight der Ausstellung und zum ersten Mal seit 30 Jahren wieder in Deutschland zu sehen: Henri Matisses Hauptwerk "Großer liegender Akt" aus dem Jahr 1935.
Foto: Succession H. Matisse / VG Bild-Kunst, Bonn 2017 / Mitro Hood

Unter den 120 Gemälden, Zeichnungen und Skulpturen plus Fotografien und Briefen sind nicht nur viele, die in Paris, London, New York, St. Petersburg oder San Diego zu den Sammlungshighlights gehören – was Ausleihe zur Hochdiplomatie macht, etwa bei Matisses Großem liegendem Akt, erstmals seit 30 Jahren wieder in Deutschland zu sehen -, sondern Krämer gelang es auch, viele Arbeiten aus Privatbesitz zu beschaffen, die nun seit Jahrzehnten erstmals öffentlich zu sehen sind.

Der Stürmer und der Stille

Pierre Bonnard (1867-1947) und der um zwei Jahre jüngere Henri Matisse (1869-1954) kannten einander vierzig Jahre lang. Eine gegenseitige, neidlose Bewunderung prägte diese Beziehung. Bonnard und Matisse begeisterten sich für die Arbeiten des anderen, ohne jede Rivalität. Obwohl – oder vielleicht gerade weil – die beiden Künstler so ganz verschieden waren. Matisse: ein extrovertierter Vorwärtsstürmer, der nie auf ornamentale Elemente und Dekor verzichten konnte und wollte und der sich mit Mitte dreißig extrem selbstbewusst malte. Bonnard hingegen war still, schüchtern, zurückhaltend, skrupelbehaftet. Wohl ganz bewusst hielten sich beide von dem Markenzeichen des anderen fern. Bonnard malte keine einzige erotische Odaliske, keine arabisch ausstaffierte Haremsdame also. Dafür mied Matisse den Frauenakt bei der Toilette, der Körperpflege im Bad, à la Bonnard.

Ein moderner Meister des Interieurs: Pierre Bonnards 1907 entstandenes Bild "Abend im Wohnzimmer" ziert das Frankfurter Städel-Museum.
Foto: VG Bild-Kunst, Bonn 2017

Klug ist der Rundgang gestaltet – nicht chronologisch, sondern nach zehn Themen geordnet. Aufschlussreich setzt die Schau ein, mit Fotografien Henri Cartier-Bressons, der beide Künstler 1944 besuchte. Die geografische Distanz der Freunde war keine große, im Gegenteil.

Matisse lebte seit 1917 in Nizza, Bonnard ab 1922 im dreißig Kilometer entfernten Le Cannet, wo er sich vier Jahre später eine Villa kaufte, in die er sich 1939 ganz zurückzog. Die psychologische Distanz hingegen war groß. Denn Matisse genoss es sichtlich, für Cartier-Bresson in seiner überbordend ausgestatteten Wohnung zu posieren. Bonnard hingegen sieht aus, als habe ihn mit dem Fotografen ein Einbrecher überrascht, der ihn eben zwingen würde, in den spärlich, ja geradezu ärmlich möblierten Räumen seines Hauses stillzuhalten.

Es folgt, auf hellgrauen, später hautfarbenen, noch später weißen Wänden, die allesamt raffiniert abgerundet sind, ein Saal mit Arbeiten, die sich die beiden einst wechselseitig schenkten. Worauf Nebeneinander- und Parallelhängungen in diversen Genres, vom Interieur über Fensterbild, Landschaft, Natur und Stillleben bis zum Akt, folgen.

Deutlich wird in diesem Parcours, dass Matisse das hitzigere, experimentierfreudigere, sprunghaftere, weltzugewandte Temperament war. Nicht ohne Grund war er einer der "Fauves", zu Deutsch: Wilden. Seine Qualität schwankte stärker als diejenige Bonnards. War Matisse manchmal auch eher matt, so ist das Ausgangsniveau Bonnards, der als Postimpressionist mit ehrgeizigen großen Bildkonstruktionen begann, von Anfang an ein durchgehend höheres.

Bildfüllender Tischvulkan

Ab den späten 1920er-Jahren erreichte er, der Maler eines lichtdurchfluteten Arkadiens, mit seinen Innenraumbildern mit raffinierten Licht- und Spiegeleffekten, vor allem aber mit seinen Blumenstillleben atemberaubende Höhen. Da wurde 1945 ein Strauß Mimosen zu einem bildfüllenden Tischvulkan (Mimosenstrauß). Und das für einen Auftraggeber gemalte Querformat Die sonnige Terrasse (1939-1946) geriet zu einer mediterranen Explosion in Rot, Gelb und Orange.

Das neben einem Kabinett mit Matisse' Jazz-Suite einzig Überflüssige dieser fulminanten Schau sind die vielen Gemälden beigegebenen Wandtexte. Sie muten entbehrlich an. Erzählen sie zumeist doch nur nach, was ohnehin auf dem Bild zu sehen ist. Ja, ein, zwei Male finden sich kurioserweise sogar Herabstufungen. Ansonsten aber lebt diese Malerei. Und wie! (Alexander Kluy, 15.9.2017)