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Bild: Divinity: Original Sin 2
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Irgendwann war die Zeit der klassischen Rollenspiele vorbei. Nach unvergessenen Genregrößen wie "Baldur’s Gate" und seinen Nachfolgern, nach "Planescape: Torment" und einigen inspirierten Nachzüglern schien die Zeit der großen, isometrischen Rollenspiele abgelaufen. Die Zukunft, so schien es, gehörte grafisch beeindruckenden First-Person-Titeln wie jenen der "Elder Scrolls"-Reihe, in denen viel Wert auf Optik, aber weniger auf inhaltliche und spielmechanische Komplexität gelegt wurde. Eine traurige Zeit für die treuen Fans eines Genres, das von seinen Millionen Fans stets nostalgisch in Ehren gehalten wurde.

Bis mit dem Aufkommen von nischenfreundlicher Finanzierung via Kickstarter oder Early Access die ungebrochene Lust am klassischen Rollenspiel eine neue Renaissance erlebte: Nach der Wiedergeburt wahrer Klassiker wie "Wasteland 2", "Torment: Tides of Numenera" und "Pillars of Eternity" fanden sich auch ganz neue Entwickler, um die Fangemeinde komplexer, rundenbasierter, kurz: klassischer Computerrollenspiele mit Nachschub zu versorgen. Unter ihnen sticht besonders das belgische Indie-Studio Larian hervor, das bereits 2014 mit dem Reboot seiner "Divinity"-Rollenspielserie für Begeisterung sorgte.

Mit "Divinity: Original Sin 2" (Windows, 44,99 Euro) hat soeben ein Nachfolger das Early-Access-Stadium verlassen, der neue Maßstäbe im inzwischen wieder recht lebendigen Nischengenre der klassischen Rollenspiele setzen kann.

Ein Triumph der Tradition – mit sinnvollen Neuerungen

"Original Sin 2" hat mit dem Vorgänger nur die Spielewelt gemeinsam, spielt allerdings ein Jahrtausend nach diesem – inhaltliche Vorkenntnisse sind also nicht erforderlich. In Sachen Komplexität schadet es aber dezidiert nichts, wenn man schon zuvor mit dieser Art Spielen vertraut ist, denn die Auswahlmöglichkeiten erschlagen Neulinge eventuell schon von der ersten Minute an. Genretypisch dürfen sich Spielerinnen und Spieler ihren Charakter in einem detailreichen Baukasten zusammenbasteln, der neben Fantasy-Allerweltskost auch einige Überraschungen wie untote Helden oder kannibalistische Elfen bereithält. Wer keinen eigenen Charakter erstellen will, hat die Wahl zwischen sechs fertigen Figuren samt ausführlicher Hintergrundstory; diese spielen auch als NPCs im Spielverlauf eine wichtige Rolle. Zu Beginn ist unser Held allein unterwegs, doch schon bald finden sich willige Mitreisende, die die klassische Heldengruppe komplettieren.

Entscheidungsfreiheit wird schon bei der Charaktererstellung ganz groß geschrieben, und so verlieren sich nicht nur Tüftler und Perfektionisten schon einmal länger als geplant beim Festlegen und Gestalten des Alter Egos. Trivial sind diese Entscheidungen erfreulicherweise nicht, denn die Spielwelt reagiert erstaunlich differenziert auf die jeweiligen Charakteristika der Spielerfiguren. Charakterklassen sind übrigens eher ungefähre Absichtserklärungen als einschränkende Grenzen; so gut wie alle Fähigkeiten aller Klassen können auch später im Spielverlauf erworben werden und bieten so große Flexibilität in Sachen eigener Spielstil, der sich je nach gespielter Figur und eigenen Vorlieben auf unterschiedlichste Art und Weise anpassen lässt.

Riesig, detailreich, überraschend

Wie überhaupt Entscheidungsfreiheit ein riesiger Pluspunkt von "Original Sin 2" ist: Kaum jemals wird man vom Spiel auf lineare Bahnen gezwungen, meist stehen buchstäblich alle Richtungen offen und gibt es viele Möglichkeiten, ein Problem zu lösen. An fast jeder Ecke gibt es etwas zu entdecken oder zu bestaunen, und die Vielzahl an Möglichkeiten und optionalen Nebenquests, die zum Teil beträchtlichen Einfluss auf die Haupthandlung haben können, kann Einsteiger schon mal überfordern. Eine größere und in ihrer Liebe zum Detail überraschendere Rollenspielwelt hat man kaum jemals zuvor gesehen.

Perfektionisten, die sich das Abklappern jeder Ecke vorgenommen haben, haben so mit "Original Sin 2" eine fast unlösbare Aufgabe vor sich; alle anderen erfreuen sich an der gelungenen Illusion einer riesigen Welt, in der auch kleinste Zahnräder perfekt ineinandergreifen und zahllose, liebevollst gestaltete Kleinigkeiten und Insidergags immer wieder überraschen. Dass etwa – endlich! – wieder einmal in einem Computerrollenspiel aus Getreide tatsächlich Brot gebacken werden kann, lässt die ältesten Rollenspielveteranen vermutlich eine Träne der Rührung verdrücken. Die am Vorgänger als eher uninspiriert kritisierte Story wurde diesmal mit prominenter Hilfe aufpoliert: Chris Avellone, Urgestein von Black Isle und Obsidian Entertainment und als Autor an Klassikern von "Fallout 2" bis hin zu "Pillars of Eternity" beteiligt, hat der Handlung als Mitautor seinen Stempel aufgedrückt.

Alte Tugenden in Hochglanz

Dass der Rückgriff auf die "altmodische" isometrische Darstellung mit Einbußen in grafischer Qualität einhergehen muss, widerlegt "Original Sin 2" von der ersten Sekunde an: Auf seine Art kann es das Spiel in Sachen Präsentation mühelos auch mit den Großen des Genres aufnehmen. Besonders in den Kämpfen zeigt die stufenlos dreh- und zoombare Spielewelt wahre Feuerwerke an Effekten – und die sind mehr als nur Show. Wie im Vorgänger ist das rundenbasierte Kampfsystem erstaunlich komplex geraten, wobei vor allem die Interaktionen zwischen Magie und Umwelt immer wieder begeistern können – dass Blitze Gegnern in Pfützen mehr Schaden zufügen, ist dabei nur der Gipfel des Eisbergs an Wechselwirkungen zwischen den Dutzenden Effekten und Auswirkungen von Feuer, Gift, Magie, Wetter, Fähigkeiten oder lokalen Gegebenheiten eines Kampfes.

Wer weniger Lust darauf hat, sich den vielen kriegerischen Auseinandersetzungen und ihren vor allem später nicht gerade trivialen Herausforderungen zu stellen, darf übrigens zu Spielbeginn auch den "Explorer Mode" wählen, in dem der Fokus mehr auf Story und Erforschung denn auf Kämpfen liegt – eine willkommene Option für all jene, die weniger martialisch unterwegs sind und größeren Wert auf die sich im klassisch-komplexen Multiple-Choice-Dialogsystem entspinnende Story legen, in dem die Antwortmöglichkeiten von Eigenschaften, Talenten oder Gesinnung beeinflusst werden. Die Vertonung der Dialoge ist dabei gut gelungen; solide Englischkenntnisse sind allerdings Voraussetzung.

Gemeinsam ins Abenteuer

Wie erwähnt startet das Spiel mit einem einsamen Helden, doch nicht nur vom Computer gesteuerte Kampfgefährten können ihm oder ihr Gesellschaft leisten: Bis zu vier menschliche Spieler können im Coop-Modus online in derselben Spielewelt auf Abenteuersuche gehen – im Idealfall gemeinsam, aber durchaus auch auf getrennten Wegen, die sich hin und wieder kreuzen. Wer sich lieber auf der Couch eine gemeinsame Rollenspielrunde gönnen will, darf im Splitscreen mit einem weiteren Mitspieler und eigens adaptierter Joypad-Steuerung im Local-Coop ins Abenteuer ziehen.

Neben dieser eher klassischen Multiplayer-Spielweise bietet "Original Sin 2" mit dem "Arena-Modus" erstmals auch eine simple, aber überraschend unterhaltsame PvP-Option, in der man fürs schnelle Gefecht zwischendurch gegen einen oder mehrere menschliche Gegenspieler in bislang zwei verschiedenen Mehrspielermodi in den Ring steigen darf – eine nette Abwechslung. Der durch das Erreichen des letzten Stretch-Goals der Kickstarterkampagne ebenfalls verwirklichte "Game Master"-Mode soll noch mehr "echtes" Rollenspielfeeling aufkommen lassen: Ein Spielleiter kann dabei, wie beim klassischen Pen&Paper-Rollenspiel, synchron vier weitere Spielerinnen und Spieler zu ganz eigenen selbst gestalteten Abenteuern leiten – ein Spielelement, das wir allerdings bislang nicht selbst ausprobiert haben.

LarianStudios

Fazit

Das – vorläufige – Fazit, ohne bis ans Ende der ausufernden Welt vorgedrungen zu sein: "Divinity 2: Original Sin" ist noch gelungener als der schon beeindruckende Vorgänger und das Spiel, auf das Freunde von "Baldur’s Gate" & Co sehnsüchtig gewartet haben: ein riesiges, detailreiches, komplexes und für viele, viele Stunden fesselndes klassisches Rollenspiel, das alte Tugenden mit sinnvollen Neuerungen und zeitgemäßer Präsentation verbindet. Das erfreut Veteranen, die bedenkenlos und sofort zuschlagen können, kann allerdings Neueinsteiger ins Genre schon mal mit Komplexität und einem Überfluss an Möglichkeiten schier erschlagen.

"Divinity: Original Sin 2" verlangt eine gewisse Einarbeitung, entfaltet sich allerdings schon bald zum epischen Fantasy-Abenteuer, in dem man sich nächte-, wochen- und monatelang verlieren kann. Die diversen Multiplayer-Modi sowie der "Game Master"-Mode versprechen zusätzlich zur üppigen Kampagne auch außergewöhnliche Langlebigkeit. Ein wunderbar altmodisches, zugleich aber zeitlos gutes episches Rollenspiel, das beweist: Komplexität und Spieltiefe kommen niemals aus der Mode. (Rainer Sigl, 15.9.2017)

"Divinity: Original Sin 2" ist für Windows-PC erschienen. UVP: 44,99 Euro.