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Tarnen und Täuschen im Ost-West-Konflikt: Ein weißrussischer Soldaten bedient bei der Übung "Sapad" eine Luftabwehrstellung.

Foto: Vayar Military Agency photo via AP

Der Innsbrucker Politikwissenschafter Gerhard Mangott sieht die Sorgen der Nachbarn vor einer russischen Aggression als unbegründet.

Foto: Gerhard Mangott

Die gemeinsame russisch-weißrussische Militärübung "Sapad" verursacht bei den Nachbarländern und der Nato Sorgenfalten: Das Manöver habe einen aggressiven Charakter und sei eine Übung für einen Überfall auf die Nachbarn, sagen Kritiker. Der Innsbrucker Politologe Gerhard Mangott sieht die Sorgen unbegründet. Ein Angriff auf diese Staaten würde auf die Bündnisgarantie der Nato treffen, sagt der Russland-Experte. "Sapad 2017" reihe sich in eine dichte Serie an Großmanövern beider Seiten ein.

STANDARD: Hat die "Sapad"-Übung eine tiefere Botschaft Moskaus für den Westen, oder handelt es sich um ein in Form und Größe übliches Militärmanöver?

Gerhard Mangott: Russland, das in vier Militärbezirke aufgeteilt ist, führt jedes Jahr in einem der Militärbezirke eine große Militärübung durch. 2017 ist nun der große und wichtigste Militärbezirk, der Bezirk Westen ("Sapad", daher auch der Name des Manövers) an der Reihe. Auch am letzten Manöver im Militärbezirk Westen, das 2013 stattfand, nahmen mehr als 70.000 Soldaten teil. In diesem Sinne ist das Manöver in Form und Größe Routine. Allerdings ist nun der Kontext ein anderer als 2013. Russland und Nato stehen sich nun – nach Beginn der Ukraine-Krise 2014 – als Gegner gegenüber, die Beziehungen sind von tiefem Misstrauen geprägt. "Sapad 2017" reiht sich dabei in eine dichte Serie an Großmanövern beider Seiten in den letzten drei Jahren ein.

STANDARD: Vor allem die Ukraine, Polen und die baltischen Staaten sehen eine Bedrohung durch "Sapad". Sind diese Sorgen mit Fakten untermauerbar?

Mangott: Es stimmt zwar, dass sich an militärische Großmanöver Russlands in den Jahren 2008 und 2014 eine militärische Aggression anschloss; aber das galt natürlich nicht für jedes Großmanöver. Die Sorge, Russland könnte die hohe Truppen- und Materialstärke zu einer offensiven militärischen Operation gegen die baltischen Staaten und Polen nutzen, ist aber unbegründet. Ein Angriff auf diese Staaten würde auf die Bündnisgarantie der Nato treffen. Russland will keinen militärischen Konflikt mit der Nato. Eine andere Sorge ist, dass ein Teil der Truppen und des militärischen Geräts Russlands auf Dauer in Weißrussland bleiben könnte und die Vorwärtsverteidigung Russlands stärken würde. Aber auch das wird höchstwahrscheinlich nicht der Fall sein, weil Weißrussland damit nicht einverstanden wäre.

STANDARD: Wie stellt sich die Lage aus der Sicht Russlands dar? Sind die Sorgen über Bedrohungsszenarien durch Nato-Übungen und -Stützpunkte gerechtfertigt?

Mangott: Russland und die Nato führen seit einigen Jahren Großmanöver durch, um sich auf Bedrohungen vorzubereiten, die eigentlich unwahrscheinlich sind: die Nato-Staaten auf eine militärische Aggression Russlands gegen die östlichen Bündnismitglieder, Russland auf eine Intervention der Nato in Weißrussland und Russland. So führte die Nato 2016 das Großmanöver "Anaconda" in Polen durch und dieses Jahr die Manöver "Saber Guardian" und "Saber Strike". Russland antwortet mit "Sapad 2017". So schaukeln sich die Spannungen in der Region wechselseitig auf.

STANDARD: Russland spricht von einem reinen Verteidigungscharakter der Übung. Ist das realistisch, oder ist es eine Vorbereitung auf eine offensivere Politik Moskaus?

Mangott: Das Manöver zielt nicht darauf ab, offensive Operationen gegen die Nato vorzubereiten. Aber es ist eine Übung für den Ernstfall einer westlichen militärischen Intervention und der russischen Gegenreaktion mit konventionellen und nuklearen Waffen. Auch Übungen der Zivilverteidigung sind in das Manöver eingebunden.

STANDARD: Russland wird vorgeworfen, die Zahl der teilnehmenden Soldaten zu unterspielen. Lässt sich der wahre Umfang der Übung korrekt einschätzen?

Mangott: Die von Russland angegebene Zahl ist natürlich nicht richtig. Russland gibt die Manöverstärke mit 12.700 Mann an, um unter dem Limit von 13.000 Soldaten des Wiener Dokuments von 1990 zu bleiben, ab dem internationale Beobachter Zugang zu allen Manöverteilen und an allen Manövertagen haben müssten. Die Manöverstärke dürfte bei ungefähr 80.000 liegen. Das schließt aber Truppen ein, die in Alarmbereitschaft versetzt werden, aber in ihren Kasernen bleiben.

STANDARD: Angela Merkel hat zuletzt angedeutet, dass sie sich ein Ende der Russland-Sanktionen vorstellen kann. Aus Kiew wurde sie dafür heftig kritisiert. Ist dieser Schwenk ernsthaft oder nur dem Wahlkampf in Deutschland geschuldet?

Mangott: Die deutsche Regierung ist sich dabei nicht einig. Die SPD tritt für die Aufhebung der Sanktionen ein, sobald ein stabiler Waffenstillstand zwischen der Ukraine und den separatistischen Regionen hergestellt ist. Kanzlerin Merkel ist dagegen. Sie will die Sanktionen erst aufheben, wenn alle Bestimmungen des Minsker Abkommens von 2015 umgesetzt sind. Das aber wird wohl nie passieren.

STANDARD: Kann der Vorschlag Wladimir Putins für UN-Truppen im Donbass den Konflikt lösen helfen?

Mangott: Es wäre ein wichtiger Schritt, um einen stabilen Waffenstillstand zu erreichen und den OSZE-Beobachtern Bewegungsfreiheit in der Region zu verschaffen. Die Ukraine will einer solchen Mission aber nur zustimmen, wenn diese auch die Grenze zwischen der Ukraine und Russland überwacht, die gegenwärtig von den Separatisten kontrolliert wird. Das wird Russland nicht akzeptieren. So ist derzeit offen, ob sich der Sicherheitsrat der UN auf eine derartige Resolution einigen kann.

STANDARD: In der Ukraine ist zuletzt Michail Saakaschwili, das ehemalige georgische Liebkind des Westens, in Ungnade gefallen. Unterstützung erhält er von seinem ukrainischen Gegenstück Julia Timoschenko. Hat Präsident Petro Poroschenko noch die Unterstützung des Westens, oder bahnt sich in Kiew neuerlich ein Umsturz an?

Mangott: Poroschenko wird von den westlichen Staaten offiziell noch immer voll unterstützt. Hinter den Kulissen gibt es aber wachsende Kritik und Vorbehalte gegenüber Poroschenko. Gerüchten zufolge könnte kommendes Frühjahr die ukrainische Regierung, die keine gesicherte Mehrheit im Parlament hat, stürzen und Parlamentswahlen angesetzt werden. Dann könnte sich die Zusammensetzung der Regierung deutlich ändern. (Michael Vosatka, 15.9.2017)