Bei Diabetes liegt ein Insulinmangel vor. Beim angeborenen Hyperinsulinismus hingegen weisen die Patienten eine zu häufige und übermäßige Produktion des Hormons Insulin auf, sogar ohne Zufuhr von Kohlenhydraten. Da Insulin für den Zuckerstoffwechsel verantwortlich ist, führt eine Insulinüberproduktion zu einer chronischen Unterzuckerung (Hypoglykämie). Das energiebedürftige Gehirn ist dadurch ständig unterversorgt.

Die Krankheit kann schwerwiegende Schädigungen des Gehirns hervorrufen und in ganz schweren Fällen sogar zum Tod führen. Mit der Unterstützung des Schweizerischen Nationalfonds (SNF) ist es einem Forschungsteam der Universität Genf gelungen, die Auswirkungen einer häufigen genetischen Mutation bei angeborenem Hyperinsulinismus genau zu beschreiben.

Der angeborene Hyperinsulinismus zeigt seine Wirkung ab der Geburt. Die seltene Krankheit betrifft etwa eines von 50.000 Neugeborenen, doch die Diagnosestellung ist nicht einfach. "Wenn man nicht bereits einen entsprechenden Verdacht hegt, kann bei einem Säugling eine Unterzuckerung leicht übersehen werden", erklärt Studienleiter Pierre Maechler, Forscher am Fakultätszentrum für Diabetes an der Universität Genf. "Unbehandelt kann sich die Situation rasch zuspitzen."

Wie der Zuckerhaushalt funktioniert

Das Forschungsteam hat sich mit einer genetischen Mutation befasst, die bei Fällen von Hyperinsulinismus bekannt ist. Das fragliche Gen produziert das GDH-Protein, das der Bauchspeicheldrüse den Befehl zur Insulinausschüttung erteilt. Normalerweise ändert das Protein seine Form, sobald der Blutzuckerspiegel einen Grenzwert überschreitet. Dann öffnet sich das Protein für ein Molekül, einen "Beschleuniger", das sich an das Protein bindet. Das Protein wird aktiv und sendet ein Signal an die Bauchspeicheldrüse, die daraufhin mehr Insulin produziert.

Beim angeborenen Hyperinsulinismus bewirkt das mutierte Gen eine Veränderung der Proteinstruktur. Das Protein bleibt für das Beschleunigermolekül immer offen, unabhängig vom Blutzuckerspiegel. Daher sendet es der Bauchspeicheldrüse ständig das Signal, Insulin auszuschütten, in übermäßigen Mengen.

Insulin begünstigt insbesondere den Transfer von Zucker in die Muskeln. Bei einem ständigen Insulinüberschuss wird das Gehirn nicht genügend mit Zucker versorgt, was zu Schädigungen des Gehirns sowie zu einer intellektuellen Beeinträchtigung oder in ganz kritischen Fällen zum Koma oder gar zum Tod führen kann.

Insulinregulationa als Therapieansatz

Zucker ist in diesen Fällen aber nicht das Hauptproblem. "Selbst wenn Patienten eine Mahlzeit zu sich nehmen, die nur Proteine enthält, wird die Insulinproduktion angekurbelt", erläutert Maechler. Menschen mit dieser Mutation entwickeln zudem erhöhte Ammoniakwerte im Blut (Hyperammonämie), die ebenfalls schwerwiegende Auswirkungen auf die Gehirnfunktionen haben. Das ist auf dieselbe Ursache zurückzuführen, wie die Forschenden um Doktorandin Mariagrazia Grimaldi zeigen konnten: Das mutierte GDH-Protein, das für das Beschleunigermolekül immer offen steht, führt auch zu einer Ammoniaküberproduktion durch die Leber.

Momentan haben die Behandlungsmöglichkeiten des angeborenen Hyperinsulinismus tiefgreifende Folgen: Sie reichen von der fast vollständigen Entfernung der Bauchspeicheldrüse – was zu Diabetes führt – bis zur Verabreichung von Molekülen, die die Aktivität der Bauchspeicheldrüsenzellen regulieren und schwere Nebenwirkungen aufweisen. Die neue Studie ebnet möglicherweise den Weg für neue Behandlungsmethoden. "Wir könnten allenfalls ein Molekül entwickeln, das den Beschleuniger des GDH-Proteins hemmt, indem es den betreffenden Rezeptor am Protein belegt, was die Insulinproduktion verringert", meint Maechler.

Für ein solches Medikament gäbe es auch Anwendungsmöglichkeiten bei der Behandlung von Fettleibigkeit: Ohne Insulin im Körper nimmt man nicht zu. "Das GDH-Protein könnte die Regulierung der Insulinproduktion ermöglichen.", betont der Forscher. "Das wäre in ethischer Hinsicht natürlich eine große Herausforderung, da diese Lösung verlockend einfach erscheint. Aber wir wissen, dass Diäten in bestimmten Fällen keinen Erfolg bringen und dass ein Magenbypass bei Weitem keine ungefährliche Lösung ist."

Fructose im Visier

Das Team von Pierre Maechler hat auch die Rolle der Fruktose bei der Entwicklung von Typ-2-Diabetes erforscht. In einer Publikation zeigen die Forschenden, dass dieser Zucker eine Glukose-Überempfindlichkeit hervorruft, die sich in einer gesteigerten Insulinproduktion äußert. Diese Entdeckung untermauert die Vermutung, dass eine Verbindung besteht zwischen dem massiven Einsatz von Fruktose in der Nahrungsmittelindustrie seit den 1980er-Jahren und der starken Zunahme der Typ-2-Diabetesfälle einige Jahre später. (red/idw, 18.9.2017)

Originalpublikation:

Identification of the molecular dysfunction caused by glutamate dehydrogenase S445L mutation responsible for hyperinsulinism/hyperammonemia