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Massenproduktion brachte auch sozialen Fortschritt.

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Doch in der Konsumgesellschaft verzichten wir trotzdem, meint Andreas Novy: etwa auf Fläche zugunsten von Parkplätzen.

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Wir definieren uns über das, was wir kaufen, meint Andreas Novy von der Wirtschaftsuniversität Wien. Ein Umdenken wäre dringend notwendig. Denn Verzicht darf nicht nur ein Phänomen der Elite werden.

STANDARD: Wie sehr bestimmt der Konsum unser Leben?

Andreas Novy: Unsere Bedürfnisse werden ganz wesentlich über den Erwerb von Waren definiert. Diese Reduktion der Bedürfnisbefriedigung auf Kaufen ist ein großes ökologisches Problem, das wir in der Diskussion über den Klimawandel berücksichtigen müssen.

STANDARD: Wie kam es dazu?

Novy: Das 20. Jahrhundert war eine Zeit des sozialen Fortschritts, insbesondere in Westeuropa mit einem Modell der Massenproduktion für den Massenkonsum. Das war unter sozialen Gesichtspunkten ein enormer Fortschritt gegenüber dem 19. Jahrhundert, in dem Kapitalismus bedeutete: Luxuskonsum für wenige. Indem sich diese Konsumgesellschaft in den reichen Ländern verallgemeinert hat, hat sich auch das ökologische Problem zugespitzt. Sieben Milliarden Menschen können nicht nach den Standards des Westens leben.

STANDARD: Muss man sich also zwischen sozialem Fortschritt und Rücksicht auf die Umwelt entscheiden?

Novy: Es gibt einen Zielkonflikt, weil Konsum vom Materialverbrauch schwer zu entkoppeln ist. Diesen kann man nur auflösen, indem man nach einem anderen Verständnis von sozialem Fortschritt sucht. Konsum müsste beim Verständnis von Lebensqualität an Bedeutung verlieren. Das ist nur möglich, wenn Bereiche wie Beziehungen, Freundschaft und Freizeit an Bedeutung gewinnen.

STANDARD: Kommt daher auch der Wunsch nach gesellschaftlichem Ausstieg?

Novy: Ja. Kapitalismus und Konsumgesellschaft bestehen seit 200 Jahren. Genau so lange gibt es Ausstiegsbewegungen: die Romantik im 19. Jahrhundert oder die Hippies im 20. Jahrhundert. Heute zeigt sich dies am Boom der Wellnesszeitschriften, aber auch an der Degrowth-Bewegung oder Roland Düringer. Sie verkörpern jeweils sehr unterschiedliche Formen des Ausstiegs und der Konsumkritik.

STANDARD: Wo liegen die Schattenseiten dieser Trends?

Novy: Zum einen sind ihnen Grenzen gesetzt. Zum anderen ist es oft ein Elitenphänomen, das instrumentalisiert wird. Da wird Konsum in Langsamkeit und Genuss umgelenkt. Der Kapitalismus ist extrem erfinderisch, diese Dinge in seine eigene Logik einzubauen.

STANDARD: Befreit man sich als Konsumverweigerer von Belastungen, oder nimmt man Verzicht in Kauf? Erhält man mehr Freiheit oder weniger?

Novy: Die Diskussion ist müßig, weil ihr zu viel Bedeutung beigemessen wird. Wir verzichten auch in der Konsumgesellschaft ständig. Man hat die Freiheit, in der Stadt mit dem Auto zu fahren, verzichtet aber darauf, dass Kinder den öffentlichen Raum nutzen können. Man muss einen anderen Freiheitsbegriff stärken, weil das großes ökologisches Potenzial hat.

STANDARD: Gibt es einen Unterschied zwischen regressiver und fortschrittlicher Konsumkritik?

Novy: Konsumkritik ist ein Stück weit immer eine Kritik an der Moderne gewesen, à la "früher war es besser". Es ist immer eine Spur Rückwärtsgewandtheit dabei, die aber nicht nur schlecht ist. Gleichzeitig würde ich nicht auf Errungenschaften des industriellen Fortschritts verzichten wollen.

STANDARD: Warum berühren sich Aussteigerfantasien so oft mit der Esoterik- und Verschwörungsszene?

Novy: Es gibt eine sehr breite Form der Kapitalismuskritik über ideologische Lager hinweg. Das hat mit dem Unbehagen an der jetzigen Form von Zivilisation zu tun. Daraus wird die Idee abgeleitet, dass alles besser wird, wenn man das ganze Billigglumpert und die Hollywoodkultur loswird. Da sind in der Tat viele problematische Elemente enthalten. Es wird reaktionär, wenn man alles, was modern ist – dazu gehören auch bestimmte Konsumformen –, verteufelt.

STANDARD: Was wäre eine Lösung jenseits der Verteufelung?

Novy: Einen nachhaltigen Ansatz sehe ich im Ausbau der sozialen Infrastruktur als gesamtgesellschaftliche Strategie, so wie dies die Sozialdemokratie zum Beispiel im Roten Wien verwirklicht hat. Das bedeutet etwa: Naherholung für alle. Nicht nur Schulen und Spitäler als öffentliche Infrastruktur, sondern auch Freizeit und Erholung. Die große Herausforderung ist heute, einen Lebensstil zu finden, der verallgemeinerbar wäre. Wir brauchen Kulturformen, die Zufriedenheit für alle bringen und verhindern, dass ein Teil auf Kosten anderer gut lebt.

STANDARD: Das bedeutet, die Abkehr von der Konsumgesellschaft kann nur öffentlich organisiert werden?

Novy: Das ist ein wichtiger Punkt. Dem Individuum wird heute eine zu große Verantwortung aufgebürdet. Man muss als Gesellschaft die Voraussetzungen erleichtern, ökologisch zu leben und trotzdem Spaß zu haben. Wenn man sich das allein organisieren muss, braucht man viel Geld.

STANDARD: Ist die Macht der Konsumenten also eine Illusion?

Novy: Nein, die ist keine Illusion. Aber man muss sich der Grenzen bewusst sein. Ich bin ein großer Fan davon zu sagen: Das eine tun, und das andere nicht lassen. Also: ökologisch konsumieren, aber wissen, dass die eigentlich zentrale Aufgabe ist, die Gesellschaft anders zu gestalten. (Vanessa Gaigg, 19.9.2017)