Eigentlich könnte das Model Ebonee Davis den Mund halten und einfach so weitermachen. Denn den Gesetzmäßigkeiten der Modebranche nach ist die 24-Jährige einigermaßen erfolgreich. Mit der Calvin-Klein-Unterwäsche-Kampagne, für die sie modelte, war ganz New York zugehängt, sie ist von Terry Richardson fotografiert worden und für eine Yeezy-Performance von Kanye West in einem hautengen Overall stillgestanden.

Dabei hatte Davis lange das Gefühl, dass mit ihr etwas nicht stimme. "Ich bin stundenlang vor dem Spiegel gesessen und habe mich gefragt, warum meine Augen nicht blau oder grün und meine Haare nicht länger sind", packte sie Ende letzten Jahres während eines TED-Talks aus.

Ebonee Davis hat allen Grund dazu, den Mund aufzumachen, denn Ebonee Davis ist schwarz. Zuvor hatte die Amerikanerin in einem offenen Brief im Magazin "Vanity Fair" den tiefsitzenden Rassismus einer Branche, die noch immer von weißen Verlagen, weißen Redaktionen, weißen Fotografen, weißen Stylisten und weißen Casting-Direktoren bestimmt wird, zur Sprache gebracht.

Flotter Zweier: Die Prefall-Kampagne des Hauses Gucci erregte Aufsehen. Schuld war das rein schwarze Casting.
Foto: Glen Luchford/ Gucci

Das Model hat die Gunst der Stunde genutzt. Denn offiziell hat sich die Modebranche Diversity auf die Fahnen geheftet: Alle, heißt es, sind jetzt schön – egal ob dick oder dünn, schwarz oder weiß. Ebonee Davis legt ihre Finger in offene Wunden. Während sich die Modeindustrie einerseits unentwegt schwarzer (Pop-)Kultur bediene, halte sie andererseits an starren, weißen Vorstellungen von Schönheit fest: Labels buchten Schwarze, wenn sie aussähen wie "weiße Models, die in Schokolade getaucht wurden", oder wenn sie so aussähen, als kämen sie geradewegs "aus einem abgelegenen Dorf in Afrika", kritisiert Davis. Im letzten Jahr prangerte der einflussreiche amerikanische Casting-Direktor James Scully in einem Instagram-Posting unter anderem das französische Modehaus Lanvin an, weil es keine "models of colour" verpflichten wolle.

Rassismen

Neu sind diese Vorwürfe nicht. Jetzt aber werden die Argumente von Menschen wie Ebonee Davis, die dank Social Media Gehör finden, diskutiert. Das wurde auch Zeit. So fordert das schwarze US-Model Leomie Anderson von Stylisten und Make-up-Artists, sich auch auf die Bedürfnisse dunkler Haut und von Afros einzustellen. Mittlerweile gilt der politische Aktivismus junger schwarzer Frauen in der Modebranche als sexy: Davis (120.000 Follower auf Instagram), Anderson (123.000 Follower) oder das britische Model Adwoa Aboah (307.000 Follower) inszenieren sich in den sozialen Netzwerken als eigenwillige Marken, als Moderebellinnen irgendwo zwischen Protest und Anpassung.

Auf sie kann nicht verzichtet werden, nicht zuletzt, weil High Fashion heute ohne Street-Credibility, ohne schwarze Hip-Hop-Kultur die Luft ausgeht. Und so warben in diesem Jahr Rapper wie Asap Rocky für Dior und die schwarzen Schauspieler des Hollywoodfilms "Moonlight" für Calvin Klein.

Feigenblatt?

Das verwundert nicht. Die amerikanische Kulturjournalistin Anne Helen Petersen vermutete vor einigen Monaten in einem Artikel für Buzzfeed im Amerika Trumps "das große Vakuum der weißen Prominenz". Die Mode bleibt davon nicht unberührt, Modelaktivistin Aboah gehört in diesem Herbst zu den meistgebuchten Kampagnenmodels, sie posierte für den diesjährigen Pirelli-Kalender.

Fotograf Tim Walker hat "Alice im Wunderland" ausschließlich mit schwarzen Models und Prominenten wie Whoopie Goldberg inszeniert – darunter selbstverständlich auch Naomi Campbell. Die heute 47-Jährige, die 1987 als erstes schwarzes Model den Titel der britischen "Vogue" zierte, war in der Ära der Supermodels in den großen Shows oft der Star, häufig aber auch die einzige Schwarze auf dem Laufsteg. Gerade streift sie in einem Werbevideo von H & M durch Tokio – und betont in Interviews, dass Diversity mehr als nur ein Trend sein solle.

Dieser Verdacht liegt nahe. Denn plötzlich fühlen sich auch bislang unbewegliche Modehäuser der Diversity verpflichtet. Das Label Gucci, das zum einflussreichen Luxuskonzern Kering gehört, hat zuletzt für eine Kampagne ausschließlich schwarze Models ausgewählt. Sie lehnt sich an die Porträts des Fotografen Malick Sidibé an. Er hatte in den 1960er-Jahren die Jugendkulturen Malis porträtiert. Für Gucci hat sich die Kampagne, für die neun schwarze Models verpflichtet wurden, ausgezahlt: Die Werbung, die von (dem weißen Fotografen) Glen Luchford inszeniert wurde, war überall Thema.

Rapper Asap Ferg mit Asap Rocky (hinten rechts). Letzterer wirbt für Dior. Das Model Adwoa Aboah ist erfolgreich, weil es sich als politische Aktivistin inszeniert.
Foto: APA / AFP / Daniel Leal-Olivas, APA / AFP / Pool / Philip Toscano, Vianney Le Caer / Invision / AP, Glen Luchford für Gucci

Aber funktionieren Kampagnen wie diese angesichts tiefsitzender, institutionalisierter Rassismen der Modeindustrie nur als fesches Feigenblatt? Immerhin sieht es danach aus, als ob etwas in Bewegung gekommen sei. Trotz des verknöcherten Castings vieler europäischer Modehäuser waren 30 Prozent der Models in 187 Herbstkampagnen der Modehäuser sowie 27,9 Prozent der Laufstegmodels während der Herbstschauen nicht weiß, das hat das Onlineportal "The Fashion Spot" festgestellt. Die Modeindustrie war in den letzten Jahren noch nie so divers.

Mehr Diversität

Zudem wird an wichtigen Stellschrauben des weißen Modesystems gedreht. Da wäre zum Beispiel der gebürtige Ghanaer Edward Enninful. Der mächtige Condé-Nast-Verlag verpflichtete ihn im August als Chefredakteur der britischen "Vogue". Enninful ist nicht nur der erste männliche Chef in der hundertjährigen Geschichte des britischen Modemagazins, er ist auch der erste Schwarze, der einen "Vogue"-Titel leitet.

Der 45-jährige Medienmacher setzt sich schon länger für mehr Diversität im Business ein. 2008 wurde er mit der "All Black"-Ausgabe der italienischen "Vogue" einer breiten Öffentlichkeit bekannt: Der Brite zeigte in dem Magazin nur schwarze Models, das Heft war ein Verkaufshit, 40.000 Exemplare der Ausgabe mussten nachgedruckt werden. Das will was heißen in einer Branche, in der sich die rassistische Mär hält, dass Magazine mit schwarzen Titelmodels Ladenhüter sind. Jetzt wartet die Branche auf das erste Cover des Neuen. Im Dezember ist es so weit. (Anne Feldkamp, RONDO, 30.9.2017)

Edward Enninful (hinten, mit Naomi Campbell) ist der neue Chef der britischen "Vogue", Model Ebonee Davis (vorne) ist Aktivistin, Jaden Smith (rechts) Front-Row-Star.
Foto: APA / AFP / Daniel Leal-Olivas, APA / AFP / Pool / Philip Toscano, Vianney Le Caer / Invision / AP, Glen Luchford für Gucci

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