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Der Río Napo durchfließt das ecuadorianische Amazonasbecken, in dem vorwiegend indigene Völker wie die Kichwa leben.

Foto: LightRocket via Getty Images /Wolfgang Kaehler

David Höner schippert seit kurzem mit einem umgebauten Fährschiff über den Rio Napo.

Foto: Samuel Schlaefli

Die Fähre heißt "El Bus Nautico" und war einmal eine Flussdisco.

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Dort will er Indigenen vermitteln, wie herrlich der Tigerwels schmeckt und was eine nette Einladung zum Essen bewirken kann.

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Der vorhin erwähnte Tigerwels.

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Foto: Samuel Schlaefli

Als die Flussfähre um sieben Uhr ablegt, liegt der Río Napo noch in dichtem, graugrünem Nebel. Vom mächtigen Strom ist lediglich ein dünner Streifen dreckigen Brauns zu sehen. Das undurchdringbare Grün des endlosen Regenwaldes am anderen Ufer lässt sich nur erahnen. Wir sind im Amazonasbecken Ecuadors, genannt Oriente, 100 Kilometer südlich des Äquators, wo die Sonne nicht scheint, sondern brennt und die Luft fast so feucht ist wie der Schweiß, der einem tagsüber aus allen Poren rinnt.

Nach Ankunft auf der anderen Flussseite balanciert David Höner über eine dünne Holzlatte zum Ufer. Er kauft sich zum Frühstück einen Sack gekochte Wachteleier und macht eine erste Runde über den Markt von Pompeya, zu dem die indigenen Kichwa aus den benachbarten Dörfern jeden Samstag mit Kanus anreisen. Er vergleicht Preise, prüft die Qualität des Gemüses und schäkert mit den Verkäuferinnen. Man merkt sofort: Er ist vertraut mit den Menschen und Produkten des Landes. Der Schweizer Koch und Weltenbummler lebt seit über 20 Jahren in Ecuador.

Kochlöffel für den Frieden

Mit Säcken voller Zwiebeln, Tomaten und Bohnen bahnt er sich einen Weg zurück auf die Flussfähre. Dort wird er von 18 Kichwa erwartet. Die meisten sind im Teenageralter, aber auch Frauen um die 40 sind dabei. Seit einer Woche sind sie Höners Schüler, lernen auf seinem Schiff wie man Europäer mit Lebensmitteln aus dem Amazonas und etwas Kreativität begeistert, wie man Menüpreise kalkuliert und Amerikaner in ihrer Sprache begrüßt. Die Lernenden sollen die Speerspitze des Tourismus im Oriente werden. An diesem Tag werden sie erstmals für Gäste kochen – keine alltäglichen Gäste, sondern solche, die sich für gewöhnlich ignorieren oder bekriegen.

Die Geschichte der Schweizer Kochfähre auf dem Río Napo nahm vor zwei Jahren ihren Lauf: Höner kaufte in El Coca, der Provinzhauptstadt Orellanas für umgerechnet 25.000 Euro "El Bus Nautico" eine Transportfähre mit aufgeschweißtem Doppeldeckerbus aus Schottland. Ein Ecuadorianer betrieb darauf jahrelang eine Flussdisco, bis er das Land aus ungeklärten Gründen Hals über Kopf verließ. Höner ließ den nautischen Bus zur Kochschule umbauen. Seither zieren das Chassis zwei rote Friedenstauben mit einem Kochlöffel im Schnabel – das Logo von Cuisine sans frontières (Csf), der "Küche ohne Grenzen". Wie die Ärzte ohne Grenzen reisen er und sein Team in entlegene Regionen, um zu helfen – nur nicht mit Skalpell und Antibiotika, sondern mit Erdäpfelschäler und Pfeffermühle.

Nicht auf Anhieb erkennbar

"Mit Kochen und Essen kann man Glück produzieren", ist Höner überzeugt. "Davon ausgehend lassen sich Brücken bauen, um verfeindete Gruppen wieder in einen Dialog zu bringen." Zum Beispiel die Pokot und Turkana in Kenia, die durch die Modernisierung zunehmend unter Bedrängnis geraten und sich über Viehdiebstähle mit Kalaschnikow-Sturmgewehren blutige Fehden liefern. Csf eröffnete 2010 im Konfliktgebiet ein Restaurant und lud die Clanchefs zum Ziegeneintopf ein. Ein Friedensdialog war initiiert, auch wenn es vereinzelt zu Rückfällen kam.

Die Kochfähre in Ecuador ist das neuste und wahrscheinlich komplexeste Csf-Projekt. Für Außenstehende sind die Spannungen im Oriente nicht auf Anhieb erkennbar, Reisende kommen, um den mancherorts noch unberührten Amazonasdschungel wie etwa im Cuyabeno-Naturschutzgebiet zu entdecken. Die Schwierigkeiten offenbaren sich im Pumpgeräusch von rostigen Pipelines, in Flammen von abgefackeltem Methan oder in mit Stacheldraht umzäunten Industrieanlagen inmitten des Dschungels. Seit den 1970er-Jahren werden im Oriente neue Ölplattformen, Pipelines und Straßen zur Erschließung der fossilen Brennstoffe gebaut. Illegale Jäger, Holzfäller und Viehzüchter zogen nach. Regenwald wurde zerstört und verschmutzt.

Ökotourismus statt Erdöl

Die Hauptleidtragenden waren stets die Indigenen – die Waorani, Shuar, Siona, Secoya, Cofán und die im 19. Jahrhundert von Kautschukbaronen als Arbeiter verschleppten Kichwa aus der Sierra. Für sie ist der Regenwald Lebensraum, Ernährungsgrundlage, Quelle für Medizin und das Zentrum ihrer Kultur. Mit dem Einfall der Erdölunternehmen verloren sie Land, Jagdgründe und Traditionen. Zum Überleben und getrieben vom Versprechen eines komfortableren Lebens heuerten viele als Petroleros an, als einfache Bauarbeiter, Transporteure oder Guides bei Ölunternehmen. Seit der Erdölpreis vor drei Jahren auf ein Rekordtief gefallen ist, verloren Tausende ihre Jobs.

"Die Kichwa am Río Napo brauchen eine Alternative zum Erdöl", sagt Höner, "und der kommunale Ökotourismus ist die beste." Davon sind mittlerweile auch eine Reihe von lokalen Umwelt-NGOs, Indigenenverbänden und Entwicklungsagenturen, wie die deutsche GIZ, überzeugt. Zudem unterstützt die Provinzregierung seit einigen Jahren von den Gemeinden selbstverwaltete Tourismusprojekte. Bisher jedoch mit mäßigem Erfolg: "Entlang der 300 Kilometer Fluss zwischen Coca und Nuevo Rocafuerte an der Grenze zu Peru leben um die 70.000 Menschen in 75 Gemeinden", weiß Höner. "Die Hälfte der Gemeinden betreibt bereits eine Lodge, aber nur ein Fünftel davon funktioniert tatsächlich."

Fehlendes Wissen im Umgang mit Touristen

Meist sind es einfache Bungalows, gezimmert aus lokalem Holz und mit geflochtenen Palmblättern als Dach; gebaut mit viel Hingabe und großen Ambitionen. Doch viele verrotten in der tropischen Feuchte, weil niemand weiß, wie man solche Dschungelresidenzen in den USA oder in Europa vermarktet oder was Reisende erwarten, die von weit herkommen, um mit etwas Glück Brüll-, Kapuziner- oder Sakiaffen, Anakondas, Kaimane und Tapire aus nächster Nähe zu erleben.

Es fehlt überall an Wissen im Umgang mit Touristen, meint Höner. "Ganz besonders, wenn es ums Essen geht – der Schlüssel für ein erfülltes Ferienerlebnis." Die Kichwa sind genügsam und kochen spartanisch – Bohnen, Reis und gekochter Maniok, oft nur mit etwas Salz gewürzt. Das langweilt den variationsverwöhnten Europäer schon am zweiten Tag. Die Jungen informieren sich deshalb über Internet und Facebook, was man im Westen isst und versuchen manche Rezepte zu kopieren. "Meist mit wenig Erfolg", wie Höner weiß.

Mehr als eine Ausbildungsstätte

Am ersten Kurstag versammelt er seine 18 Schülerinnen und Schüler aus Pompeya und Indillama auf dem überdachten Heck und setzt zu folgender Begrüßungsrede an: "Der Oriente hat großes touristisches Potenzial. Aber die Touristen kommen nicht, um verkochte Spaghetti mit Ketchup zu essen und lauwarmes Cola zu trinken. Sie wollen auch nicht jeden Abend Bohnen mit Reis. Reisende kommen in den Oriente, um eure Kultur und die Vielfalt der hiesigen Produkte kennenzulernen." Danach schickt er seine Schüler in die Küche. Dort lernen sie, wie man aus Kochbananen Suppen, aus Baumtomaten scharfe Soßen (Aji) und aus Palmherzen Salat zubereitet. Oder, dass sich aus Sapote, Chonta, Guanábana, Guave und Limón mandarina süße, aromatische Säfte pressen lassen.

Der Bus Nautico ist aber mehr als eine Ausbildungsstätte. Er ist auch eine neutrale Plattform, um Brücken zwischen den Menschen im Oriente zu bauen. Deshalb arbeitet er immer mit zwei Gemeinden gleichzeitig zusammen. Und deshalb hat er an diesem Samstag nach der ersten Kurswoche vor dem Markt in Pompeya nicht nur eine Gruppe Kichwa, sondern auch Waorani zum Mittagessen aufs Schiff eingeladen.

Essen mit Holzspeeren

Die Waorani-Männer tragen Federschmuck und lange Holzspeere. Sie sind gefürchtete Krieger und ausgezeichnete Jäger und lebten bis vor wenigen Jahrzehnten noch als Nomaden tief im Regenwald. Dann wurden sie – mit wenigen Ausnahmen – von amerikanischen Missionaren und den Petroleros "zivilisiert" und sesshaft gemacht. Immer wieder kam es in der Vergangenheit zu Scharmützeln zwischen Waorani und Kichwa. Meist geht es um Land und Jagdreviere, manchmal auch nur um hartnäckige Vorurteile.

Nach Ansprachen voller guter Intentionen, traditionellen Tänzen und geteilter Chicha (gekaute und in Spucke vergorene Yucca) wird auf dem überdachten Oberdeck aufgetischt: Reis, Bohnen, Thunfischsalat und gekochte Bananen mit Zuckerrohrsirup zum Dessert. Die Schüler rennen zwischen Küche und Oberdeck, schöpfen Teller und schenken zuvorkommend Guavensaft nach. Höner hält den Überblick und schlüpft selbst in die Gastgeberrolle, setzt sich zu seinen Gästen, klopft Sprüche, bringt sie zum Lachen und bietet Kekse an.

Gehobene Amazonasküche

Kichwa und Waorani sitzen getrennt, vereinzelt kommt es zu kurzen Gesprächen und Gelächter. Die Kichwa-Buben sind begeistert von den Speeren der Waorani, mit welchen sie sich gegenseitig übers Deck jagen. Eine Annäherung ist initiiert. Höner verbucht den Tag später als Erfolg, wenn auch nicht ohne Zweifel: Wären die Gruppen auch gekommen, wenn die Bootsfahrt und das Mittagessen nicht von Csf bezahlt worden wären? Haben sie ein echtes Interesse für prosperierenden Tourismus zusammenzuarbeiten?

Höners Vision ist eine ökonomisch und ökologisch nachhaltige Tourismusregion, die von den indigenen Gruppen selbst verwaltet wird. Aktuell knüpft er ein Netzwerk aus Hotels, Öko-Logdes und Unternehmen, um seinen besten Schülern einen Einstieg in den Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Und in El Coca will er eine Buchungszentrale aufbauen, über welche die Indigenen ihre kommunalen Ökotourismusprojekte am Napo selbstständig verkaufen können. Gekoppelt mit einem Markt für lokale Produkte und angeschlossenem Restaurant mit gehobener Amazonasküche.

"Das wird zwar ein Stück weit zur Disneylandisierung des Amazonas beitragen", gesteht Höner. Aber er sieht keine bessere Alternative: "Entweder werden die Indigenen über den Tourismus Teil der Globalisierung, oder sie werden von ihr ausgelöscht." (Samuel Schlaefli, RONDO, 22.9.2017)