Neil Diamond in der Wiener Stadthalle. Schon seine Erscheinung sorgte für stehenden Applaus im Saal.

Foto: Robert Newald

Wien – Keine Frage, der Mann wird geliebt. Allein schon sein Erscheinen veranlasste große Teile des Saales, sich zu erheben und ihn willkommen zu heißen wie einen verlorenen Sohn. Neil Diamond, dem dieser Empfang galt, fasste sich an die Brust und nahm den Zuspruch berührt entgegen. Ein Profi mit Herz.

Bald darauf sollte er nach einem Lied sagen: "Wenn ihr gut zu mir seid, fühle ich mich gut, und wenn ich mich gut fühle, singe ich gut." Das sollte sich am Dienstag in der ausverkauften Wiener Stadthalle bewahrheiten. Singen kann er. Die Knie und die Hüfte mögen nicht mehr so elastisch sein wie früher, doch stimmlich ist Diamond mit seinen 76 Jahren in Bestform. Und das bewies er mit einem fast 30 Songs umfassenden Best-of-Programm im Rahmen seiner 50 Year Anniversary World Tour. Vor gut 50 Jahren, 1966, debütierte der New Yorker mit dem Album "The Feel of Neil Diamond".

Schunkeln in Blue Jeans

Das bescherte ihm mit "Cherry, Cherry", "Oh No No" und "Solitary Man" gleich drei Hits, ein Schnitt, den Diamond über viele Jahre und Alben halten sollte und der ihn in den frühen 1970ern zum Superstar machte. Ein Status, den er bis heute hält und der ihm, wenn er ein Album veröffentlicht, traditionell einen Platz in der Charts sichert, oft war es der ganz oben. An die 140 Millionen Alben soll der Mann verkauft haben. Mit sanften, eingängigen Popsongs, meist auf Folkrockbasis, veredelt von einer einnehmenden Stimme. Popmusik familienfreundlich.

Aus dem Grund wurde der 1941 geborene Sänger und Songwriter oft als Hausfrauensexgott denunziert. Doch das ist nicht der schlechteste Ruf, fragen Sie einen Briefträger. Ungleich verlässlicher lieferte Diamond Hits ab. Dass viele davon in keinem Schlagerkarussell negativ auffallen würden, also doch etwas seichte Schunkler sind, zeigten Titel wie "Forever in Blue Jeans". Ein so schlichter wie wirkungsvoller Hit aus 1978, bei dem der Saal sich klatschend auf die Suche nach dem Takt begab.

Ein Souverän

Vor seiner zwölfköpfigen Band durchmaß Diamond derweil die Bühne – legeres Outfit, Dreitagebart – und sah großzügig über das ungelenke Gepasche hinweg. Bei Balladen wie "Play Me" sang der Saal ergeben mit, da wurden ein paar Taschentücher gezückt, ein paar Tränen zerdrückt, das eine oder andere Kinn bebte. Denn Diamond ist mehr als bloß ein Star.

Seine Musik begleitete die Biografie von vielen wie ein verlässlicher Freund. Diamond ist eine Art Souverän. Keine Skandale, attraktiv, ein höflicher und sensibler Mann, der schon als Teenager, daheim in Brooklyn, eher mit Gedichten als mit seinen Fäusten überzeugte. In dieser Schnittmenge konnte der Abend nur ein Erfolg werden, mit ewigen Songs wie "Solitary Man", "I'm a Believer", "Beautiful Noise", "Song Sung Blue" und, und, und. Dazwischen immer wieder Standing Ovations.

Einen Hänger leistete sich Diamond, als er drei Songs aus dem Soundtrack von "Jonathan Livingston Seagull" spielte. Die waren ein bisschen unteraufregend. Während der Film 1973 floppte, geriet Diamonds Soundtrack dennoch zum Hit. Was der Mann anfasst, so scheint es, wird zu Gold.

Fußabdruck in "Pulp Fiction"

Oft musste er dafür nicht einmal selbst singen. Schon früh schrieb er Songs, die andere in Hits verwandelten. Später, in den 1990ern, hinterließ er über die Band Urge Overkill ("Girl You'll Be a Woman Soon") seinen Fußabdruck in Quentin Tarantinos "Pulp Fiction", und sogar im Noiserock der 1980er schlug er auf, als Killdozer sein "I Am ... I Said" ungespitzt in den Boden rammten. Das Original war in der Stadthalle ebenfalls zu hören.

Da hatte sich Diamond nach der Möwe-Jonathan-Lähmung wieder gefangen und gab ein paar Songs seines Welterfolges von 1972, dem Livealbum "Hot August Night": Das forsche "Crunchy Granola Suite", "Done Too Soon" oder "Holly Holy". Und eben "I Am ... I Said". Dabei stand er allein mit seiner Gitarre im Lichtkegel des Scheinwerfers und ließ sich und diesen Evergreen wirken. Jubel und, logisch, stehender Applaus.

Das war der Endspurt, im Zugabenteil kam dann "Sweet Caroline", ohne das kein Neil-Diamond-Konzert zu Ende geht. Der sanfte Gigant verneigte sich, winkte und ging ab. Ein Guter – aber das haben ja alle schon vorher gewusst. (Karl Fluch, 20.9.2017)