Nordkoreas Propaganda präsentiert Diktator Kim Jong-un gerne als "Raketenmann". Er dürfte sich darüber freuen, dass Donald Trump ihn nun auch so nennt, glauben britische Forscher.

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Die nordkoreanische Atomrüstung wird auch im kommenden Jahr das geopolitische Problem Nummer Eins bleiben. Zu dieser Einschätzung kommen die Experten des in London ansässigen anglo-amerikanischen Strategieinstituts IISS. Um die Ambitionen des stalinistischen Regimes auf eine Interkontinental-Rakete zu verhindern, bedürfe es einer neuen diplomatischen Initiative unter Einschluss der USA und der wichtigen Regionalmächte. Hingegen halten die Wissenschaftler eine Vermittlungsrolle europäischer Staaten wie der Schweiz, Österreich oder Deutschland für wenig aussichtsreich. "Europa hält sich am besten heraus", sagte IISS-Nuklearexperte Matthew Cottee am Mittwoch in London.

Die weitgehend selbstverschuldete Uneinigkeit des Westens trage zu einer Stärkung jener Staaten wie Nordkorea, Russland oder Iran bei, die den internationalen Status quo verändern wollen, betonte IISS-Direktor John Chipman bei der Vorstellung des Jahrbuchs Strategic Survey: Donald Trumps Wahl zum US-Präsidenten, aber auch andere Faktoren wie die andauernde Beschäftigung Europas mit sich selbst hätten zu einer "dramatischen Schwächung wichtiger Allianzen" geführt, so Chipman.

Washington "strategisch verwirrt"

Dass in Washington noch immer viele Posten in den wichtigen Ministerien für Äusseres und Verteidigung unbesetzt bleiben, demonstriert nach Meinung des IISS die "strategische Verwirrung" der Supermacht USA. Hingegen formulierten autoritäre Staaten wie Russland und China ihre außenpolitischen Ziele deutlicher, seien auch weniger durch innenpolitisches Störfeuer abgelenkt als die Demokratien Nordamerikas und Europas. So habe Russland seinen Einfluss auf dem westlichen Balkan ebenso ausbauen können wie im Bürgerkriegsland Syrien.

Zurückhaltend äußerte sich Abrüstungsexperte Cottee zu den Ideen der Schweizer Bundespräsidentin Doris Leuthard sowie der deutschen Kanzlerin Angela Merkel, ihre Länder könnten im Konflikt um Nordkoreas Atomraketen vermitteln. Die Berner Initiative sei ja ganz interessant, sagte der IISS-Mann dieser Zeitung: "Aber was kann die Schweiz tun, was andere nicht auch können?" Gleiches gelte für Deutschland. Auch EU-Außenkoordinatorin Federica Mogherini hatte eine europäische Beteiligung nach dem Vorbild der Iran-Gespräche angeboten.

Rationaler Raketenmann

Aus Cottees Sicht führt nichts an einer Wiederbelebung der Sechser-Gespräche vorbei: Im vergangenen Jahrzehnt hatte Nordkorea mit den Nachbarn Südkorea und China sowie Russland, Japan und den USA über sein Atomrüstungsprogramm verhandelt, die Gespräche aber 2009 abgebrochen und sämtliche Inspektoren des Landes verwiesen. Mit den jüngsten Raketentests verhalte sich Pjöngjang vollkommen rational: "Kim Jong-Un fürchtet einen Regimewechsel à la Saddam Hussein und will Sicherheit gewinnen." Neben der Militärstrategie verfolgt der Despot eine vorsichtige ökonomische Öffnung, die neuerdings auch private Märkte zulässt.

Die aggressive Rhetorik des US-Präsidenten werde Pjöngjangs Verhalten nicht ändern, glauben wie der IISS-Mann viele erfahrene Beobachter. "Drohungen und Verhöhnungen" würden im Gegenteil eher zu einer Beschleunigung der Atomrüstung führen, befürchtet Richard Haass vom US-Thinktank Council on Foreign Relations. Trumps Kennzeichnung des nordkoreanischen Diktators als "Rocket Man" (Raketenmann) könnte für Kim Jong-Un sogar eine Ehrenbezeichnung sein, "so ähnlich wie die Sowjets Margaret Thatcher als 'eiserne Lady' beleidigen wollten", analysiert Professor Lawrence Freedman vom Londoner King's College.

Das IISS-Jahrbuch erörtert zusätzlich eine Reihe anderer Risiken für die nächsten Monate. Durch den Bürgerkrieg in Syrien und die faktische Aufteilung des Landes habe die von Iran unterstützte Hisballah an Kampfbereitschaft gewonnen und sich im Süden des Landes mit besseren Nachschublinien festgesetzt, sagte Nahost-Experte Emile Hokayem. "Sie ist auch deutlich besser bewaffnet als beim letzten Konflikt mit Israel 2006." Alle Faktoren für eine neuerliche Auseinandersetzung seien vorhanden. Die USA kümmere sich kaum um die Region, "weshalb alle Augen auf Russland gerichtet sind". (Sebastian Borger aus London, 20.9.2017)