Nationalrat schauen war am Mittwoch angesagt: Im Großen Redoutensaal der Hofburg ging die erste Sitzung im Ausweichquartier des Parlaments über die Bühne.

Foto: Matthias Cremer

Wien – Ein bisschen war die Stimmung wie am ersten Schultag nach den Sommerferien: Erstmals tagte der Nationalrat am Mittwoch im Großen Redoutensaal in der Hofburg, dem Ausweichquartier während der Parlamentssanierung. Mit Mänteln, Taschen und Schirmen suchten die Abgeordneten ihren Sitzplatz. Unvermeidlich für einige, scheint's, auch dort Selfies und Fotos von sich hinterm neuen Rednerpult zu machen, das nun die Regierungsbank halbiert. Die Redner haben die Kabinettsmitglieder nicht mehr im Rücken, sondern stehen Seit' an Seit' mit ihnen.

Manche sitzen im neuen Plenarsaal plötzlich, etwa Karlheinz Töchterle (ÖVP), in der ersten Reihe, andere haben neue Nachbarn, weil sie als "wilde" Abgeordnete in die letzte Reihe wandern mussten. Dort logiert nun etwa der Ex-Grüne Peter Pilz neben Ex-FPÖlerin Barbara Rosenkranz (FLÖ).

Um 9.07 Uhr eröffnete Präsidentin Doris Bures die 194. Sitzung des Nationalrats und sprach von einer "Zäsur in der Geschichte der Republik", tagten die Abgeordneten doch erstmals seit 1918 außerhalb des Parlamentsgebäudes am Ring – in historisch aufgeladenem Ambiente: Der 1631 erbaute Saal war als Tanzsaal konzipiert, beherbergte später Opernaufführungen, Jimmy Carter und Leonid Breschnew unterzeichneten dort 1979 den Abrüstungsvertrag Salt II, zweimal brannte es.

Erzherzog Johanns Botschaft

Das erste Parlament auf österreichischem Boden tagte 1848, im Zuge der Revolution, in der Winterreitschule der Hofburg, erinnerte Bures und zitierte Erzherzog Johann, der die erste Sitzung des Reichstags so eröffnete: "In der Berufung der Volksvertreter zu eigener Beratung ruht die sicherste Gewähr der geistigen und materiellen Entwicklung Österreichs." Das hart erkämpfte Wahlrecht möge am 15. Oktober ausgeübt und im Wahlkampf nicht vergessen werden, "dass es zur Demokratie gehört, die Meinungen anderer zu respektieren", mahnte Bures.

Vor der Nationalratssitzung sind die Regierungsmitglieder von SPÖ und ÖVP zu ihrer letzten geplanten Ministerratssitzung zusammengekommen. Die wurde zur Wahlkampfbühne. Beitrag aus der ORF-ZiB um 17 Uhr.
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Sie ahnte, dass die vorletzte reguläre Nationalratssitzung vor der Wahl größere Spuren von Wahlkampfkontamination abbekommen würde – und so kam es auch. Schon im Ministerrat in der Früh hatten einander die vor der Scheidung stehenden Regierungspartner Unfreundlichkeiten ausgerichtet. Die SPÖ, die die Gleichstellung von Arbeitern und Angestellten beschließen will, warf der ÖVP "Ankündigungspolitik" vor; die ÖVP, die um das Sicherheitspaket kämpft, sprach im Gegenzug von roten "Wahlkampfzuckerln".

Zuerst fehlte die schwarze Hälfte, dann die rote

Im Plenum schien es dann so, als würden sich die roten und die schwarzen Kontrahenten vorerst aus dem Weg gehen, denn zu Beginn der Aktuellen Stunde auf Wunsch der FPÖ zum Thema direkte Demokratie, Ceta und TTIP gab es, wie FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache als Erstredner süffisant bemerkte, "geteiltes Interesse von Regierungsseite, wenn es um direkte Demokratie geht". Denn die ÖVP-Seite war da noch komplett verwaist, auf SPÖ-Seite hatte Kanzler Christian Kern vier Regierungsmitglieder dabei. Eine halbe Stunde verspätet tauchten auch Innenminister Wolfgang Sobotka und Landwirtschaftsminister Andrä Rupprechter auf.

Bei der Aktuellen Europastunde der Grünen bezüglich des Pestizids Glyphosat zeigte sich übrigens das umgekehrte Bild, da waren plötzlich keine roten Regierenden mehr anwesend, dafür hielten für die Schwarzen Rupprechter und eine Zeitlang Familienministerin Sophie Karmasin die Stellung.

Alte Demokraten und neue Handelsverträge

Strache knüpfte ebenfalls an 1848 und die "Vorkämpfer der Demokratie" an, um daraus abzuleiten, "dass wir Demokratie auch weiterentwickeln sollten" – durch den Ausbau direkter Demokratie, auch angesichts internationaler Handelsabkommen wie Ceta und TTIP, die "nationales Recht aushebeln" würden. Darum müsse das Volk darüber abstimmen. Eine "Volksgesetzgebung" würde das Vertrauen in die Politik stärken.

Kanzler Kern verteidigte den Welthandel, will aber keine "Sonderrechte für internationale Konzerne zulassen", daher sehe er derzeit keine Veranlassung, Ceta dem Hohen Haus vorzulegen. Für die ÖVP warnte Kathrin Nachbaur vor Protektionismus. Werner Kogler (Grüne) warf der Regierung "ein falsches Spiel" vor und forderte einen Volksentscheid über die "bittere Pille" Ceta. FLÖ-Spitzenkandidatin Barbara Rosenkranz setzt auf direkte Demokratie als "Heilmittel gegen den Realitätsverlust der politischen Klasse".

Beliebtes und an diesem Tag oft genutztes Wahlkampfinstrument war die wechselseitige Bezichtigung, populistisch zu agieren.

Sie Populist! Selber Populist!

Da sagte etwa Neos-Vizeklubchef Nikolaus Scherak: "Links- und Rechtspopulismus finden zusammen, wenn es um Wohlstand und freien Handel geht." Für Grünen-Klubchef Albert Steinhauser eine "populistische Zuspitzung der Neos", Neos-Abgeordneter Sepp Schellhorn hingegen hielt auch Kanzler Kern für populistisch, weshalb er FPÖ-Chef Strache von dessen "populistischer Verantwortung" befreien wollte.

Ein dentistisches Argument pro direkte Demokratie und politische Kontrolle kam von Peter Pilz: "Das Parlament braucht Zähne und wird am 15. Oktober wieder ein sehr gutes Gebiss bekommen." Bis dahin bleiben 24 Tage Zeit für Zahn- wie politische Hygiene.

Wahlkampfzeit ist auch die Zeit für Wünsche: ein neues Mietrecht (SPÖ), kalte Progression abschaffen (FPÖ, Neos) oder zweckgebundene Wohnbauförderung (Grüne).

Letztere brachten überdies einen dringlichen Antrag zur Parteienfinanzierung mit einem Verbot von Unternehmensspenden und einer Spendenobergrenze von 10.000 Euro pro Person und Jahr ein – abzielend auf die Großspenden für die ÖVP. Die SPÖ reagierte auf den grünen Antrag argumentativ zustimmend, die ÖVP attackierte daraufhin die SPÖ, die Neos wiederum kritisierten Rot und Schwarz und die FPÖ plädierte für Transparenz, aber ohne Übertreibung. (Lisa Nimmervoll, 21.9.2017)