Sebastian Kurz wäre ein schlechter Politiker, hätte er sich nicht jahrelang darauf vorbereitet, die alte Volkspartei zur neuen Volkspartei umzukrempeln und den Kanzleranspruch zu stellen. Wie die nun in die Öffentlichkeit gelangten Papiere belegen, hat er diese Hausaufgaben aber recht gründlich gemacht. Reinhold Mitterlehner war offenbar schon lange klar, dass er dem halb so alten Parteifreund zu gegebener Zeit den Spitzenplatz würde überlassen müssen. Aber er wollte gerne selber aussuchen, wann dieser Zeitpunkt sein sollte. Hat er im Mai dann gemacht.

Für Kurz kein Problem, der hatte ja seinen Plan, wie er die Partei übernehmen wollte, schon in der Schreibtischschublade. Also wurde vieles von dem umgesetzt, was man jetzt wiedererkennt, wenn man die (sichtlich unfertigen) Konzeptentwürfe betrachtet. Zum Zeitpunkt, als diese erstellt wurden, hätten Kurz und seine Unterstützer gerne noch ein paar andere Kandidaten auf der Liste gesehen. Der eine oder andere Einflüsterer und Mitautor der Dokumente hätte auch noch andere Inhalte mitverpacken wollen.

Dass man das alles so offen nachlesen kann, ist ein schönes Geschenk an künftige Zeitgeschichtler, die ein weiteres Kapitel der ÖVP-Geschichte schreiben werden. Ob, wie jetzt diskutiert wird, die Kurz-Freunde ihre Beiträge in der Freizeit verfasst oder ihrem damaligen Arbeitgeber Überstunden verrechnet haben (was bisher nicht belegt ist), wird in diesem Kapitel allenfalls eine Fußnote bleiben. (Conrad Seidl, 20.9.2017)