Dass Karl Heinz Gruber in seinem Plädoyer für die sogenannte Gesamtschule (der STANDARD, 20. 9.) ausgerechnet eine teure Privatschule wie das Theresianum als Beispiel dafür anführt, warum unser System sozial ungerecht ist, entbehrt nicht einer gewissen Komik. Gerade Gruber, der viele Jahre an britischen Universitäten lehrte, weiß natürlich genau, dass eine Schule wie das Theresianum in Österreich eine absolute Randerscheinung ist. In Großbritannien hingegen, einem Land, in dem die "comprehensive schools" das Bildungssystem derart zerrüttet haben, dass man mit TV-Werbespots nach Lehrern für das staatliche Schulsystem suchen muss, blühen die Privatschulen seit Jahren und sind ein enorm wichtiger Faktor des Bildungssystems.

Betuchte Eltern wissen, dass ihr Kind nur dann eine Chance auf gute Bildung hat, wenn es in eine der unverschämt teuren Privatschulen aufgenommen wird. Und privat heißt in diesem Fall wirklich privat, also – anders als in Österreich – ohne vom Staat bezahlte Lehrer als lebende Subventionen. Das Schulgeld ist dementsprechend hoch, kein Vergleich mit dem Wiener Theresianum. Dennoch sind die Wartelisten lang, und die besten Chancen habe diejenigen Kinder, die bereits im Primärbereich private Volksschulen besuchen, um dort (wieder für teures Geld) auf die schwierigen Aufnahmeprüfungen in den Privatschulen im Sekundärbereich vorbereitet zu werden.

Apropos Lehrer: Das Ziel jedes Lehrers in Großbritannien ist es, in einer Privatschule unterzukommen. Das Times Educational Supplement, in dem Stellen ausgeschrieben werden, liegt in jedem Lehrerzimmer auf, und für jeden Posten an einer Privatschule gibt es zahlreiche Bewerber, sodass sich diese Schulen wirklich die besten Lehrer aussuchen können. Jedem Lehrer ist klar: Wer an einer Privatschule unterrichtet, hat es geschafft, er ist der "Gesamtschule" entronnen. Die Auswirkungen auf die Qualität und vor allem die Motivation der Lehrer, die es noch nicht geschafft haben, kann sich jeder selbst ausmalen.

All das hat zur Folge, dass das von Gruber und anderen als demokratisch und sozial gepriesene System der (sogenannten) Gesamtschule in Wirklichkeit noch viel segregativer ist als die ach so schlimme österreichische Trennung mit zehn Jahren. Bei uns ist es nämlich möglich und gar nicht so selten, dass man ohne AHS-Unterstufe zur Matura und zur Hochschulreife gelangen kann.

Wer in England aber einmal den Weg in die Gesamtschule angetreten hat, wird mit hoher Wahrscheinlichkeit bei den Abschlussprüfungen so mittelmäßig abschneiden, dass ihm die guten Universitäten versperrt bleiben. In den Privatschulen hingegen konzentriert sich das Geld und daher auch die besseren Lehrer und natürlich die bessere Ausstattung. Logisch, dass Absolventen solcher Schulen die besseren Abschlusszeugnisse bekommen.

Auch in Österreich gibt es genügend wohlhabende Familien, die wissen, was Bildung wert ist, und die es sich einiges kosten lassen würden, wenn sie einmal nur mehr die Wahl zwischen Gesamtschule und teurer Privatschule hätten. Wenn es das Gymnasium nicht mehr gibt, werden Eltern viel Geld für Privatschulen ausgeben. Warum sollte das in Österreich anders sein als in Großbritannien? Und dann fängt das, was Gruber "soziale Segregation" nennt, erst wirklich an. Die Betreiber privater Schulen jedenfalls hören die Registrierkassa klingeln, sooft in der öffentlichen Diskussion das Wort "Gesamtschule" fällt. Wenn diese kommt, wird auch das Theresianum mehr Konkurrenz bekommen. (Christian Goldstern, 21.9.2017)