Aufruf zur Diskussion und Anregung, sich in den politisch-philosophischen Diskurs einzuschalten: Verleger Peter Engelmann.


Foto: Passagen-Verlag

Wien – Sigrid Löffler schrieb vor einigen Jahren, Wien habe immer noch nicht ganz begriffen, was es am Passagen-Verlag, diesem ewigen Fremdkörper "im Wiener Kulturbetrieb", habe. Fremd, aber nicht unbekannt blieb der Passagen-Verlag auch Jürgen Habermas, der einst gesagt haben soll: "Wien, das ist doch die Stadt mit diesem postmodernen Verlag?"

Anfänglich, so Passagen-Verleger Peter Engelmann (70) in einem Interview, habe man das Projekt, als das er den Verlag sieht, "wahnsinnig beschimpft". Allerdings habe diese Ablehnung auch Aufmerksamkeit für den Verlag geschaffen, der sich in den 1980er-Jahren gegen viele Widerstände anschickte, die neueste französische Philosophie in den deutschsprachigen Raum zu bringen. Und es sollte nicht lange dauern, dass Passagen der Ruf vorauseilte, eine "Oase in der Wüste des Realen" zu sein. Und ein Ort des wilden und heißen Denkens.

Dass dem wirklich so ist, davon kann man sich im Buch Stören überzeugen, das sich der Verlag zum 30. Geburtstag geschenkt hat. "Seit seinem ersten Programm wurde der Passagen-Verlag als Störung und unsere Autoren als Störer empfunden. Den Linken waren wir zu rechts und den Rechten zu links, aber uns waren genau diese Kategorien, diese Denkkorsette zu eng", schreibt Engelmann in einem kurzen Vorwort. Wobei Stören neben dem zitierten Interview, das Joachim Scholl mit Engelmann führte, auch Denk- und Lebenspositionen langjähriger Weggefährten des Verlages präsentiert. Und zwar in Form von Gesprächen mit Alain Badiou und Jacques Derrida, von dem der Verlag mehr als 40 Bücher publizierte, oder einem Briefwechsel Engelmanns mit Jacques Rancière sowie einem sehr lesenswerten unveröffentlichten Beitrag von Jean-François Lyotard. Dazu wirft Hélène Cixous' Text Max und Moritz, et Ma Mère die Frage nach Erinnerung und der Übersetzbarkeit literarischer Texte auf.

Ideologiekritik

Die angeführten Namen sprechen für sich, wobei der Wert dieses Buches darin besteht, Begriffe wie "Postmoderne", "Dekonstruktion" oder "Différance" in einfachen Worten von jenen erklärt zu bekommen, die diese Termini prägten. Thematisch schlägt der Band einen Bogen von den gesellschaftlichen und ökonomischen Verwerfungen der neoliberalen Gegenwart bis zu Reflexionen über die Postmoderne (Lyotard), Schrift und Sprache (Derrida) und den utopischen Mehrwert von Kunst und Marxismus (Badiou, Rancière). Das Prinzip des Übergangs, des Verbindens von Systemen und Disziplinen, das der Verlag in seinem auf Walter Benjamin referierenden Namen trägt, ist in Stören Programm. Wobei es wohl keinen Verlag gibt, der so untrennbar mit der Geschichte seines Verlegers verbunden und gleichzeitig so offengeblieben ist wie dieser.

Der 1947 in Berlin geborene Engelmann, der über Hegel promovierte, saß als Dissident in der DDR zwei Jahre im Gefängnis, bevor er von der BRD freigekauft wurde und nach Frankreich ging, wo er schnell Kontakt zur dortigen Philosophieszene bekam. Auch zu Alain Badiou, dessen Thesen zu einem erneuerten Kommunismus Engelmann nicht teilt, aber trotzdem für diskussionswürdig hält.

Seiner ideologiekritischen Haltung ist Passagen treu geblieben. Relevanz und Qualität sind weitere Worte, die einem im Zusammenhang mit diesem an Ecken und Kanten nicht armen Verlagshaus in den Sinn kommen können. Walter Benjamin schwebte vor, eine lange, von Träumereien unterbrochene Geschichte zu verfassen. Solch eine Geschichte hat der Passagen-Verlag gemeinsam mit seinen Lesern geschrieben. Er wird es weiter tun. (Stefan Gmünder, 23.9.2017)