In einem Grab wie diesem hätte man eigentlich die Überreste eines Mönches vermutet.
Foto: Guernsey Archaeology

Oxford/Wien – Bis vor wenigen Tagen noch waren die Ausgrabungen auf der kleinen Gezeiteninsel Chapelle Dom Hue vor der Küste der Kanalinsel Guernsey archäologische Routine. Die Wissenschafter rund um Philip de Jersey von der Oxford University und den Guernsey Museums and Galleries legten auf dem nur 17 Meter langen Eiland die Grundmauern eines kleinen Bauwerks frei, das Benediktinermönchen einer Priorei der nahen Insel Lihou im 14. Jahrhundert als Rückzugsort gedient haben mochte.

Dann aber stießen die Archäologen ganz in der Nähe des Gemäuers auf ein unberührtes Grab. Auf den ersten Blick wirkte die Stätte keineswegs ungewöhnlich: Die sorgfältige Beisetzung und die typische Ost-West-Ausrichtung erweckten zunächst den Anschein, als wäre hier ein Mönch nach dem damaligen christlichen Ritus zur letzten Ruhe gebettet worden. Als die Forscher jedoch die Gebeine des vermeintlichen Kirchenmannes freigelegt hatten, erwiesen sich diese zur Verblüffung aller Beteiligten als definitiv nicht menschlich.

Video: Tag 11 der Ausgrabungen auf Chapelle Dom Hue lieferte einen mehr als ungewöhnlichen Fund.
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Einzigartiges Schweinswalgrab

Tatsächlich stellten sich die Überreste bei näherer Begutachtung als Knochen eines jungen Schweinswals heraus, eines kleinen Meeressäugers, der mit den Delfinen nahe verwandt ist. Für de Jersey ist das der ungewöhnlichste Fund seiner 35-jährigen Karriere als Archäologe: "Es ist wirklich rätselhaft. Ich habe keine Ahnung, wie man das interpretieren soll. Warum sollte jemand damals den Aufwand betrieben haben, einen Schweinswal in einem Grab beizusetzen?"

Vor allem die Umstände der Grablegung machen diese Entdeckung nach Angaben der Forscher so einzigartig: Das Tier war nicht einfach in einer Grube verscharrt worden. Die bewusste Beisetzung nach spätmittelalterlicher christlicher Tradition erweckt den Eindruck, als hätte der Meeressäuger eine besondere Bedeutung gehabt. "Hätten wir etwas Vergleichbares in einer Kirche gefunden, wären wir allein schon aufgrund der Form des Grabes von einer christlichen Grabstätte ausgegangen", sagt de Jersey.

Video: Tag 12 der Ausgrabungen auf Chapelle Dom Hue: mehr Details über das Schweinswal-Grab.
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Vergrabener Vorrat?

Im Mittelalter sind Schweinswale und Delfine mitunter auch auf den Tellern gelandet. Möglicherweise sei auch dieses Exemplar für den Verzehr bestimmt gewesen, spekulieren die Archäologen. In einem solchen Fall wären die übrig gebliebenen Knochen aber eher im kaum zehn Meter entfernten Meer entsorgt worden. Stattdessen aber machte sich jemand die Mühe, dafür auf der steinigen Insel ein sorgfältiges Grab auszuheben.

"Vielleicht hat man das Tier aber auch in Salz konserviert und vergraben und dann darauf vergessen", meint der Forscher. Eine weitere Theorie lautet, dass Schweinswale für die Bewohner der lokalen Inselwelt eine spezielle religiöse Bedeutung hatten. Hinweise darauf gibt es allerdings laut de Jersey bisher keine: "Der Delfin hat im Christentum zwar einen besonderen Stellenwert, aber etwas Ähnliches ist mir bisher nicht begegnet. Derartiges würde man eher für die Eisenzeit erwarten, nicht aber für das späte Mittelalter."

Vielleicht liefern ja weitere Untersuchungen eine Antwort: Als Nächstes sollen die rätselhaften Knochen jedenfalls von Meeresbiologen analysiert werden. (Thomas Bergmayr, 21.9.2017)