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Ein riesiges Banner, das Kurdenpräsident Massud Barzani zeigt, an einer Wand der Zitadelle von Erbil: Am Montag stimmen die Kurden über ihre Unabhängigkeit ab.

Foto: Reuters russell boyce

Der ganz große Schub für die kurdische Einheit, den das Unabhängigkeitsreferendum am 25. September bringen sollte, bleibt letztlich aus. Zwar zweifelt unter den irakischen Kurden über die Parteigrenzen hinweg so gut wie keiner das Recht auf ein Referendum und einen eigenen Staat an; aber die Meinung, dass der Zeitpunkt falsch ist, hält sich bei einigen konstant. Als einen "gefährlichen Schritt" bezeichnet etwa die Partei Gorran (Wandel) auf ihrer Homepage die Abstimmung. Aber es ist zu vermuten, dass viele ihrer Anhänger trotzdem am Montag zur Urne gehen und mit Ja stimmen werden.

Gemeinsam mit der islamischen Partei Komal boykottierte Gorran auch die Parlamentssitzung am 15. September, bei der das von Kurdenpräsident Massud Barzani ausgerufene Referendum abgesegnet wurde. Die Sitzung war die erste seit zwei Jahren: Dass die kurdischen demokratischen Institutionen in einem schlechten Zustand sind – auch das Mandat Barzanis als Präsident der Regionalregierung in Erbil ist ja längst abgelaufen -, gehört zu den Sorgen der Referendumsgegner. Ganz abgesehen von den chaotischen Zuständen rund um Kurdistan.

Einer der Einwände, die etwa die USA gegen die Abstimmung vorbringen, scheint berechtigt zu sein: dass die Entscheidung der Kurden für die Unabhängigkeit den Kampf gegen den "Islamischen Staat" beeinträchtigt. Donnerstagfrüh startete die irakische Armee ihre Offensive gegen das letzte kleine Stück Territorium, auf dem sich der IS noch hält. Aber in Hawija sind, anders als in Mossul und Tal Afar, die kurdischen Peschmerga nicht dabei. Die Kurden halten nur ihre Front dicht – aber eben nicht nur gegen eine mögliche IS-Infiltration, sondern auch gegen irakische Einheiten.

Wahlkämpfer Barzani

Präsident Barzani – sein Neffe Nechirvan ist Premier, sein Sohn Masrur Sicherheitschef – trat zur Wochenmitte in Sulaymaniya auf, wo die Gorran stark ist, die sich 2009 von der PUK (Patriotische Union Kurdistans) abspaltete, der ursprünglichen Rivalin von Barzanis DPK (Demokratische Partei Kurdistans). Die PUK, die seit der Erkrankung ihres charismatischen Führers Jalal Talabani schwächelt, hat sich hinter Barzani gestellt. Barzani versprach in seiner Rede "ernsthafte, sehr freundliche und ehrliche Gespräche" mit Bagdad, die innerhalb von zwei Jahren zur kurdischen Unabhängigkeit im Nordirak führen sollten: "Dann können wir freundlich Lebewohl sagen", zitiert ihn Rudaw online.

In Bagdad untersagte diese Woche das Höchstgericht das Referendum, aber Erbil blieb davon unbeeindruckt. Die Zentralregierung unter dem schiitischen Premier Haidar al-Abadi ist nicht nur prinzipiell gegen diesen Schritt in Richtung Zerfall des Irak. Für Bagdad ist es ein großes Problem, dass die Abstimmung auch in zwischen Arabern und Kurden umstrittenen Gebieten stattfinden wird. Das bekannteste davon ist Kirkuk, das auch von den Turkmenen als "ihre" Stadt gesehen wird. Bei Kirkuk gibt es reiche Ölvorkommen.

Autonomie von 2005

Die irakische Verfassung von 2005, zwei Jahre nach dem Sturz Saddam Husseins durch die US-Invasion, gab den Kurden eine weitreichende Autonomie, die sie de facto schon seit 1991 hatten (siehe Chronologie rechts unten). Aber die kurdische Region bekam damals nicht ihre Wunschgrenzen zugesprochen. Vielmehr sollten in den umstrittenen Gebieten – in denen ethnische und religiöse Minderheiten leben, die nicht alle zu den Kurden stehen – Referenden stattfinden. Was jedoch niemals geschah.

Die DPK und die PUK sind zwei stark tribale und ideologisch gespaltene Parteien, deren erstes Experiment mit der Demokratie in den 1990er-Jahren zu einem Bürgerkrieg führte. Sie begannen in den Jahren danach einen erfolgreichen, wenngleich schwierigen Nationsbildungsprozess. Obwohl bereits eine Abstimmung 2005 ein eindeutiges Ergebnis pro Unabhängigkeit brachte, traf Erbil eine strategische Entscheidung, beim Irak zu bleiben. Gleichzeitig baute Kurdistan jedoch kontinuierlich an seiner eigenen institutionellen Infrastruktur. Dieser Prozess ist nicht abgeschlossen: So sind etwa DPK-Peschmerga und PUK-Peschmerga noch immer nicht vereint. Und die Unzufriedenheit über den Mangel an Demokratie, über Nepotismus und Korruption unter Kurden wächst.

Für Präsident Massud Barzani, Sohn des legendären Kurdenführers Mullah Mustafa Barzani, gab es wohl mehrere Gründe, seine Referendumspläne jetzt durchzuziehen: Nach dem Sieg über den IS, zu dem die Kurden so viel beigetragen haben, steht eine Neudefinition des Verhältnisses mit Bagdad an – aber darüber hinaus auch eine neue Ordnung, vielleicht sogar neue Grenzen, in der Region. Und natürlich geht es ihm auch um politische Hegemonie im zerstrittenen Kurdistan – und um sein historisches Vermächtnis. (Gudrun Harrer, 22.9.2017)