Alle rufen: "Disruptiv", "agil"......Die Frage ist aber nicht: Welchen Ansatz und welche Tools verwenden wir? Sondern: Wer sind wir als Unternehmen, und wer wollen wir in Zukunft sein?

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"Wir müssen die digitale Transformation gestalten!" "Disruptiv sein, heißt die Devise!" "Unser Unternehmen sollte agiler werden!" So schallt es derzeit von den Podien und aus den Meetingräumen dieses Landes. Wir müssen Veränderung. Und spielen lieber Bullshit-Bingo – es gewinnt der, der öfter "Agility", "Disruption" oder "New Work" sagt.

Im Moment werden Digitalisierung, Entrepreneurship-Mentalität und digitale Transformation im selben Atemzug mit Innovation und Change genannt. Allesamt Buzzwords. Aber wie genau "Change" und "digitaler Wandel" vonstattengehen sollen, darüber wird häufig nicht diskutiert.

Die Diskussion kratzt nur an der Oberfläche. Und ist gespickt mit Appellen des Müssens und Rezepten des Sollens. Gedanklich wird alles digitalisiert, was nicht bei drei auf dem Baum ist. In der Offline-Realität wird erst einmal ein Arbeitskreis gebildet.

Absolvieren, konsumieren

Oder: Die Angst managt die Veränderung. Hastig buchen wir Design-Thinking-Seminare, verschlingen Bücher über Lean-Management und initiieren Scrum und Kanban. Von oben wird der Change verordnet, ebenso die Innovation, es werden externe Berater beauftragt und interne Innovation-Officers eingesetzt, während die Belegschaft erstmal vor Angst gelähmt ist angesichts der drohenden Veränderung, die unbedingt sein muss.

Wir müssen Innovation. Doch was heißt das? Zwanghafte Innovation kann ein Unternehmen ebenso irritieren wie die neue Schokoladenpizza eines kreativen Herstellers unsere Geschmacksnerven. Nicht alles, was neu ist, ergibt auch Sinn.

Dabei wäre der erste Schritt so einfach: sich auf das Wesentliche besinnen.

Wenn ich mit Unternehmen über Führungskräfteprogramme spreche, zeigt sich oft dasselbe Muster: Sie wissen nicht genau, was ihre Mitarbeiter brauchen, und sie wissen auch nicht so recht, was ihre Kunden wollen. Denn sie sprechen nicht mit ihnen. Sie wollen innovativ sein, verabsäumen es aber oft, die entscheidenden Fragen zu stellen: Was wollt ihr eigentlich? Was braucht ihr dafür? Und wo wollen wir gemeinsam hin?

Rein ins Geplapper

Daher möchte ich gern in all das Buzzword-Geplapper hineinrufen: Stoppt das Bullshit-Bingo! Stoppt das reflexartige Verordnen von Innovationsmaßnahmen für alles und jeden. Redet mit euren Mitarbeitern und euren Kunden. Entscheidet darüber, wo digitale Maßnahmen wirklich sinnvoll sind. Redet darüber, was digitale Transformation für euch und für euer Unternehmen konkret bedeutet. Redet über das, was schon vorhanden ist, achtet auf die Stärken eurer Mitarbeiter, und hört zu, was eure Kunden sagen. Nehmt ihre Ideen ernst. Geht auf die Bühne und sagt, dass wir innovativ können, auch ohne Design-Thinking (nur fürs Protokoll: Ich bin Fan von Design-Thinking, es ist eine wunderbare Methode, wenn sie richtig platziert ist). Jedes Unternehmen trägt bereits Potenzial für echte Innovation in sich: MitarbeiterInnen mit kreativen und neuen Ideen, Kunden, die gern über ihre Bedürfnisse sprechen.

Scrum, Kanban, Design-Thinking, agiles Management: All das sind wertvolle Tools und Ansätze, doch sie sind nur Mittel zum Zweck und sicher keine Allheilmittel gegen eine unsichere Zukunft. Die Frage ist also nicht: Welchen Ansatz und welche Tools verwenden wir? Sondern: Wer sind wir als Unternehmen, und wer wollen wir in Zukunft sein? Ah ja, und natürlich, wer sind unsere Kunden, und welche Erfahrungswerte gilt es hier zu beachten? Damit muss das Management anfangen.

Hinsehen, wertschätzen

Bei dem ansetzen, was bereits vorhanden ist. Und Mitarbeiter und Kunden aktiv in die Veränderung einbeziehen, denn Innovation und Change kann man nicht von oben verordnen. Es ist das, was passiert, wenn man Menschen machen lässt. Es ist das, was passiert, wenn man Mitarbeiter in ihrer Selbstverantwortung stärkt und sie für das, was sie tun, anerkennt und wertschätzt. Es ist das, was passiert, wenn man die Ziele offenlegt und Strategien verständlich kommuniziert.

Und nun, fragen Sie? Allgemein gültige Rezepte gibt es nicht, aber mögliche Herangehensweisen:

Lower your ego Das Management muss bei sich selbst beginnen. Das ist der erste Schritt zur sinnvollen Veränderung. Haben Sie Mut, andere Meinungen ernsthaft einzubeziehen, und fordern Sie Feedback ein. Oft bin ich mit einer gewissen Unsicherheit des Managements konfrontiert, ja nicht zu viel verändern zu wollen – es könnte womöglich die Unternehmenskultur betreffen. ?· Klar und transparent Seien Sie klar und transparent in der Kommunikation. Innovationsprojekte scheitern, weil die Strategie fehlt, die Kommunikation unklar ist und die Akzeptanz der Mitarbeiter fehlt. Was hier hilft, ist klare und offene Kommunikation im Vorfeld.

Über den Tellerrand schauen Sie über den Tellerrand hinaus, und schaffen Sie Lern- und Entwicklungsräume: Was wollen die Kunden von morgen? Wo können wir erfolgreich sein? Um es mit Clayton Christensen zu halten: "Großunternehmen scheitern deshalb, weil sie alles richtig machen" – und dabei wesentlichen Veränderungen in ihrem Umfeld zu wenig Beachtung schenken.

Entlasten Nehmen Sie Druck raus. Müssen wir um jeden Preis innovativ sein? Sie können Ihr Unternehmen nicht von einem Tag auf den anderen revolutionieren. Bauen Sie auf dem auf, was funktioniert. In welchen Bereichen ist das Unternehmen jetzt schon agil? Wo gibt es gute Ideen? Fragen und Zuhören ist die Devise. ?· Revolutionieren Revolutionieren Sie intelligent. Der Kunde bestimmt, was interessant ist, und nicht das Bullshit-Bingo. Das, was hinter den Buzzwords steckt, ist dazu da, die Situation für Kunden, Unternehmen und Mitarbeiter zu verbessern – und nicht um des eigenen Selbstzwecks willen.

Bullshit-Bingo oder nicht Bullshit-Bingo, das ist Ihre Frage. (5.10.2017)