STANDARD: Im Wahlkampf wird hitzig über die Einführung einer Erbschaftssteuer gestritten. Gibt es aus Sicht der Wissenschaft irgendwelche gesicherten Erkenntnisse dazu?

Humer: Eine Gewissheit, die fast unwidersprochen gilt, ist, dass die Belastung auf Arbeit in Österreich zu hoch ist. Das ist schlecht für die Konjunktur, weil es das Anstellen einer Arbeitskraft unattraktiv machen kann. Gleichzeitig ist es so, dass wir in Österreich auf der Einnahmenseite mehr oder weniger eine Flat Tax haben. Zählt man alle Steuern und Sozialabgaben zusammen, geben sämtliche Haushalte rund 40 Prozent von ihrem Einkommen an den Staat ab. Nun könnte man das Steuersystem ein wenig progressiver gestalten, sodass die unteren Einkommen ein wenig mehr zum Ausgeben hätten und die oberen etwas mehr beitragen. Damit wäre der Anreiz für Arbeitnehmer und Arbeitgeber größer, die Beschäftigung auszuweiten. Zugleich gebe es einen positiven Effekt für die Wirtschaft, weil Haushalte am unteren Ende der Einkommensverteilung mehr konsumieren.

DER STANDARD

STANDARD: Wo kommt die Erbschaftssteuer ins Spiel?

Humer: Die Aufgaben des Staates wollen finanziert werden. Die Industriestaatenorganisation OECD schlägt uns deshalb vor, unsere Steuerstruktur zu verändern. Steuern auf Arbeit sollen sinken, jene auf Vermögen und Kapital sollen ebenso etwas erhöht werden wie die umweltrelevanten Steuern, etwa auf Mineralöl. Die Einführung einer Erbschaftssteuer wird in dem Zusammenhang besonders empfohlen.

STANDARD: Warum?

Humer: Weil die Erbschaftssteuer von allen kapitalbezogenen Steuern die Wirtschaft am geringsten belastet. Es ist üblicherweise so, dass man sein Erbe in einem Alter von 50 bis 60 Jahren bekommt. Da sind die relevantesten Entscheidungen im eigenen Leben schon getroffen worden. Die Erbschaftssteuer belastet also Investitionsentscheidungen oder die Bildung von Humankapital im Vergleich sehr gering, wie Studien zeigen.

STANDARD: Wobei der Staat mit den Mehreinnahmen aus der Erbschaftssteuer den Faktor Arbeit wirklich entlasten müsste, sonst steigt nur die Abgabenquote.

Humer: Im Moment, glaube ich, gibt es einen Konsens, dass die Abgabenquote in Österreich ein Niveau erreicht hat, das man nicht weiter erhöhen sollte. Dem stimme ich zu. Wobei längerfristig betrachtet sehr wohl Argumente für eine Erhöhung sprechen können. Der Einsatz neuer Technologien steht vor der Tür, denken Sie an selbstfahrende Taxis und U-Bahnen. In der Industrie gibt es mehr und mehr Roboter. Damit gehen Produktivitätsgewinne einher. Diese sind aber dort am wenigsten realisierbar, wo staatlichen Ausgaben in den kommenden Jahren am stärksten zulegen dürften: Bildung, Altenpflege, Spitäler.

Ein ungehobener Schatz? In den kommenden Jahren werden die Zahl der Erbfälle und das Erbvolumen deutlich steigen, so Ökonom Humer.
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STANDARD: Was folgern Sie daraus?

Humer: Die Gesellschaft muss sich überlegen, wie wir diese Herausforderung lösen. Eine Möglichkeit ist, produktive Sektoren im Vergleich zum BIP stärker zu besteuern, damit mehr Geld für Gesundheit und Bildung bleibt. Eine andere Möglichkeit ist, auch in diesen Bereichen weniger auf menschliche Interaktion und mehr auf neue Technologien wie Roboter zu setzen.

STANDARD: Zurück zur Erbschaftssteuer. Ein häufiger Einwand lautet, dass mit ihr ein schon versteuerter Euro noch einmal versteuert wird.

Humer: Dieses Argument ist für mich ein logischer Kurzschluss. Ich gehe arbeiten, zahle Steuern. Mit dem, was mir bleibt, will ich meine Bedürfnisse befriedigen, wie in diesem Kaffeehaus, wo wir sitzen, einen Espresso trinken. Wenn ich bezahle, fällt Umsatzsteuer an. Mein versteuertes Geld wird noch einmal versteuert. Darüber hinaus ist das, was ich bezahle, ein Einkommen für den Eigentümer des Kaffees – auch er muss noch einmal versteuern. Für den Erben ist die Erbschaft allerdings wie ein Einkommen, für das aktuell keine Steuern anfallen.

STANDARD: Was ist mit Menschen, die etwas erben, aber selbst wenig Geld haben. Denken Sie an jemanden, der ein Zinshaus im Wert von zwei Millionen Euro erbt. Bei einem Steuersatz von 25 Prozent, wie er derzeit diskutiert wird, müsste er 250.000 Euro an den Staat zahlen.

Humer: Wenn jemand ein Zinshaus mit diesem Wert erbt, kann er sich zunächst einmal sehr glücklich schätzen, weil das in Österreich eine extreme Seltenheit ist. Die Vermögen im Land sind im Gegensatz zu den Arbeitseinkommen sehr ungleich verteilt. Die reichsten ein Prozent halten 36 Prozent des Vermögens. Das sind wir bei dieser Konzentration mehr oder weniger Spitzenreiter bei der Ungleichverteilung, knapp hinter den USA.

STANDARD: Wobei man hinzurechnen muss, dass Menschen über ein hohes staatlich angespartes Pensionsvermögen in Österreich verfügen.

Humer: Das ist richtig, und berücksichtigt man dieses mit, sinkt die Ungleichheit deutlich. Bei Ihrem Beispiel mit dem Zinshaus wäre es Aufgabe der Finanz, sich etwas zu überlegen. Es gibt Stundungsmodelle, bei denen man die Steuerlast auf 30 Jahre verteilen kann. Der Erbe müsste dann nicht verkaufen.

STANDARD: Was ist bei Unternehmen? Gefährdet eine Erbschaftssteuer nicht Arbeitsplätze?

Humer: Dieses Argument wird immer gebracht. Ich kenne keine wissenschaftliche Studie, die das wirklich konkret berechnet hat. Ob man Unternehmen ausnehmen will oder auch hier bei Problemfällen Stundungslösungen diskutiert, sollte im politischen Meinungsbildungsprozess diskutiert werden. In OECD Ländern mit Erbschaftssteuer ist kein Unternehmersterben zu beobachten.

STANDARD: Ist die Besteuerung von Erbschaften relevant, international wirklich eine Rolle spielen nur Umsatz- und Lohnsteuern.

Humer: Belgien erhebt eine Erbschaftssteuer von knapp unter einem Prozent der Wirtschaftsleistung, das ist der absolute Spitzenwert. In den Niederlanden, Finnland, Schweden, Frankreich Japan und Südkorea macht sie 0,3 bis 0,5 Prozent des BIP aus. Da kommt was zusammen.

STANDARD: Wobei in Österreich derzeit hohe Freibeträge zwischen einer Million und 500.000 Euro diskutiert werden. Da würden nur sehr wenige Haushalte darunterfallen.

Humer: Zwei bis fünf Prozent. Wobei sich das etwas ändern wird. Im Moment gibt es in Österreich ein Erbvolumen von 15 bis 20 Milliarden Euro im Jahr. Das sollte sich bis zum Jahr 2040 verdoppeln. Die Babyboom-Generation rutscht ins Pensionssystem und wird dann ein paar Jahrzehnte später leider versterben. Die Anzahl der Erbfälle wird steigen. Zudem steigt die durchschnittliche Erbschaft, weil Menschen versterben, die sich als Teil der Nachkriegsgenerationen ein Vermögen aufbauen konnten. Da rollt eine Erblawine auf uns zu. Wobei die Erbschaftssteuer den Strukturwandel, den wir in Österreich bräuchten, allein nicht bringen wird. Deswegen sollten wir über sie auch gar nicht singulär diskutieren.

STANDARD: Österreich rangiert im internationalen Vergleich in puncto Lebensqualität im Spitzenfeld. Muss man da nicht vorsichtig sein, wenn man am Steuersystem herumdoktert, das gut funktioniert.

Humer: Das Lebensniveau ist sehr hoch, und die Ungleichheit der Lebensbedingungen ist im internationalen Vergleich gering. Ich glaube aber schon, dass wir Umschichtungen vornehmen können, die das Land noch lebenswerter machen. Ein Baustein des gesellschaftlichen Erfolges ist der sozialpartnerschaftliche Ausgleich, bei dem beide Seiten einander nicht über Gebühr belasten und wissen: Wir sitzen alle im gleichen Boot. Das hat in der Nachkriegszeit sehr gut funktioniert. Aber heute gibt es globale Trends, die dazu führen, dass Kapitaleinkommen dynamischer wachsen als Arbeitseinkommen. Kapitalvermögen kann am globalen Wachstum insgesamt stärker partizipieren. Mit normaler Arbeit wird man es vermutlich künftig schwerer haben, den Lebensstandard zu halten. Da gibt es Prozesse, anhand deren man gut argumentieren kann, dass das österreichische Modell Adaptionen braucht.

STANDARD: An was denken Sie noch abseits der Erbschaftssteuer?

Humer: In Österreich werden Kapitalerträge aus Zinsen und Dividenden mit 25 oder 27,5 Prozent endbesteuert. In einigen Ländern, auch den USA, ist es dagegen so, dass Kapitalerträge zu den Einkommen mit dem normalen Einkommenssteuertarif erfasst werden. Mit einem Simulationsmodell haben wir uns angesehen, was passiert, wenn das in Österreich auch der Fall wäre. Wir sehen, davon würden zwei Drittel der Haushalte profitieren, weil ihr durchschnittlicher Steuersatz geringer ist als die 27,5 oder 25 Prozent. Sie würden eine Spur entlastet werden. Das oberste Drittel würde eine Spur mehr bezahlen. Damit wäre das Steuersystem progressiver, und wir hätten ein zusätzliches Aufkommen von einer Milliarde Euro, um den Faktor Arbeit zu entlasten. (András Szigetvari, 24.9.2017)