Rote Ballons am Himmel über Berlin.

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Sonniger Herbstabend in Berlin: Martin Schulz rief zum letzten Gefecht seiner Kandidatur (Von hinten).

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Der SPD-Chef gibt sich kämpferisch.

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Berlin – Auf dem Berliner Gendarmenmarkt rief SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz 36 Stunden vor Wahlbeginn seine Anhänger zu Kampfgeist auf. Es gehe um viel. Er kämpfe bis Sonntagabend um jede Stimme, sagte er vor rund 8.000 Zusehern und einem massiven Polizeiaufgebot. Und warnte im Laufe seiner 40-minütigen Rede eindringlich vor einem Wahlerfolg der rechtspopulistischen Alternative für Deutschland (AfD).

"Jeder merkt doch, dass es in Deutschland brodelt", sagte der SPD-Kanzlerkandidat zum Abschluss eines Wahlkampfes, an dessen Ende allen Umfragen zufolge eine Niederlage stehen wird. Schulz, der kurz nach seiner Kür seiner Partei ein Hoch in den Umfragen beschert hatte, gab sich unverdrossen. Das Land sei Angela Merkels müde, diese entziehe sich den Zukunftsfragen Deutschlands und betreibe "Schlaftablettenpolitik", adressierte er an die ebenfalls von Umfragen suggeriert hohe Zahl der Unentschlossenen. Laut der Forschungsgruppe Wahlen gaben lediglich 63 Prozent aller Wahlberechtigten an, sicher zu sein, dass und wen sie wählen wollen.

Seifenblasen

Den Unentschlossenen galten die letzten Hoffnungen einiger Zuseher an diesem Abend vor Ort. Ein junger Vater, seine beiden Buben schicken mit SPD-Seifenlauge Blasen gen Himmel, setzte seine Hoffnungen im Gespräch mit dem STANDARD auf "die vielen, die sich noch nicht entschieden haben" und auf den Platz in der Opposition, falls die SPD "nur um die zwanzig Prozent" erreicht.

Hundert Meter von ihm entfernt beschwor derweil Schulz die Gefahr einer "Regierung der sozialen Kälte", die den Deutschen im Fall eines Ausscheidens der SPD aus der Regierung blühe. Die CDU habe Erfolge der großen Koalition stets als ihre eigenen verkauft, da habe man es als politischer Gegner schwer. Mit Merkel drohten vier weitere Jahre Stillstand, er hingegen wolle als Bundeskanzler mutig die Zukunft gestalten. Ein Pensionist, der Schulz' ambitioniertem Plan lauschte, glaubte an diesem Abend nicht daran. "Es herrscht im Land zu viel Behäbigkeit, die Leute wollen keine Veränderung." Zudem blicke ganz Europa einem Rechtsruck entgegen.

"Ihr seid unsere Feinde"

Jubel wurde auf dem Gendarmenmarkt vor allem dann laut, wenn auf der Bühne die Rede auf die AfD kam. "Ihr seid unsere Feinde!", rief Schulz in deren Richtung, die SPD werde die Demokratie verteidigen gegen jene, die genauso sprechen wie die "Totengräber der Weimarer Demokratie".

Zuvor hatte schon die Holocaust-Überlebende Inge Deutschkron das Publikum von der Bühne aus vor der AfD gewarnt. Laut Umfragen könnte diese auf Anhieb drittstärkste Fraktion im neuen Bundestag werden. Die SPD, die sich an diesem wolkenlosen Freitagabend in Berlin so trotzig gab, muss darum kämpfen, ihr schlechtestes Wahlergebnis – 2009 waren es 23 Prozent – nicht zu unterbieten. (Florian Niederndorfer aus Berlin, 22.9.2017)