Aktiv und zweigeteilt: Das Asteroidendoppelsystem 288P im Asteroidengürtel ist bislang einmalig.

Illustr.: ESA/Hubble, L. Calçada

Die Serie an Hubble-Aufnahmen zeigt deutlich zwei voneinander getrennte Objekte.

Foto: NASA, ESA, and J. Agarwal

Göttingen – Im Asteroidengürtel zwischen den Umlaufbahnen von Mars und Jupiter haben internationale Astronomen unter der Leitung des Max-Planck-Instituts für Sonnensystemforschung eine ungewöhnliche und für das Sonnensystem bislang beispiellose Entdeckung gemacht: Das mithilfe des Weltraumteleskops Hubble erspähte Objekt 288P dürfte aufgrund der Umlaufbahn ein Asteroid sein – aber sein Benehmen erinnert vielmehr an einen Kometen, denn er gibt fortlaufend Gas und Staub an seine Umgebung ab. Außerdem besteht der mysteriöse Brocken aus zwei Teilen, die einander in überraschend großem Abstand umkreisen. Die bisherigen Untersuchungen legen nahe, dass das Objekt vor etwa 5.000 Jahren auseinander gebrochen ist.

Kometen verbringen den Großteil ihrer Zeit am äußeren Rande des Sonnensystems. Führt sie ihre stark elliptische Umlaufbahn in den Einflussbereich der Sonne, werden sie aktiv: Gefrorene Gase verdampfen und reißen Staubteilchen mit sich ins All. Asteroiden – wenn auch ähnlich in Größe und Form – sind im Vergleich eher beständige, unveränderliche Himmelskörper: Sie ziehen ihre stets gleichen Bahnen im Asteroidengürtel, der sich zwischen den Umlaufbahnen von Mars und Jupiter erstreckt.

Keine passende Schublade für manche Brocken

In den vergangenen Jahren haben Forscher immer mehr Körper entdeckt, die sich nicht in dieses übersichtliche Schema einfügen. Auch der nun untersuchte 288P gehört dieser Gruppe an. Die sogenannten aktiven Asteroiden bewohnen zwar die Zone zwischen Mars und Jupiter, zeigen jedoch kometenähnliche Aktivität. Die Ursachen für das ungewöhnliche Staub- und Gasspucken können sehr unterschiedlich sein: Während einige Körper unter dem Einfluss der eigenen Rotation Material verlieren, wurden andere von kleineren Geschossen getroffen. Ein solcher Einschlag kann nicht nur Staub aufwirbeln, sondern auch gefrorene Gase im Innern des Asteroiden freilegen, die dann verdampfen.

Etwa 20 dieser exotischen Körper sind bisher in unserem Sonnensystem bekannt. Doch 288P sticht durch eine weitere Eigenschaft hervor: Er besteht aus zwei getrennten Stücken, die um einen gemeinsamen Schwerpunkt rotieren. "Bereits im Jahr 2011 wurden wir auf 288P aufmerksam", sagt Jessica Agarwal, Wissenschafterin am Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung und Erstautorin der nun im Fachjournal "Nature" erschienenen Studie. In Aufnahmen des Weltraumteleskops Hubble zeigten sich damals deutliche Anzeichen für Aktivität. Der große Abstand, der 288P zu diesem Zeitpunkt von der Erde trennte, erlaubte es jedoch nicht, seine Gestalt näher zu untersuchen.

Video: Die Hubble-Aufnahmen von 288P wurden zu einem Zeitrafferfilm montiert, der den Orbit der beiden Objekte umeinander gut erkennen lässt.
HubbleESA

Zwei Teile mit 100 Kilometer Abstand

Im September 2016 waren die Bedingungen günstiger. Auf dem Weg zu seinem sonnennächsten Punkt näherte sich der Asteroid der Erde auf nur etwas mehr als 200 Millionen Kilometer an. Nun ließen sich deutlich zwei getrennte Stücke erkennen. Umfangreiche Analysen der Messdaten offenbaren jetzt einen in vielerlei Hinsicht einzigartigen Körper. Die beiden Einzelteile, aus denen 288P besteht, messen jeweils etwa einen Kilometer im Durchmesser. Simulationen zeigen, dass der Abstand beider Teile ungewöhnlich groß ist: Sie umkreisen einander auf einer stark elliptischen Bahn mit einem Abstand in der Größenordnung von 100 Kilometern.

Dass der Körper immer dann aktiv wird, wenn er sich der Sonne nähert, deutet außerdem darauf hin, dass freigelegte, verdampfende Gase seine Aktivität treiben. "288P muss vor kaum mehr als 5.000 Jahren auseinandergebrochen sein", sagt Agarwal. Sonst hätten sich diese Gase im vergleichsweise sonnennahen Asteroidengürtel längst vollständig verflüchtigt.

Video: Die Animation verdeutlicht die Größenverhältnisse innerhalb des Asteroiden-Binärsystem 288P: Die beiden rund einen Kilometer langen Asteroidenhälften umkreisen einander in etwa 100 Kilometern Abstand. Aus der Distanz wird auch die helle Koma des Systems sichtbar, sowie der lange Schweif aus Staub und Wasser.
HubbleESA

Schnelle Rotation ließ 288P zerbrechen

Die Analysen bieten auch weitere Hinweise auf die Entstehungsgeschichte des außergewöhnlichen Körpers. "Wir glauben, dass 288P in einem ähnlichen Prozess entstand wie viele binäre Asteroiden", sagt die Max-Planck-Forscherin. Durch die schnelle Rotation um die eigene Achse kann ein Asteroid instabil werden und schließlich auseinanderbrechen. Für diese Theorie spricht unter anderem, dass die Umlaufbahnen der beiden Teilstücke umeinander in derselben Ebene verlaufen wie ihre gemeinsame Umlaufbahn um die Sonne. Diese Konstellation ist für Asteroiden, die als Folge eines heftigen Einschlags zerbrechen, unwahrscheinlich.

Nach seiner Zweiteilung veränderte sich der Körper nach Ansicht der Forscher weiter. "Die Aktivität von 288P spielte bei seiner folgenden Entwicklung wahrscheinlich eine entscheidende Rolle", so Agarwal. Das Gas, das nun verdampfte und Fontänen aus Staub mitriss, veränderte den Bahndrehimpuls des Systems. Als Folge drifteten die Einzelteile weiter auseinander – bis auf den ungewöhnlich großen Abstand, den sie heute einnehmen.

Körper wie 288P können Forschern helfen zu verstehen, wie unsere nähere unt entferntere Nachbarschaft im Sonnensystem entstanden ist und sich dann weiterentwickelt hat. So geht es etwa um die Frage, wo im Asteroidengürtel Wasser überdauern konnte. Ob der neu entdeckte Asteroid ein kosmischer Einzelfall ist, lässt sich zurzeit nicht sagen. (red, 24.9.2017)