Er war ein Roboter. Karl Bartos von der Band Kraftwerk hat seine Autobiografie geschrieben: "Der Klang der Maschine".

Foto: Patrick Beerhorst

Wien – Am Ende weiß man zwei Dinge. Roboter haben Gefühle, aber keine Schmutzwäsche. Daraus folgt als dritte Einsicht: Karl Bartos ist ein Sir.

Beim Namen Karl Bartos klingelt und klangelt es musikinteressierten Menschen in den Ohren. Karl Bartos war bei Kraftwerk. Das ist die berühmteste und wichtigsten deutsche Band. Zwar war der 1952 geborene Musiker kein Gründungsmitglied, doch er zählte zur klassischen Besetzung, war von 1975 bis 1990 dabei. In der Zeit sind die zentralen Werke des Quartetts aus Düsseldorf entstanden. Nun hat Bartos seine Autobiografie geschrieben. Sie heißt Der Klang der Maschine (Eichborn-Verlag, 602 Seiten).

Unter den vielen Geschichten seiner Erinnerungen zeigt sich eine vierte wesentliche Erkenntnis, Bartos ist ein bescheidener Mensch. Er versagt sich weitgehend, den enormen Einfluss zu referieren, den er als Teil von Kraftwerk mitverantwortete, das überlässt er anderen.

Freundschaftlich, aber strikt

Seine Bescheidenheit begleitete in finanziellen Dingen auch Naivität. Das führte dazu, dass Ralf Hütter und Florian Schneider ihn wohl übervorteilt haben, Bartos sich lange Zeit als freier Dienstnehmer im Sold einer Band befand, die sich freundschaftlich, bei finanziellen Regelungen aber strikt gab. Doch der klassisch ausgebildete Schlagzeuger wirkt nicht verbittert. Klar, Momente der Enttäuschung gab es, doch scheinen bei dem heute 65-Jährigen die schönen Erinnerungen zu überwiegen.

Im Stil höflich und penibel, also grundsolide deutsch, erzählt er anhand von Kalendern und Notizbüchern, wie er Mitglied von Kraftwerk wurde, beschreibt die Metamorphose des elektronischen Schlagzeugers zur Menschmaschine und zum Roboter, und wie er sich vom Tourmusiker durch Insistieren zum Co-Autor und Mitmusiker entwickelte.

Eine vergleichbare Karriere gibt es nicht. Kraftwerk ist als Unternehmen zu speziell. Bartos beschreibt die erste US-Tournee im Sog des Hits Autobahn und geizt dabei nicht mit Anekdoten. Diese überraschen immer wieder. Besuche von Konzerten der Eagles oder eine Visite bei Neil Young zu Hause hätte man vor dieser Lektüre eher nicht vermutet. Oder dass sich Kraftwerk für manche Aufnahmen Technik in Otto Waalkes' Rüssl-Studio borgten. Oder wie Joey Ramone in New York an seinen Tisch kam, um seinen Respekt zu bezeugen. Oder wie sich das Kraftwerk-Lied Die Roboter in der Hitparade Vader Abrahams Lied der Schlümpfe geschlagen geben musste: "Eine gnadenlose Konkurrenz."

Technische Details

Vieles erzählt Bartos auf eine noch immer überrascht wirkende Art, dabei ist er längst eine Legende. Den Anekdoten stellt er detailverliebt die Entstehung einzelner Kraftwerk-Songs gegenüber. Das lädt mitunter zum Überblättern ein, da die technischen Ausführungen für Normalverbraucher doch nicht so interessant sind.

Doch selbst diese Kapitel erhellen das Phänomen Kraftwerk. Zwar bemüht sich die Gruppe um die totale Kontrolle ihres Images, Bartos' Buch zeigt jedoch, dass sogar diese so souverän scheinende und hermetische Band mit Strom kocht und Rückschläge erlitt. Leid auf hohem Niveau, denn die Band führte ein gepflegtes Bohemiendasein zwischen dem in Düsseldorf befindlichen Tonstudio Kling Klang, Paris, New York oder Japan.

Bartos rückt auch gesellschaftliche und musikhistorische Hintergründe der 1970er- und 1980er-Jahre mit ins Geschehen, etwa die deutschlandweite Fahndung nach Mitgliedern der RAF, in die Kraftwerk am Heimweg einmal gerieten. Oder wie die Begeisterung der Kraftwerker fürs Fahrradfahren zustande kam. Und wie er neben dem Popstarleben eine bürgerliche Existenz aufbaute, die ihm nach dem Bruch mit Kraftwerk half. Wobei die musikalische Vita Bartos' bis heute weitergeht, ihn in verwandte Projekte mit Bernard Sumner von New Order und Johnny Marr (The Smiths) oder mit Bands wie OMD führte – und vieles mehr.

Der Klang der Maschine ist eine erhellende und unterhaltsame Biografie, der man lediglich vorwerfen kann, die Schreibweise einiger Namen nicht ordentlich überprüft zu haben ("Marvin Gay", "Isaak Hayes" ...). Oft illustrieren kleine Geschichten Kraftwerks enormen Einfluss. Etwa wenn Bartos sich darüber freut, dass die britische Band Coldplay auf ihrem 2005er-Hitalbum X&Y den Song Computerliebe belieh. Das ehrt ihn, und auch sein Kontobetreuer auf der Bank kann ruhig schlafen. Kraftwerk sei's gedankt. (Karl Fluch, 26.9.2017)