Es ist ein weiter Weg von der Mailänder Altstadt hinaus in den "Gucci Hub" in der Via Mecenate in der Nähe des Flughafens Linate. Doch um die Mailänder Mode zu verstehen, muss diese Fahrt in Kauf genommen werden. Denn dort eröffnet sich hinter den schlichten Backsteinwänden auf dem gigantischen, modernisierten Campus der ehemaligen Caproni-Flugzeugproduktionsstätte eine verrückte Welt. Es ist die Welt des Gucci-Kreativchefs Alessandro Michele. Innerhalb von zweieinhalb Jahren hat der Designer nicht nur Gucci umgekrempelt, er hat auch der Mailänder Mode zu mehr Selbstbewusstsein verholfen.

Das lässt sich an dem rot ausgeschlagenen Schauraum des Labels ablesen. Hier hängen an diesem sonnigen Septembertag an Tag drei der Mailänder Modewoche nicht nur die 107 abgedrehten Looks aus der Show, die Roger-Rabbit-Sweater, die Elton-John-Anzüge, die mit Kristallen besetzten Bodys und glitzernden Kleiderschläuche sowie die immer größer werdenden Taschen des Hauses. In einer Ecke stehen stolze Paravents mit Ananasmuster und ein geblümtes Kaffeeservice, in zwei Kübeln stecken gemusterte Tapetenrollen. Gucci macht nun nicht mehr nur Mode. Die Gucci-Exzentrik kann auch in die eigenen vier Wände einziehen – Alice im Wunderland hätte ihre Freude daran gehabt.

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Gucci-Designer Alessandro Michele (rechts) mit Schauspielerin Dakota Johnson und Gucci-CEO Marco Bizzarri Sonntagabend bei den Green Carpet Fashion Awards in Mailand.
Foto: reuters/rellandini

Hype um Vorzeigemarke

Das Unternehmen, mittlerweile Vorzeigemarke der Kering-Gruppe, expandiert. Und das, obwohl man seit mehreren Saisonen am selben Konzept, an derselben überdrehten Ästhetik festhält. Wahrscheinlich aber ist Michele genau deshalb so erfolgreich. Die Zahlen jedenfalls sprechen für ihn. In der ersten Jahreshälfte 2017 stieg der Umsatz von Gucci um fast 44 Prozent. Noch dazu kommt das Lifting des Labels auch bei den Jüngeren an: Mehr als die Hälfte der Gucci-Kunden sind nach 1980 geboren, das können nicht viele italienische Unternehmen von sich behaupten.

Um sich neben dem Hype um den vorlauten Mailänder Musterschüler zu behaupten, hat sich die italienische Konkurrenz in dieser Saison einiges einfallen lassen müssen. Große Logos zum Beispiel. Beim Modehaus Fendi, für die Konkurrenz von LVMH ebenfalls erfolgreich im Rennen, kommt kaum eine Handtasche ohne das goldene, auf den Rücken gekippte F aus. Bei Sportmax werden die sportlich-minimalistischen, gerafften Kleider mit Label-Schriftzügen zusammengehalten, bei Max Mara schulterten die Models Taschen, deren Gurte mit dem alten neuen Logo aus den 1950ern versehen waren.

Jugendliche Coolness

Andere versuchten es mit jugendlicher Coolness: Bei Bottega Veneta verteilte Tomas Maier unter den Augen des neuen CEO Claus-Dietrich Lahrs besonders viele Nieten auf seinen Lederkleidern und -röcken in Violett, Altrosa und Olive. Vielleicht lag es an der Location, einem Palazzo, der heute eine Mädchenschule ist, dass durch die Räume 50 Cents In Da Club wummerte.

Bottega Veneta
Foto: apa/afp/solaro

Im Gegensatz dazu gab sich die junge Generation bildungsbürgerlich: Beim österreichischen Designer Arthur Arbesser, der demnächst auch für die Marke Fay aus der Tod's-Gruppe designen wird, liefen Models (darunter Helmut Langs einstiges Lieblingsmodel Cordula Reyer) zu Schuberts Fantasie in f-Moll in knielangen Kleidern und Schluppenblusen um einen Flügel herum.

Cordula Reyer modelte für den Designer Arthur Arbesser.
Foto: Arthur Arbesser

Während der Milano Moda Donna sah es in diesem Herbst so aus, als käme man aus dem Feiern nicht mehr heraus. Modeunternehmen wie Brunello Cucinelli verzeichneten 2017 zweistellige Gewinne. Die italienische Vogue richtete unter ihrem neuen Chefredakteur Emanuele Farneti, dem Nachfolger der schillernden, im letzten Jahr verstorbenen Franca Sozzani, eine rauschende Party mit rund 1.000 Gästen aus, Titel der Sause: The New Beginning.

Und die Moderebellen von einst zelebrierten ihr Firmenerbe. Angela Missoni, die Frau, die vor genau zwanzig Jahren das Design des Modehauses, das für sein Zickzackmuster bekannt ist, von ihrer Mutter übernommen hat, zeigte unter bunten Sonnensegeln eine Jubiläumskollektion, Schlapphüte über transparenten, leichten Maxi-Strickkleidern oder bunt karierten, gezackten und gestreiften Westen. Mama Rosita jedenfalls schien an der Show offensichtlich Freude zu haben.

Missoni
Foto: apa/afp/bertorello

Feierei in Mailand

Der Paisley-Spezialist Etro wird zwar erst im kommenden Jahr fünfzig, doch zum Warmlaufen haben die Geschwister Kean und Veronica sich erstmals zusammengetan: Sie zeigten Männer- und Frauenmode in einer Show.

Etro
Foto: apa/afp/bertorello

Die Designer Domenico Dolce und Stefano Gabbana, die seit einiger Zeit die Millennials und die Influencer für sich entdeckt haben, veranstalteten mit Dolce & Gabbana gleich zwei Shows innerhalb von 24 Stunden. Die erste war ausgesuchten Gästen und den Instagramstars gewidmet, die zweite der Liebe!

Dolce & Gabbana
Foto: Afp Photo / Andreas Solaro

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Und noch einmal D&G: hier der traditionelle gemeinsame Aufmarsch der Models.
Foto: Reuters/Alessandro Garofalo

Und Donatella Versace? Sie servierte anlässlich des zwanzigjährigen Todestages ihres Bruders Gianni eine Erinnerungskollektion – erst gab es die Models Gigi und Bella Hadid in Barockmustern und Leggings fast wie damals in den 1990ern, dann die Schiffer, die Bruni, die Crawford, die Campbell, die Christensen in geschlitzten, metallenen Kleidern.

Von links: Carla Bruni, Claudia Schiffer, Naomi Campbell, Cindy Crawford und Helena Christensen auf dem Laufsteg für Versace.
Foto: apa/afp/medina

Solch offenherzige Sexyness ist Miuccia Pradas Sache bekanntlich nicht, aber auf Zitate versteht auch sie sich. So auch in dieser Saison: Prada schickte die nächste Generation Riot Grrrls über den Laufsteg – mit über die Armbeugen geschoppten Mantelärmeln, Kittelkleidern, rückseitig getragenen Bauchtaschen aus Nylon und Stutzen in spitzen Kitten Heels, den Schuhen der Stunde. Der Soundtrack für das kommende Frühjahr gab sich so kämpferisch wie handzahm: Suzanne Vega, Nirvana, Sinead O'Connor, Lana Del Rey. Die Wände des Headquarters waren von acht Comic-Künstlerinnen, unter ihnen Tarpé Mills, einer Pionierin des Genres, bemalt worden.

Bei Prada wurden die Ärmel hochgekrempelt und Kitten Heels übergezogen.
Foto: apa/afp/solaro

Designdebüt im Freien

Unter besonderer Beobachtung aber stand in dieser Saison (neben Paul Surridge, der erstmals für Roberto Cavalli designte) das Ehepaar Meier. Für das Designdebüt des Paars mit dem Allerweltsnamen, das bisher nur Modeinsidern bekannt war (Luke Meier designte für das Streetwearlabel Supreme, Lucia Meier war interimistische Co-Leitung bei Dior) rollte die Modemeute in den Norden der Stadt.

Das neue Designduo bei Jil Sander: Luke und Lucie Meier.
Foto: apa/afp/solaro
Jil Sander: Minimalismus in Weiß.
Foto: Jil Sander

In einem Rohbau, der demnächst ein Einkaufszentrum sein wird, interpretierte das Duo unter freiem Himmel Jil Sanders Minimalismus weiblich und nicht zu streng zwischen Makramee und Plissee. Was die beiden da zeigten, war in jeglicher Hinsicht ein Gegenprogramm – zu dem des Vorgängers Rodolfo Paglialunga, aber auch zu den aufgeregten Entwürfen von Gucci. Ob das reicht? Die nächste Saison wird es zeigen. (Anne Feldkamp, 25.9.2017)

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Logomanie auf den Mailänder Laufstegen