Bild nicht mehr verfügbar.

Colin Kaepernick hatte Mut und Leidensfähigkeit, nun ist er der Begründer einer Bewegung.

Foto: Reuters/USA Today Sports/Robert Hanashiro

„Why should they ask me to put on a uniform and go ten thousand miles from home and drop bombs and bullets on brown people in Vietnam while so-called Negro people in Louisville are treated like dogs and denied simple human rights?“

Viele Zitate von Muhammad Ali wurden berühmt. „Float like a butterfly, sting like a bee“ gäbe es da, oder einfach „Live every day like it was your last. Someday you'll be right“. Obiges Eröffnungszitat aber sticht heraus, es transzendiert den Sport und zeigt das Wesen des größten Boxers aller Zeiten. Ali verweigerte die Teilnahme an einem Krieg, der seiner Religion widersprach und nach seiner Ansicht nur die „Dominanz der weißen Sklaventreiber“ erhalten würde.

Also Kriegsdienstverweigerung. Ein geladenes Wort, es klingt wie ein Kind der Wortfamilie Schützengraben-Stahlgewitter. Ali machte sich ihrer schuldig, im Wissen, damit seinen Boxtitel zu verlieren und endgültig auf Kriegsfuß mit dem weißen Amerika zu stehen. Seine Prinzipien – und sein Leben – waren dem Champion wichtiger.

His Airness

Ein paar Jahrzehnte später: Auch Michael Jordan ist einer der größten Sportler aller Zeiten, eine Ikone, unaufhaltsam, eine Legende, man kann im blendenden Licht seiner Siege gar nicht laut genug schreiben. Nur eines ist Michael Jordan nicht: ein Idealist.

1990 trat der Demokrat Harvey Gantt in der Senatswahl von North Carolina gegen den „letzten offenen Rassisten“ der US-Politik, Jesse Helms, an. In dem Staat, in dem Jordan aufgewachsen war, dessen Schutzheiliger er dank seiner Erfolge im Jersey der University of North Carolina war. Jordans Stimme hätte Gewicht gehabt. Seine Mutter bat ihn, Gantt offen zu unterstützen, Gleiches tat Arthur Ashe, wegen seines Sozialengagements gut und gerne als der Muhammad Ali des Tennis zu bezeichnen. Jordan blieb neutral. Gantt verlor die Wahl mit 47 zu 53 Prozent.

Bild nicht mehr verfügbar.

Michael Jordan wurde oft nach seiner Meinung gefragt, politisch war diese nie.
Foto: Reuters/Ron Kuntz

Der nunmehrige Teambesitzer der Charlotte Hornets bestreitet, seine damalige Stille mit dem Zitat „Auch Republikaner kaufen Schuhe“ erklärt zu haben, dennoch hält sich der Spruch hartnäckig. Wohl auch, da er politische Themen Zeit seiner Spielerkarriere großräumig umschiffte und gleichzeitig mit seinen Air-Jordan-Schuhen an jedem Handelshafen der Welt die Profite einsammelte.

Ali und Jordan stehen stellvertretend für ihre Äras. Waren schwarze Sportler in den 60er-Jahren Katalysatoren der Bürgerrechtsbewegung, hielten Athleten in den 90er- und Nuller-Jahren die Füße still und verkauften Schuhe. Freilich gab es das auch früher, Ali hatte mit Joe Frazier sein persönliches Pendant, das er liebend gerne als „Uncle Tom“ verunglimpfte, als einen Schwarzen, der sich freiwillig Weißen unterordnete.

Klare Signale

Die großen Geschichten schrieben aber immer die, die den Mund aufmachten. Die, die Zeichen setzten, die, die die Faust reckten, wie Tommie Smith und John Carlos. Bei der Siegerehrung des 200m-Sprints der Olympischen Spiele 1968 zeigte das US-Duo den Black-Power-Gruß. Den rechten Arm nach oben, die Faust geballt. Smith schrieb später in seiner Biographie, es wäre eigentlich ein „Menschenrechts-Gruß“ gewesen, 1968 gab es aber nur eine Interpretation, eben das Signal des radikaleren Flügels der Bürgerrechtsbewegung. Die zwei Amerikaner wurden in Mexico City ausgebuht und vom IOC von den Olympischen Spielen ausgeschlossen.

Bild nicht mehr verfügbar.

Tommie Smith und John Carlos bekamen nach dieser Geste Morddrohungen. Beide spielten später in der NFL.
Foto: AP/Anonym

Mit dem Civil Rights Act und dem schrittweisen Abbau von institutionellem Rassismus gingen auch die Sportlerproteste zurück, Athleten schienen als Lichtgestalten nicht mehr nötig. Außerdem kam mehr und mehr Geld in den Sport: Wer mehr kassiert, hat mehr zu verlieren. Vereinzelt gab es noch Dissens. Da war Craig Hodges, ihn werden wir später in diesem Text wiedersehen, da war Mahmoud Abdul-Rauf, der die amerikanische Flagge als ein Symbol der Unterdrückung betrachtete. Und dann war nicht mehr viel. Eben die Jordan-Generation: In ihrem Gehabe durchaus konfliktfähig, aber völlig unpolitisch.

Eine neue Hoffnung

Am 23. März 2012 postete LeBron James ein Foto des kompletten Teams der Miami Heat in Kapuzenpullis auf Twitter. Die Hashtags: #WeAreTrayvonMartin #Hoodies #Stereotyped #WeWantJustice. Das Echo des Schusses, der den 17-jährigen Trayvon Martin tödlich in der Brust traf, hatte die neue Ära des Athletenaktivismus eingeläutet.

Noch zwei Jahre lang blieb ein Deckel auf der neuen Offenheit, nur hin und wieder war ein kurzes Brodeln zu sehen. 2014 gipfelten weitere umstrittene Tötungen von Schwarzen durch weiße Polizisten in Unruhen. Und die Athleten fanden ihre Stimme.

Bild nicht mehr verfügbar.

Die Spieler der St. Louis Rams protestierten wie so viele damals mit erhobenen Händen: "Hands up, don't shoot!" Das soll auch Michael Brown gesagt haben, bevor er in Ferguson, Missouri, erschossen wurde.
Foto: AP/L.G. Patterson

Die College-Basketballerin Ariyana Smith legte sich nach dem Tod von Michael Brown aus Protest viereinhalb Minuten auf den Boden, Spieler der St. Louis Rams zeigten die "Hands up, don’t shoot"-Geste, ein Boykott von College-Footballern in Missouri zwang den dortigen Uni-Präsidenten zum Rücktritt, WNBA-Spielerinnen demonstrierten in Seattle gegen Diskriminierung und abtreibungsfeindliche Gesetzgebung, der NFL-Profi Andrew Hawkins forderte Gerechtigkeit für die von Polizisten erschossenen Tamir Rice und John Crawford, die Schwimmerin Simone Manuel stärkte bei Olympia die Black Lives Matter-Bewegung, ein Crescendo der Meinungsstärke, der neue Alltag.

Und dann kam Colin Kaepernick. In einem Preseason-Spiel 2016 blieb er erstmals während der Hymne sitzen, um gegen strukturellen Rassismus und Polizeigewalt zu protestieren. Später kniete er, wieder und wieder. Er wurde hart kritisiert und erhielt sanfte Unterstützung, er wurde verteufelt und in den Himmel gehoben. Vor allem aber erhielt er Aufmerksamkeit. Und keinen neuen Vertrag.

Das Imperium schlägt zurück

Vor Colin Kaepernick war Craig Hodges, sein Name kam bereits vor. Der Bankspieler der Chicago Bulls überreichte George Bush Sr. beim traditionellen Besuch der Champions im Weißen Haus 1992 einen Brief, indem er für eine bessere Behandlung von Minderheiten eintrat – und spielte danach nie wieder in der NBA. Dafür gibt es sogar ein Wort: "Blackballing". Ursprünglich kein aufgeladener Begriff, das Wörterbuch von Merriam-Webster liefert noch die alte Bedeutung mit: "to vote against; especially: to exclude from membership by casting a negative vote", zu Deutsch etwa "dagegen stimmen; insbesondere: die Mitgliedschaft mit einer Gegenstimme verweigern". Das stammt daher, dass eine schwarze Kugel in verdeckten Abstimmungen früher als Nein galt. Die zweite Definition: "to exclude socially", sozial ausschließen.

Bild nicht mehr verfügbar.

Anfangs leisteten Kaepernick beim Protest nur wenige Teamkollegen Gesellschaft.
Foto: AP/Marcio Jose Sanchez

Die Realität hat das Wörterbuch überholt. Der amerikanische Alltagsdiskurs kennt unter Blackballing primär eine Benachteiligung aus politischen Motiven, in der Praxis meist von Schwarzen aufgrund ihrer Hautfarbe und ihres Aktivismus. Hodges 1992 und Kaepernick 2017 wurde quasi die Mitgliedschaft im Klub der NBA-, bzw. NFL-Spieler verweigert, nachdem sie für soziale Anliegen eintraten. Es gibt immer noch Menschen, die behaupten, Kaepernick wäre aus rein sportlichen Gründen arbeitslos. Man kann ihnen glauben – oder man glaubt Tom Brady und Aaron Rodgers. Die zwei besten Quarterbacks der Welt sind sich einig: Kaepernick sollte einen Platz in der NFL haben.

Die Rückkehr?

Aber er hat keinen. 32 General Manager und 32 Teambesitzer der National Football League – darunter auch viele, die vergangen Sonntag einträchtig mit ihren Spielern die Arme verschränkten – finden für "Kaep" keinen Platz. Es mag Teams geben, die schon ein ideales Quarterback-Tandem haben, es mag Teams geben, bei denen Kaepernick nicht ins System passen würde. Aber es sind nicht deren 32.

Und doch hat der geschasste Ex-49er seinen Kampf irgendwie gewonnen. Als Trump mit der ihm gegebenen Taktlosigkeit Konsequenzen für protestierende Spieler forderte, wuchs sich Kaepernicks Protest zu einer Bewegung aus. Zu einer so großen Bewegung, dass sich sogar Michael Jordan wie schon 2016 zu einem Statement hinreißen ließ. "Wer sein Recht auf friedliche Meinungsäußerung ausübt, sollte nicht dämonisiert oder geächtet werden", sagte "His Airness".

Ali hätte geschmunzelt. (Martin Schauhuber, 26.9.2017)