Tag zwei nach der Deutschland-Wahl, und schon gestalten sich etwaige Sondierungsgespräche spannender, als es der Wahlkampf jemals war. Die Union ist zwar als Sieger aus der Bundestagswahl hervorgegangen, hat sich aber jetzt schon in eine Zwickmühle manövriert. Die Ausgangslage trägt dabei nur einen Teil der Schuld daran: Die SPD respektive ihr Vorsitzender will nicht mehr in die Regierung, sondern in die Opposition, um dort die Wunden zu lecken. FDP und Grüne hingegen wollen prinzipiell, was die Sache aber nicht einfacher macht: Ein Viererbündnis hat es in Deutschland im Bund seit 50 Jahren nicht mehr gegeben, eine Koalition aus Schwarz, Grün und Gelb (Jamaika-Koalition) stellt auf dieser Ebene überhaupt ein komplettes Novum dar.

Grün und Gelb verbindet zunächst einmal reichlich wenig, sie liegen in Außen- und Umweltpolitik oder auch in Fragen der inneren Sicherheit über Kreuz. Ihre Unterhändler mögen sich nun als besonders hartnäckig und prinzipientreu inszenieren – ihre Position ist dennoch vergleichsweise bequem. Unüberwindbar erscheinen da im Vergleich die Differenzen innerhalb des Bündnisses aus CDU und CSU.

Während FDP und Grüne sich den Grenzen des jeweils anderen zumindest annähern, um eine Jamaika-Koalition zu ermöglichen, versetzte die CSU dieser am Dienstag vorab den Todesstoß. Sie forderte erneut eine Obergrenze für Flüchtlinge, was die Konservativen in Bayern immer wieder verlangt hatten, selbst dann noch, als die Kanzlerin längst eine Kurskorrektur in ihrer Aufnahmepolitik vorgenommen hatte.

Merkel vs. Obergrenze

Dass die Regierungschefin in Berlin der Idee einer Obergrenze bis zuletzt eine Abfuhr erteilte, verschaffte der CSU, die erfolglos, aber trotzig weiter danach schrie, ein Glaubwürdigkeitsproblem. Dieses schlug sich am Sonntag nieder: Die CSU steht als großer Wahlverlierer dar. Die CDU hat eine Million Wähler an die AfD verloren, aber man könnte die Sache auch so sehen: Angela Merkel hat die Wahl gewonnen, obwohl sie eine Million Flüchtlinge ins Land gelassen hat. Für Seehofer trägt Merkel die Schuld an der Wahlschlappe, für die CSU-Basis ist Seehofer selbst für das Ergebnis verantwortlich.

Elisabeth Koch etwa, die in Garmisch-Partenkirchen die CSU-Ratsfraktion führt, zeigte sich wenig überrascht vom Erfolg der AfD auf Kosten ihrer Partei. Die CSU müsse sich mit der AfD endlich inhaltlich auseinandersetzen, und zwar auf Basis ihrer eigenen christlichen und sozialen Werte. Diese Werte müsse die Partei wieder glaubwürdig und verlässlich vertreten. Das klingt wesentlich vernünftiger als Seehofers Fehleranalyse, die sich letztlich nur darauf beschränkt, rhetorisch aufzurüsten, und zwar ohne Aussicht auf Erfolg.

"Glaubwürdig und verlässlich" ist ein gutes Stichwort: Nach rechts gerückt ist Seehofer schließlich zuvor auch schon. Mit dem Ergebnis, dass seine Partei, die bei der Landtagswahl im kommenden Jahr eine Absolute zu verteidigen hat, erstmals seit 1949 unter die 40-Prozent-Marke gefallen ist. Die AfD, der große Wahlgewinner, ging nicht nur in Ostdeutschland besonders stark aus der Wahl hervor, sondern auch in Ostbayern. In Bayern ist die Wahlbeteiligung sogar gestiegen, die AfD fischte dort in erster Linie im Lager der Nichtwähler und dann erst bei den Unionswählern.

Grüne vs. Obergrenze

Mit der Erhöhung der Obergrenze zur wichtigsten Bedingung für Jamaika versucht der angeschlagene CSU-Chef nun den Beweis zu erbringen, dass es seine oberste Priorität ist, die offene rechte Flanke zu schließen. Wie er Merkel im x-ten Versuch auf Linie zu bringen gedenkt, verriet er nicht. Doch selbst wenn Seehofer Merkel am Ende doch noch für eine Obergrenze gewinnen sollte: Wie in aller Welt möchte er die Grünen dazu überreden, ihre Unterschrift darunter zu setzen?

Dass die Fraktionsgemeinschaft der Union wegen dieser Frage platzen könnte, stand am Montag nur sehr kurz im Raum. Glaubwürdigkeit sieht anders aus. Viel mehr offenbart Seehofer gerade, wie sehr ihn die blanke Panik antreibt. (Anna Giulia Fink, 26.9.2017)